Freitag, 29. März 2024

Archiv

Bernd Neumann
"Kultur berührt jeden Lebensbereich"

Bernd Neumann war viele Jahre Bundestagsabgeordneter der CDU und von 2005 bis 2013 Kulturstaatsminister. Der einstige "harte Hund aus Bremen" erinnert sich im Zeitzeugen-Gespräch unter anderem an seine Freundschaft mit SPD-Politiker Hans Koschnick und die schwierigen Verhandlungen über Raubkunst.

Bernd Neumann im Gespräch mit Rainer Burchardt | 25.09.2014
    Der frühere Kulturstaatsminister Bernd Neumann.
    Bernd Neumann war von 2005-2013 der Vorgänger von Monika Grütters als Kulturstaatsminister. (picture alliance / dpa / Tim Brakemeier)
    Er gehört zu den größten Filmfans in unserem Lande. Insofern titelte Anfang des Jahres die "Bild"-Zeitung anlässlich seiner Wahl zum Chef der deutschen Filmförderung ganz trefflich: "Einen Besseren hätte es für diesen Job wohl kaum geben können!" Die Rede ist von Bernd Neumann, geboren 1942 im westpreußischen Elbing. Nach Flucht der Familie aus der Heimat Neuanfang in Niedersachsen. Abitur in Bremen, anschließend zwei Jahre Wehrdienst. Besuch der Pädagogischen Hochschule in Bremen und dort erste Berufsjahre als Lehrer. 1962 Eintritt in die CDU. Von 1962 bis 1973 Bremer Landesvorsitzender der Jungen Union. Fast 30 Jahre lang, von 1979 bis 2008, stand Neumann der CDU in Bremen vor. Kein Landesvorsitzender amtierte länger. Dreimal war er Spitzenkandidat seiner Partei zur Bürgerschaftswahl. Seit 1987 saß er im Deutschen Bundestag. Im vergangenen Jahr trat er nicht wieder an. Bernd Neumann war von 1991 bis 1998 parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Forschung und Technologie, danach in gleicher Funktion beim Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie. In den Jahren 2005 bis 2013 war er Staatsminister bei der Bundeskanzlerin und Beauftragter der Bundesregierung für Kultur und Medien. Bernd Neumann ist verheiratet und hat zwei Kinder.
    Rainer Burchardt: Herr Neumann, Sie waren in Ihrem vorletzten Amt acht Jahre lang Kulturstaatsminister. Das heißt, Sie sind ja im Grunde genommen die erste Quelle für meine Frage: Was eigentlich ist Kultur? Man hat ja das Gefühl, es findet eine Inflationierung dieses Begriffes im Augenblick im gesellschaftlichen Bereich statt, es gibt die Kultursoziologie, es gibt die Streitkultur, es gibt die Willkommenskultur ... Ist Kultur alles?
    Bernd Neumann: Ja, natürlich ist es insofern alles, weil die Kultur in irgendeiner Weise jeden Lebensbereich berührt. Aber wenn Sie mich nach Kultur fragen, würde ich sagen, Kultur ist etwas, was in Wahrheit unsere Identität ausmacht, welches erklärt, woher wir kommen, wie wir miteinander umgehen. Kultur ist das, was eine Gesellschaft mehr formaler Art zu einer echten Gesellschaft macht. Kultur ist der Umgang miteinander und untereinander, und so gesehen kann man alles zur Kultur rechnen, wenn wir mal von den klassischen Kulturbegriffen abgehen.
    Burchardt: Kommen wir zu dem, Sie haben eben den Begriff Herkunft auch genannt, Identität. Sie selbst sind Jahrgang 1942, mit Ihren Eltern aus Westpreußen geflüchtet '45.
    Neumann: Ja.
    Burchardt: Was war damals Ihr Ziel oder was haben Ihre Eltern erzählt, wohin sie wollten? Sie sind dann ja letztendlich in Bremen zu Hause gewesen.
    Neumann: Ja, die Flucht aus Westpreußen im Januar 1945 war für meine Eltern ein sehr tiefer Einschnitt, weil es eben den Verlust der Heimat bedeutete, Heimat, in der sie aufgewachsen waren, wo sie zu Hause waren. Mein Vater war Schiffbauer, er war auf einer Werft in Elbing. Ja, wie gesagt, diese Zeit bedeutete einen tiefen Einschnitt im Leben, nicht nur, weil die Heimat verloren wurde, sondern weil wir dann danach praktisch ab Mai '45 - Gott sei Dank dann gemeinsam - fünf Jahre auf einem Bauernhof gelebt haben. Für meine Eltern, die Städter waren, war das ohnehin ein Affront als solches, beide haben in dieser Zeit als Knechte in der Landwirtschaft gearbeitet, das war ein mehr oder weniger einsamer Bauernhof in der Lüneburger Heide. Fünf Jahre ein Zimmer, das prägt schon, das war dieses, also zusammengenommen ... war für meine Eltern schon eine, ja, eine tiefe Zäsur.
