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Bernard Buffet-Retrospektive
Die Rückkehr des Bösen

In der Nachkriegszeit war er einer der beliebtesten Künstler weltweit: Der französische Maler Bernard Buffet. Seine Bilder wurden millionenfach reproduziert – am bekanntesten sind seine traurigen Clowns, die viele Wohnzimmer und Arztpraxen dekorierten. Jetzt wagt das Pariser Musée d’Art moderne einen neuen Blick auf den viel geschmähten Maler.

Von Kathrin Hondl | 15.10.2016
    Zwei Arbeiten Bernard Buffets aus der Serie La Mort, 1999.
    Alles andere als ein Schonprogramm: Zwei Arbeiten Bernard Buffets aus der Serie La Mort, 1999. (picture alliance / dpa / © Maxppp / Annie Viannet)
    "Der Hass, der mich umgibt, ist für mich das wunderbarste Geschenk", schrieb Bernard Buffet einmal. Und weiter: "Ich muss nichts und niemanden schonen." Die handschriftliche Notiz ist am Ende der Pariser Ausstellung an der Wand zu lesen. Und tatsächlich ist diese Retrospektive alles andere als ein Schonprogramm. Zwar hängt im Musée d’Art Moderne jetzt irgendwo auch eines jener traurigen Clownkopf-Gemälde, die als Poster weltweit reißenden Absatz fanden. Doch immer wieder erlebt man beim Gang durch diese Ausstellung visuelle Schockmomente, zum Beispiel vor einem monumentalen Gemälde mit dem Titel "Les Oiseaux" – "Die Vögel", das vage an den griechischen Mythos von Leda und dem Schwan erinnert: Eine nackte Frau liegt mit gespreizten Beinen auf einem Feld, umgeben von gigantischen Vögeln, unter einem knallig bunten Himmel.
    "Das ist fantastisch. Dieser Himmel, dieses Rot, Gelb, Blau und Grün. Das ist ja wahnsinnig, wie das gemalt ist. Das hat eine richtige Präsenz", sagt Museumsdirektor Fabrice Hergott. "Das sind sehr sehr schöne Bilder. Das Thema ist unmöglich, aber das Bild ist wunderbar. Und diese Unmöglichkeit des Themas und die Schönheit des Bildes funktioniert zusammen. Das ist Buffet."
    Prophet oder Kitschmaler oder beides zusammen?
    "Kitsch will nicht gut, sondern schön arbeiten. Es geht ihm um den schönen Effekt", schrieb der Schriftsteller Hermann Broch einmal. Bernard Buffets Vögel-Gemälde scheinen wie eine Illustration dieser These. Allerdings gilt das auch für die Hochglanzkunst des aktuellen Starkünstlers Jeff Koons. Die Zeiten hätten sich eben geändert, meint Fabrice Hergott, und mit ihnen der Blick auf die Kunst von Buffet:
    "Das war Kitsch, aber der Geschmack bewegt sich. Was eine Zeit sehr schön oder kitschig findet, kann 20 oder 30 Jahre später das Gegenteil sein. Kitsch kann schön werden, und die Schönheit kann richtig Kitsch werden. Und durch Jeff Koons oder Paul McCarthy korrespondiert der Geschmack heute wieder mit den Bildern von Buffet. Deshalb könnte man sagen, dass Buffet ein bisschen wie ein prophetischer Künstler des Geschmacks von heute war."
    Prophet oder Kitschmaler oder beides zusammen? Die Retrospektive in Paris bietet jetzt die Chance, sich dem Künstler Bernard Buffet wieder neu zu nähern. Die Ausstellung zeigt, chronologisch geordnet, Bilder aus allen Schaffensperioden. Es beginnt mit den unmittelbaren Nachkriegsjahren 1945 - 55. "Miserabilismus" nannte man seinen Stil: Gemälde in fahlen, erloschenen Farben – Stillleben, die an sein großes Vorbild Gustave Courbet erinnern; wüstenhafte Landschaften mit einsamen menschlichen Gestalten, nackte junge Männer in kahlen Räumen. Es ist eine düstere, ausdrucksstarke Malerei, die von den Schrecken des Krieges genauso geprägt scheint wie vom philosophischen Existenzialismus ihrer Zeit.
    Populärer als Picasso
    Eine Malerei, für die der kaum 20-jährige Bernard Buffet damals von Publikum und auch der Kritik als neuer Stern am Kunsthimmel gefeiert wurde.
    "Er war überall. Man sieht es ja hier in der Ausstellung. In diesen 50er-Jahren gab es Fernsehsendungen mit Buffet. Er war überall. Er war viel populärer als Picasso in dieser Zeit."
    Doch der Zeitgeist ändert sich rasch. Aktionskunst, Abstraktion, Minimalismus dominieren in der Kunstwelt der 1960er- und 1970er-Jahre. Gleichzeitig werden Buffets gegenständliche Gemälde immer provokanter: Seine großformatigen, fast comicartig gemalten Bilder zeigen unerträgliche Horrorszenen aus Dantes Hölle oder, ebenso monumental, groteske Illustrationen von Jules Vernes "20.000 Meilen unter dem Meer" – und zeugen eben auch von einer enormen künstlerischen Freiheit. Da ihn die seriöse Kunstwelt ohnehin verachtete, konnte Buffet malen, was er wollte und wie er wollte. "Der Kitsch ist das Böse im Wertesystem der Kunst", meinte einst der Kitsch-Theoretiker Hermann Broch. Eine Überzeugung, die lange Zeit auch in den Museen galt – und Bernard Buffets Bilder verbannte. Aber vermutlich hatte man auch gar nicht mehr richtig hingeschaut.
    Die Pariser Retrospektive ist nun eine äußerst reizvolle Gelegenheit, genau dies zu tun: Schonungslos hinzuschauen – und die engen Grenzen des "guten Geschmacks" wenn nicht zu überwinden so doch mindestens zu hinterfragen.