Freitag, 19. April 2024

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Berliner Volksbühne
Frank Castorfs redundante Marlarparte-Inszenierung

Frank Castorf inszeniert nach C. Malapartes Weltkriegsroman "Kaputt" an der Volksbühne in Berlin. Schauspielerisch wechselt das Spiel von unerträglich zu virtuos. Aber weil sich die Szenen ohne Zentrum mit ständigen, nicht immer gleich verständlichen Rollen- und Figurenwechseln dahin ziehen, steigt der Zuschauer oft aus.

Von Hartmut Krug | 10.11.2014
    Gleich zu Anfang liegt Curzio Malaparte an der Rampe im Smoking am Boden. Der Raucher leidet an Lungenkrebs und versucht einem Biografen einige Lebensdaten zu erzählen. Was bedeutet, er schreit sie mit heiserer Stimme hinaus, denn das Gebrüll ist ein enervierendes Stilmittel der Inszenierung. Doch die Zuschauer, die Autor und Roman nicht genauer kennen, stochern im Bedeutungsnebel dieser Inszenierung.
    Hochmütiger Regisseur
    Wieder einmal kümmert sich Regisseur Castorf hochmütig keinen Deut um die Zuschauer. Obwohl Mex Schlüpfer in zwischen Frack und Slip wechselndem Outfit zuweilen als kommentierender Erzähler für eine Inszenierung fungiert, die mit Malapartes Roman "Kaputt" und einigen Passagen aus seinem Roman "Haut" über die Kriegsschauplätze springt. Malaparte bereiste als Kriegsberichterstatter die Ukraine, Polen, Rumänien, Finnland und Italien, und Castorf folgt ihm. Malaparte, erst Faschist und später Kommunist, verkehrt in den Salons der Nazis und beschreibt deren alkoholisiertes Philosophieren so zynisch wie schwülstig. Zugleich liefert er Berichte von Gräueln und Pogromen wie dem an den Juden im rumänischen Jassy.
    Elf Schauspieler toben sich durch einen Theaterabend, der vor allem ein Live-Video ist. Die gelb ausgehangene, dunkle Bühne mit ihren schwarzen Säulenresten besitzt hinter zerbrochenen Quadern (Achtung: die Ruinen Europas!) ein kleines Planschbecken. Hier wird zum Schluss Jeanne Balibar in der Rolle Malapartes mit Margarita Breitkreiz als von der Prostitution gefährdetes junges Mädchen fast eine Stunde lang über Reinheit reden, während Margarita Breitkreiz sich kokett wie ein Fisch durch das flache Wasser bewegt.
    Dramaturgisches Mittel verselbstständigt sich
    Über dem Wasser hängt im Hintergrund als nicht direkt einsehbarer Hauptspielort eine Art Wohnwagen. Darin findet fast alles statt. Nur selten kommen die Darsteller ins Offene. In grobkörnigem, die Augen peinigendem Live-Video wird stundenlang alles auf eine Leinwand übertragen. Hier verselbstständigt sich ein von Castorf einst entdecktes einleuchtendes dramaturgisches Mittel zu einem formal so beliebigen wie auch ästhetisch lächerlichen Effekt. Wie hier die Filmer hin und her eilen, wie immer der Mikrogalgen im Bild rumhängt, wie das Spiel der Darsteller zur expressiv unerträglichen Grimasse verkommt.
    Ja, ja, ist klar, das alles hat tieferen Sinn und Methode, und den repräsentativen Schauspieler darf es nun mal nicht mehr geben. Doch so, wie die Videobilder stundenlang auf gerastertem Untergrund dahin wischen, ist das nichts als Augenfolter. Castorf erzählt mit seinem überlangen, tatsächlich sechs Stunden dauerndem, redundantem Abend (es fehlt deutlich ein Dramaturg), dass die Menschen so böse wie der Krieg sind. Und immer spielt die Musik dazu, ob Opernarie oder Stimmungsmusik. Wahr ist hier nichts, auch nicht das, was Patrick Güldenberg als Hans Frank, Generalgouverneur des besetzen Polen, zum Besten gibt:
    "Ich habe Gewalt über Leben und Tod des polnischen Volkes. Aber ich bin nicht der König von Polen. Ich behandle die Polen mit der Hochherzigkeit und der wohlwollenden Sorge eines richtigen Königs. Aber ich bin kein richtiger König. Die Polen haben sich keinen König wie mich verdient. Sie sind ein undankbares Volk."
    Fahrig, überlang und redundant
    Ach ja, der Mensch ist schlecht. Aber er ist irgendwie auch ambivalent. Weshalb auch katholische Fieberträume Malapartes aufgesagt werden, - wie der von der Kreuzigung des Christuspferdes.
    Schauspielerisch wechselt das Spiel von unerträglich zu virtuos. Aber weil sich die Szenen ohne Zentrum mit ständigen, nicht immer gleich verständlichen Rollen- und Figurenwechseln dahin ziehen, steigt der Zuschauer oft aus. Bis mal eine effektvolle Szene kommt. So, wenn Frank Büttner als Max Schmeling mit Koliken nackt auf einen Kackeimer steigt.
    Was besonders ärgert an diesem inhaltlich wie formal läppischen Abend, ist die Selbstzufriedenheit des Regisseurs Castorf. Einem Regieanfänger hätte man viele der fahrig überlang redundanten Szenen einfach um die Ohren gehauen. Große Teile des Publikums retteten sich in den Schlaf oder in und nach der Pause aus dem Haus. Wer blieb, wachte auf in den Applaus für Castorf und sich selbst. Denn wer die Volksbühne zu seiner Lieblingsbühne erkoren hat, der wagt keine Kritik. Traurig, - diese Haltung und dieser Abend.