    "Aber am Ende hat es mir nicht geschadet"
    Burchardt: Wenn Sie so sagen, das prägt schon: Hat es Sie da als Kind auch geprägt? Sie waren dann ja nach diesen fünf Jahren acht Jahre alt immerhin schon.
    Neumann: Ja, natürlich, in allen Dingen. In den Fragen, die die Ansprüche an das Leben darstellen ... Okay, wir hatten gerade mal so zu Essen, aber auch nicht mehr. So Dinge, bescheiden mit den Gütern, die man im Leben hat und bekommt, umzugehen, war eine dieser Eigenschaften. Später dann, ab 1950, haben wir so eine ganz kleine Wohnung gehabt, aber der Umgang im täglichen Leben, das Warten auf die Eltern, die dann zu diesem Zeitpunkt, ab 1950, täglich arbeiteten, das Alleine-zu-Hause-Sein, dies alles sind Eindrücke, die man so leicht nicht vergisst. Aber am Ende hat es mir nicht geschadet, glaube ich, denn diese Eigenschaften, die man da mitnimmt, kann man immer im Leben gebrauchen.
    Burchardt: Ein Begriff, über den wir früher gesprochen haben, inflationär, hieß Willkommenskultur. Gab es die damals? Oder, wenn Sie sagen, das war für Ihre Eltern eine Zumutung, dort als Knechte arbeiten zu müssen nach der Flucht. Relativiert sich da der Begriff Willkommenskultur, auch bezogen jetzt auf aktuelle Ereignisse?
    Neumann: Die Verbindung kann man ziehen, denn wir waren nicht willkommen, das muss man sagen. Die Mehrzahl der Flüchtlinge, die dann vielfach auch auf Bauernhöfen und woanders einquartiert wurden, wurden nicht willkommen geheißen. Deswegen gibt es ja auch den Begriff Fluchlinge, Fluch-linge! Das ist mir noch in Erinnerung. Also, man hatte den Eindruck, das wurde eher als Fluch aufgefasst, warum sind wir da, wieso kommen wir eigentlich? Die Bereitschaft zu diesem Zeitpunkt in der Mehrzahl, diese Flüchtlinge, die ja in dem Falle auch Deutsche waren, zu akzeptieren, hielt sich sehr in Grenzen. Das drückte sich im täglichen Leben auch aus, im Verhältnis zum Bauern und der Bereitschaft, für uns was zu tun. Und von dorther ist es schon eine gute Frage zu überlegen, wie ist das denn heute? Später hat sich das dann natürlich anders entwickelt und die Sprache, die gemeinsame Sprache und alles machte uns das natürlich relativ leicht, denn wir kamen ja aus demselben Kulturkreis. Aber die Bereitschaft, diese Flüchtlinge aufzunehmen, sie als Gleiche anzusehen, war nicht ausgeprägt.
    "Doch schon ein Stück Verpflichtung"
    Burchardt: Wenn Sie sagen, wie heute, kann man darüber nachdenken ... Welche Gedanken kommen Ihnen da, verglichen jetzt mit Flüchtlingen, woher die auch immer kommen und bei uns versuchen, Asyl zu finden? Wie sehen Sie das auch als Politiker, aber auch als Mensch natürlich, der Erfahrung hat?
    Neumann: Na ja, es ist eben sehr schwer, sich vorzustellen, welche Mühseligkeiten, Strapazen diese Leute hinter sich haben, wenn wir mal davon ausgehen, dass tatsächlich Leute auch asylberechtigt sind. Uns ging es ja ähnlich, wir sind ja vor den Russen geflohen, wir hatten ja Angst. Wir sind aus Elbing weggegangen, als die ersten russischen Panzerspitzen in Elbing waren, das war ja ... Und die Angst war ja auch in irgendeiner Weise berechtigt. Das wiederholt sich und das führt doch schon bei mir dazu, dieses Problem von Flüchtlingen großzügig zu sehen und zu sagen, das ging uns auch mal so. Und jetzt kommen da Leute, die darüber hinaus zum Teil auch die Sprache nicht können, und daraus resultiert doch schon ein Stück Verpflichtung, die man diesen Leuten entgegenbringen muss.
    Burchardt: Welchen Einfluss hatte denn, wenn wir jetzt auch den Bogen wieder in die relativ jüngste Aktualität schlagen, welchen Einfluss hatte denn dieses Erlebnis etwa bei Ihrer Entscheidung auch, endlich den Durchbruch zur Errichtung eines Zentrums für Flucht und Vertreibung in Berlin zu fällen? 2016 soll es ja fertig sein.
    Neumann: Zum einen kann ich für mich in Anspruch nehmen, dass es mir trotz vieler Widernisse gelungen ist, es überhaupt so weit zu bringen, dass das eingerichtet wird. Ja, ich halte das Anliegen für berechtigt, nach dieser Zeit des Leids, nach dieser Zeit vieler Vertreibungen sich auch mit diesem Thema zu befassen. Dieses Thema Vertreibung und insbesondere Vertreibung auch der Deutschen war ja über viele Jahre eher ein Tabu.
    Burchardt: Ja, hat Frau Steinbach, Ihre Parteifreundin, hat die das nicht ein bisschen sehr auch überzogen beurteilt und versucht zu promovieren?
    Neumann: Ja, Frau Steinbach hat zum einen das Verdienst, dass darüber geredet wird und überhaupt geredet wird, und sie hat ja diese Initiative zum Zentrum für Flucht und Vertreibung, gemeinsam übrigens mit Peter Glotz, dem Sozialdemokraten, ins Leben gerufen. Und von dorther war es richtig. Gleichzeitig war sie auch Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen, da ist es natürlich häufig auch gar nicht vermeidbar im Hinblick auf Wahlen und Wiederwahlen und im Hinblick auf die Artikulation, deutliche Töne von sich zu geben. So aber, ich glaube, dass sie schon einen entscheidenden Anteil hat, dass a) diese Thematik behandelt wird und b) dass sie auch im friedfertigen Sinne behandelt wird. Und mein großes Ziel war es ja, dass ich dieses Zentrum gegen Vertreibung zum einen nicht nur beschränken wollte auf die Vertreibung der Deutschen - das wird einen wichtigen Anteil haben -, aber auch die Vertreibung anderer, die wir in den zurückliegenden Jahrzehnten hatten. Und das mein...
    "Vertreibung nicht in dem Sinne des Revanchismus"
    Burchardt: Ist das in der Diskussion zu kurz gekommen, vorher?
    Neumann: Ja, dass das sozusagen nicht die Aufgabe des Bundes der Vertriebenen war, leuchtet ein, denn die waren ja für die Vertreibung der Deutschen zuständig. Aber es ist möglicherweise in der Diskussion früher zu kurz gekommen. Warum: Weil ich wollte, dass wir diese Einrichtung mit Zustimmung der Polen schaffen. Das war mein Hauptziel. Ich bin mehrfach in Polen gewesen und letztlich konnte ich erreichen, dass die diesem Zentrum zustimmen. Dass wir polnische Wissenschaftler dabei haben. Das ist ja auch der Sinn, wir wollen ja Vertreibung nicht in dem Sinne des Revanchismus machen, sondern wir wollen mit auch der deutschen Vertreibung zeigen, wozu Krieg und alles, was damit zusammenhängt, führen kann, dass das die Folgen kriegerischer Auseinandersetzungen sind.
    Burchardt: Also aktueller denn je.
    Neumann: Aktueller denn je. Und deswegen glaube ich, insbesondere weil wir auch Vertreibung anderer, also auch von Polen und sonstigen Europäern dort einbeziehen werden in dieses Zentrum der Vertreibung, dass das eine Einrichtung wird, die eher dem Frieden in Europa dient, als sie ihm schadet. Und das war das Ziel und das ist auf den Weg gebracht. Gut, ich hätte gern auch noch die Einweihung selbst wahrgenommen, aber das werden dann andere machen, aber ...
    Burchardt: Aber Sie werden eingeladen.
    Neumann: Ich werde wahrscheinlich eingeladen! Aber das war die Absicht.
    Eintritt in die Junge Union plus CDU, Beziehungen zu Hans Koschnick und das Image des Hardliners aus Bremen
    Burchardt: Wie haben Sie Ihre Kindheit dann erlebt in der Schule, dann aber auch im Studium? Sie haben ja auf Lehramt studiert und sind dann auch einige Jahre Realschullehrer in Bremen gewesen.
    Neumann: Ja, meine Kindheit oder besser gesagt meine Schulzeit war normal wie bei allen anderen. Ich habe schon immer politisches Interesse gehabt, auch kulturelles Interesse. Mir fällt immer wieder dann ein, wenn ich über die Kultur rede, dass ich bereits in der Oberstufe des Gymnasiums einen Arbeitskreis Film gegründet hatte damals und habe immer Filme gezeigt. Ich erinnere mich noch an den tollen Film, "Wir sind alle Mörder" von André Cayatte, das ist ein Schwarz-Weiß-Film, ein ganz großartiger Film. Also, das habe ich da schon gemacht. Und politisch war ich allzumal interessiert, auch in der Schülermitverantwortung tätig. Das sind dann ja auch solche Typen, die Sie dafür gebrauchen können, dass man also sich nicht nur interessiert, sondern auch bereit ist, Verantwortung zu übernehmen. Aber das war eine völlig normale Schulzeit. Ich bin dann aber nach dem Abitur praktisch dann parallel laufend zu meiner Bundeswehrzeit, die ich gemacht habe, zwei Jahre habe ich gemacht, bin ich dann in die CDU und Junge Union eingetreten.
    Burchardt: Da waren Sie gerade 20 Jahre alt.
    Neumann: Ja, ich bin jetzt ...
    Burchardt: War das aus Oppositionsgründen? Denn in Bremen und der Umgebung - oder in Bremen und umzu, sagt man ja - war ja die die SPD auch mit Wilhelm Kaisen damals aus der Tradition heraus schon lange am Ruder!
    Neumann: Ja, nun ... Nein, ich glaube, dass das nicht der direkte Anlass war, sondern ich war zu dem Zeitpunkt und auch schon vorher, soweit ich mich politisch zurückerinnern kann, beeindruckt von der Persönlichkeit Konrad Adenauers ...
    "Es war eher ein konservatives Elternhaus"
    Burchardt: Der gerade noch ein Jahr zu regieren hatte.
    Neumann: Ja, den gab es ja noch bis 63, da ist er zurückgetreten. Der hat mich geprägt. Mein Vater war nicht ausgesprochen politisch tätig, aber hat so ein Stück mit dem BHE zu tun gehabt, mit der Deutschen Partei und so weiter. Das heißt, es war eher ein konservatives Elternhaus. Und dies zusammengenommen ergab dann bei mir das Ergebnis, dass ich Lust hatte, irgendwie politisch was zu machen, und bin ohne jede Ansprache im Übrigen, mich hat keiner geworben, bin damals dann 1962 in die CDU und gleichzeitig auch in die Junge Union eingetreten. Und bin dann ja auch sehr schnell aktiv geworden. Aber das hatte weniger mit Bremischen Dingen zu tun. Die haben mich dann anschließend auch geärgert über viele Jahre, aber das hatte damit direkt nichts zu tun.
    Burchardt: Ja, in der CDU hatten Sie ja Führungspositionen als Landesvorsitzender, Sie waren vorher Vorsitzender der Jungen Union, Sie sind dann in den Bundestag gewählt worden ...
    Neumann: Ich war 29 Jahre Landesvorsitzender, hat es noch nie gegeben irgendwo in Deutschland.
    Burchardt: Ja, schön.
    Neumann: Ja.
    Burchardt: Dreimal sind Sie auch als Spitzenkandidat Ihrer Partei angetreten, aber immer gegen Hans Koschnick, der ja nun eine Bremer Institution war so wie Werder etwa.
    Neumann: Genau so war es! Hans Koschnick wurde damals in der SPD ganz hoch gehandelt, er war ja auch stellvertretender Parteivorsitzender und wurde zu allem Möglichen für fähig gehalten. Hans Koschnick war in Bremen, ich hätte beinahe gesagt, fast wie Werder.
    Burchardt: Gegen jeden anderen hätten Sie gewonnen, nach Ihrer Meinung?
    Neumann: Ich glaube, damals auch nicht, weil - das ist immer die Entschuldigung von Leuten, die es aus der Opposition nicht schaffen -, aber wir dort eine Struktur hatten, soziologische Struktur, so ähnlich, sagen wir mal, wie Gelsenkirchen, da haben sie es zwar auch mal geschafft oder in Duisburg, aber die doch relativ einseitig strukturiert war, sodass es da schwer war, immer schwer war für die CDU, Fuß zu fassen. Die CDU als solche wurde auch später gegründet als woanders und in Bremen war das C, welches wir in unserem Namen haben, eher störend als hilfreich. Wenn Sie über den Tellerrand hinausschauen, 20 Kilometer weiter nach Cloppenburg/Vechta, in dem Bereich, viel Landwirte, katholische Gegend, ja, da haben die Wahlergebnisse immer noch die höchsten, über 70 Prozent bei einer Bundestagswahl oder 60 Prozent ...
    "Gegen Hans Koschnick war es nun doppelt schwer"
    Burchardt: Ganz schwarz wird's in Paderborn, klar.
    Neumann: Ja, Paderborn, bei Barzel auch, da war es ja ähnlich. Also, wollen wir uns nichts vormachen, da spielen schon die soziologischen Gegebenheiten eine Rolle. Aber trotzdem, gegen Hans Koschnick war es nun doppelt schwer. Ich lege darauf wert: In meiner Zeit als Landesvorsitzender in Bremen haben wir es ja auch erreicht, in die Koalition zu kommen, das war im Wesentlichen auf der einen Seite Henning Scherfs Werk und auf der anderen Seite politisch mein Werk. Wir haben zwölf Jahre mit den Sozialdemokraten zusammen regiert und das waren nicht die schlechtesten Jahre. Das Erreichen überhaupt der Regierungsfähigkeit war auch nur über die Große Koalition möglich, aber wir haben es immerhin erreicht. Und ... Aber nun gut, Hans Koschnick zur damaligen Zeit, wie gesagt, war damals so gut wie Werder, das trifft heute leider nicht mehr zu, heute ... Heute können Sie auch bei Werder nicht mehr von sicheren Dingen ausgehen.
    Burchardt: Sie galten damals ja als Hardliner, Bernd Neumann in Bremen, das war schon stramme CDU-Richtung. Und war trotz alledem Ihr Verhältnis zu Koschnick entspannt oder wie lief das damals eigentlich? Saß man mal beim Bier zusammen und sagte, jetzt müssen wir gemeinsam das durchziehen oder du bist da auf der falschen Fährte, oder Sie? Ich weiß nicht, haben Sie sich geduzt?
    Neumann: Ja, ich war ... Kann man sagen, ein harter Hund? Was heißt das? Ich wollte die sozialdemokratische Mehrheit, wo man nebenbei immer sagt, du kannst einen Besenstiel aufstellen, in Bremen wird SPD gewählt, daran habe ich nur bedingt geglaubt, ich wollte sie brechen! Und war jung und habe allen Möglichen den Kampf angesagt und war insofern ein richtig agiler und harter Oppositionsführer.
    "Ein sehr freundschaftliches Verhältnis zu Hans Koschnick"
    Burchardt: Während der Krise um die Vulkan-Werft sah man einen weinenden Hans Koschnick bei einer Mitarbeiterbesprechung. Hätten Sie sich in dieser Rolle ebenso gesehen?
    Neumann: Ja, ich will noch einen Satz zusätzlich sagen: Ich galt als jemand, der wirklich prononciert Opposition macht. Aber ich hatte auch in all den Jahren ein gutes Verhältnis. Also, mehr als heute haben wir miteinander ein Bier getrunken. Hans Koschnick - ich war Oppositionsführer - hat mich auf fast alle seine Reisen mitgenommen. Wir sind also aufgetreten gemeinsam zum Beispiel in Danzig, wir haben die erste Partnerschaft mit Danzig gemacht. Wir sind in Amerika gewesen, ich war mit Hans Koschnick vielfach in Israel, wir haben da so einen Kulturfonds Haifa-Bremen, da war ich Mitglied. Und eine solche Situation führt natürlich dazu, dass Sie einerseits wissen, dass Sie auch kämpfen müssen, und das wurde auch akzeptiert, aber andererseits zunehmend ein gutes ... ich behaupte sogar, wenn ich die letzten Jahre nehme: ein sehr freundschaftliches Verhältnis zu Hans Koschnick gehabt habe. Und in der Zeit, als die AG Weser pleite ging, das war '83, und Hans Koschnick dort weinend vor den Arbeitern saß, hatten wir insgeheim an sich schon vor, wir beide, eine Koalition zu machen. Und dachten, das Wahlergebnis würde '83 so. Und wissen Sie was, das Wahlergebnis führte dazu, sein Weinen, dass der die absolute Mehrheit bekam.
    Burchardt: Das war nicht in Ihrem Sinne, vermute ich mal.
    Neumann: Das war nicht in meinem Sinne. Und ich erinnere mich noch heute, wir gingen dann in die Fernsehstudios, die FDP fiel raus, die fand nicht mehr statt, die Grünen spielten da noch nicht die Rolle, die waren zwar schon im Parlament seit '79, und wir gingen dann beide zu den Fernsehstudios, er erzählte immer, dieses Ergebnis habe Bernd Neumann nicht verdient! Also, ich hatte 33 oder 34, war für heutige Verhältnisse auch schon schön, heute freuen Sie sich ja schon über 33, 34, die gibt es ja inzwischen in den CDU-trächtigen Ländern sogar und nicht mehr. Aber damals war es eben nicht ausreichend. Na ja. Das war eine Zeit in Bremen, die mir doch sehr viel gegeben hat auch im Hinblick darauf, dass Sie sich hart auseinandersetzen können.
    Aber ich habe versucht, nie Feinde zu haben oder Feinde zu schaffen, und habe den Umgang mit dem politischen Gegner immer gepflegt. Und das setzte sich allerdings dann auch fort über Wedemeier, der nicht so lange Bürgermeister war, da war das anders, aber noch enger, bei Hans Koschnick war das mehr so die Vater-und-Sohn-Rolle, bei Wedemeier war das auf Augenhöhe. Und später habe ich ja dann mit Henning Scherf diese Koalition gebastelt. Auch da hatte ich bei Scherf in seinen früheren Zeiten, da war er ultralinks, mindestens zwei- oder dreimal seinen Rücktritt im Parlament gefordert. Aber als wir dann zusammenkamen 1995, stellten wir sehr schnell fest, dass wir gemeinsam für Bremen was tun wollten. Das hat Bremen auch gut bekommen und da war das eine wirklich freundschaftliche Beziehung, unbeschadet dessen, dass ich immer den Ehrgeiz hatte, aus der CDU noch mehr machen zu wollen.
    Kulturstaatsminister in Berlin, die Beutekunstdebatte und der Fall Gurlitt
    Burchardt: Herr Neumann, es gibt nicht wenige, die auch bei mir bei vorbereitenden Gesprächen gesagt haben, Sie haben das selber ja auch bestätigt, der war damals ein harter Hund oder jemand, an dem ging kein Weg vorbei, wenn es um CDU-Politik ging, der sich völlig verändert hat im Amt in Berlin. War denn Ihre Erfahrung auch vielleicht mit den Kooperationen mit den Sozialdemokraten für Sie so ein bisschen auch das Trainingslager für Ihr Amt dann auf Bundesebene?
    Neumann: Glaube ich schon. Das sind Erkenntnisse, die man dann gewonnen hat, die am Ende dazu führten, dass ich zwar - das lässt sich ja nicht bestreiten - CDU-Minister war, aber gleich zu Beginn meiner Amtszeit im Jahr 2005 erklärt habe: Die Kultur kann im Grunde riesige Auseinandersetzungen intern nicht gebrauchen. Wir brauchen eine viel stärkere Lobby für die Kultur. Und dann so etwa erklärt habe: Ich kenne nur die Kultur, ich kenne keine Parteien. Das kann man so im übertragenen Sinne sagen, das habe ich nicht nur auf die Sozialdemokraten bezogen, sondern ich habe es mit allen so gehandhabt. Dass mir klar war: Wenn du da was erreichen willst und die Lobby für die Kultur im Hinblick auf andere Bereiche hält sich nach wie vor in Grenzen, insbesondere dann, wenn es ums Geld geht, dann erreichst du nur etwas, wenn du möglichst von allen getragen wirst. Und deshalb habe ich in dem Sinne auch keine parteipolitische Kulturpolitik gemacht. Es ist auch höchst schwierig, wenn ich Ihnen da im Einzelnen die Unterschiede erklären sollte, wenn ich jetzt die Sozialdemokraten einmal nehme. Ich habe auch in der Zeit nach der ersten Koalition mit den Sozialdemokraten, als wir mit der FDP zusammen waren, auch mit den Sozialdemokraten weitergearbeitet. Ich hatte ein enges Verhältnis zu Thierse. Also, die Tatsache, dass wir zum Beispiel dieses Zentrum gegen Vertreibung hinbekommen haben, kann man auch ein Stück Herrn Thierse verdanken.
    Burchardt: Wolfgang Thierse ist ja der Vorsitzende des SPD-Kulturforums. Und auf der anderen Seite galt es ja damals, als die Wahl auf Sie fiel dann bei Schwarz-Gelb, war ja auch Herr Lammert im Gespräch. Und dem war Kultur offensichtlich - so liest man es jedenfalls - eine Nummer zu klein. Und er hat dann Ihnen den Vortritt gelassen, weil er lieber Bundestagspräsident werden wollte. So ist es zu lesen, Herr Neumann, Sie können das gerne berichtigen.
    Neumann: Nein, es ist im Ergebnis richtig, aber in der Reihenfolge nicht ganz. Das war 2005. Bis 2005 waren wir in der Opposition und ...
    "Gemeinsam in der Zeit Kulturpolitik für die CDU gemacht"
    Burchardt: Ja, ich meine die schwarz-gelbe Zeit, klar.
    Neumann: ... waren wir in der Opposition. Lammert war der kulturpolitische Sprecher von uns, ich war sein Stellvertreter. Also, wir beide haben gemeinsam in der Zeit Kulturpolitik für die CDU gemacht, er mehr im klassisch-kulturellen Bereich, ich mehr im Medienbereich. Und Lammert kandidierte auch auf der sogenannten Ministerliste von Frau Merkel im Jahr 2005 unter dem Bereich Kultur. Und dann war die Wahl vorbei, es war klar, dass Angela Merkel Bundeskanzlerin würde. Und da zeigte sich eben die Entwicklung, dass Herr Lammert Präsident des Deutschen Bundestages werden konnte. Ich habe dafür Verständnis, dass Lammert dann in dieser Situation den Präsidenten des Bundestages übernommen hat. Aber das muss ich nun sagen, nach wie vor auch enger Begleiter, ich habe viele Dinge mit Lammert gemeinsam gemacht. Da kann man nicht sagen, der war sich zu schade dafür. Lammert ist durch und durch ein Kulturmensch. Sondern wenn ich gefragt worden wäre, wollen Sie Bundeskanzler werden oder Kulturstaatsminister, hätte ich mindestens so lange ich dieses Amt nicht gemacht habe, immer gesagt, Bundeskanzler. Verstehen Sie, das ist ja eine gewisse Verantwortung, die man übernimmt. Und wenn sie dann noch gewichtiger ist, kann man sich für das andere entscheiden, das hat also nichts mit dem Eigentlichen zu tun, dass Lammert nicht für die Kultur ausgesprochen engagiert ist.
    Burchardt: Trotzdem bringt mich das natürlich zu der Frage: In den sieben Jahren der Regierung Schröder, also von '98 bis 2005, gab es drei Kulturstaatsminister, Herrn Nida-Rümelin, Frau Weiss und Herrn Naumann.
    Neumann: Naumann, Nida-Rümelin und Weiss.
    Burchardt: Die drei jedenfalls, die auch nach relativ kurzer Zeit ihr Amt aus unterschiedlichen Gründen auch aufgaben. Sie sind acht Jahre in Ihrem Amt verblieben, dann haben Sie auch freiwillig gesagt, ich mache nicht weiter. Sie hätten ja sogar noch weitermachen können. Ist da eine gewisse Unterschätzung bei den Sozialdemokraten dann auch vorhanden gewesen für dieses Amt, und mussten Sie dann erst kommen um zu sagen, so, jetzt packen wir die Sache mal richtig an? Oder waren die Bedingungen vielleicht besser? Sie haben ja auch bei Ihrem Abschied dann gesagt, wir haben den Kulturetat verhältnismäßig hoch aufgestockt.
    Neumann: Ja, von den Sozialdemokraten hing das ja damals nicht ab, es war klar, dass den Vorschlag für den Staatsminister im Kulturbereich die Bundeskanzlerin macht, und da sie 2005 eben von der CDU gestellt wurde, die Kanzlerin, war klar, dass das ein CDU-Vorschlag würde. Insofern gab es da keine besonderen Einflüsse. Ja, das war die generelle Frage, wie ein Staatsminister für Kultur eigentlich strukturiert sein muss, wie er sein Amt sieht und was er vorhat.
    "Die Beherrschung des klassischen politischen Handwerks unverzichtbar"
    Burchardt: Braucht der politische Fronterfahrung? Sie waren ja, wenn man die drei nimmt ...
    Neumann: Und die drei Kollegen, die ich alle schätze - und ich habe mit allen auch noch Kontakt -, kamen aus dem klassisch-kulturellen Bereich. Der eine war Verleger, die Frau Weiss war Kulturdozentin und Herr Nida-Rümelin war im philosophischen Bereich tätig. Ich glaube, dass, so sehr dies von Vorteilen sein kann in bestimmten Dingen, die Beherrschung des klassischen politischen Handwerks unverzichtbar ist, weil wenn Sie nicht Kontakte haben, wenn Sie nicht in der Partei verankert sind, dann wird es schwer, irgendwas umzusetzen. Und ich war im kulturellen Bereich nicht so gebrieft wie die drei anderen Kollegen zu Beginn ihrer Amtszeit, aber ich hatte lange politische Erfahrung, auch schon mit Kultur zu tun gehabt, aber meine eigentliche Erfahrung bezog sich darauf, dass ich das klassische politische Handwerk über Jahre gelernt habe, dass ich meine Connections hatte. Sodass, als ich in dieses Kabinett kam, sagen wir mal, mein Standing eher aus den anderen Bereichen hatte. Nicht wegen der Kultur, sondern ich hatte mir das auf anderen Ebenen erworben. Und jetzt kam die Kultur, und das Positive war, dass ich dann auch sofort Gehör hatte, dass ich von den Kollegen, von den Haushältern ernst genommen wurde. Das hat mir sehr, sehr geholfen. Und das hat eben auch nicht dazu geführt, dass ich jemals in diesen acht Jahren die Absicht hatte, mein Amt vorzeitig aufzugeben.
    Burchardt: Gesundheitliche Gründe.
    Neumann: Die kamen am Ende dazu, nein. Ich habe dann zu Beginn des letzten Jahres - jetzt haben wir 2014 -, 2013 Frau Merkel erklärt, dass ich mir vorgenommen habe, nach so vielen Jahren ... 27 Jahre Deutscher Bundestag, ging dann schon im Jahr 2014 auf die 72 zu, habe ich gesagt, ich habe mir das überlegt und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass es klug ist zu gehen. Ich wollte auch immer zu einem Zeitpunkt gehen, wo wahrscheinlich die Leute noch sagen, schade, dass er geht! Denn irgendwann wird es so sei, dass Sie dann doch gemobbt werden und gefragt wird, wann geht er endlich? Das wollte ich nicht, sondern ich wollte das abschließen als eine für mich wunderbare, schöne Zeit. Und die Krankheit in den letzten drei Monaten kam zusätzlich, die hat aber mit meinem Entschluss nichts zu tun. Wäre schöner gewesen, ich hätte die letzten drei Monate auch noch amtsausführend sein können, aber ich habe in all den Jahren das nie bereut.
    Burchardt: Herr Neumann, wir können sicher nicht, auch wegen der Sendezeit, alle Baustellen erörtern im Einzelnen, mit denen Sie zu tun gehabt haben in diesen acht Jahren! Es waren ja im wahrsten Sinne des Wortes auch Baustellen dabei, denkt man mal an die Denkmalpflege zum Beispiel. Aber eine der wesentlichen Baustellen aus meiner Sicht war die Kontroverse um die Beutekunst, mit Russland. Ist ja eigentlich bis heute nicht richtig befriedigend gelöst. Hätte man da mehr machen können oder waren Ihnen da die Hände gebunden, vielleicht aus suprapolitischen Gründen?
    Neumann: Nein. Mir waren nicht die Hände gebunden und in diesen acht Jahren habe ich in der Regel zweimal, wenn ich den Schnitt nehme, die Möglichkeit gehabt, in gemeinsamen Konferenzen oder in einzelnen Konferenzen mit den russischen Kulturministern zu sprechen. Ich habe mittlerweile da auch eine Reihe von verschiedenen Leuten erlebt. Und ich habe jedes Mal auf die Tagesordnung das Thema, genau genommen, Rückführung kriegsbedingt verlagerter Kulturgüter - so ist der ...
    Burchardt: Neutraler Titel!
    Neumann: Ja, so kommen die Russen besser klar, also Beutekunst, wo das als solche ja zu bezeichnen ist, ich habe das jedes Mal drauf setzen lassen! Ich habe mich auch ...
    "Dann gab es eine Wende, die hängt auch mit Putin zusammen"
    Burchardt: Sie sind aber nicht weitergekommen!
    Neumann: Nein, bis auf kleine Dinge. Also, die Fenster der Marienkirche, die letzten sechs, haben wir dann noch mal rübergeholt, aber ich habe auch Arbeitsgruppen einsetzen lassen. Aber das Klima änderte sich auch. Es war eine Zeit so um die 1990 herum, wo auch die russischen Gesetze, die Gesetze der Duma einen solchen Austausch zuließen, wo wir ein Stück dachten weiterzukommen. Und in Bremen gibt es zum Beispiel die sogenannte Baldin-Sammlung, die fällt noch nicht mal klassisch unter das Beutekunstgesetz. Und da war ich schon der Auffassung, das müsste jetzt zu erreichen sein. Und dann gab es eine Wende, die hängt auch mit Putin und anderen zusammen, wo die dann regelrecht beschlossen haben, dass diese Beutekunst, diese kriegsbedingt verlagerten Kulturgüter unter anderem als Entschädigung für die riesigen Verluste zu gelten haben, die Russland im Zweiten Weltkrieg mitbekam. Und das war nie zu ändern.
    Und ich war ja auch in den Museen, wir haben es dann erreicht, dass, wenn die sogenannte Beutekunst schon nicht zurückgeführt wird, dass wir sie versuchen, aus den russischen Archiven zu holen. Wir haben beispielsweise vor vier oder fünf Jahren eine Merowinger-Ausstellung gemacht, und von dieser Merowinger-Ausstellung in russischen Museen war die Hälfte der Ausstellungsgüter, also etwa 700, kamen aus dem Museum für Früh- und Vorgeschichte, hier bis '45 noch in der Form existierend bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Also, das haben wir erreicht, sodass wenigstens die gezeigt werden können. Auch nicht durchgehend, aber einige Stücke gezeigt werden können. Aber mehr war nicht drin. Man muss da Geduld haben, vielleicht gibt es eine neue Generation, die das anders sieht, aber im Grunde konnte man nicht mehr erreichen.
    Burchardt: Zu Ende Ihrer Amtszeit - noch ein Stichwort, das heißt Gurlitt - gab es diesen Milliardenfund in dieser Wohnung in München. Wie haben Sie das eigentlich gehandelt oder beurteilt von Regierungsseite her? Oder haben Sie gesagt, damit haben wir nichts zu tun, das ist Privatangelegenheit?
    Neumann: Nein, ich habe ja auch - das ist dann etwas untergegangen - mich um den Bereich der Restitution bemüht, als ich ins Amt kam.
    Burchardt: Auch Provenienzfragen?
    Neumann: Ja. Ich habe mich darum bemüht, wir kamen 2005 auf eine Museumslandschaft, wo gesagt wurde, jetzt muss aber mal Schluss sein, wir können das ja nicht ewig machen oder da muss es mal ein Gesetz geben. Und habe in einer Runde mit Museumsdirektoren erreicht, dass wir sagen: Nein, das, was da unrechtmäßig noch erkannt wird und in den Museen ist, das muss zurückgegeben werden! Und habe extra in diesem Zusammenhang einen Fonds eingesetzt zur sogenannten Provenienzrecherche und Forschung, der mit einer Million anfing und dann erhöht wurde. Und in diesem Zeitpunkt wurden wir auf internationalen Konferenzen lobend erwähnt, dass wir überhaupt da was tun. Also, das lief schon. Und dann kam diese Gurlitt-Sache, das war ja völlig unvorstellbar. Also, das konnte ich mir erst mal gar nicht, das konnte ich gar nicht begreifen.
    "Ein solches Unrecht kann nicht verjähren"
    Burchardt: Eine Variante der Beutekunst!
    Neumann: Ja, so. Aber ... Abgesehen mal von marginalen Fehlern, grundsätzlich konnten Sie da ja so erst mal gar nicht rankommen, finde ich, dass jetzt richtig entschieden worden ist von Frau Grütters, sukzessive dies durchzugehen und festzustellen, wo handelt es sich um die notwendige Restitution, wo nicht. Es wird nicht für alle Bilder gelten, aber für eine Reihe von Bildern. Und dass wir die, wie es sich gehört, zurückgeben. Denn ich finde, ein solches Unrecht kann nicht verjähren, das war immer meine Auffassung.
    Burchardt: Frau Grütters ist Ihre unmittelbare Nachfolgerin, nur zur Vollständigkeit halber.
    Neumann: Der Föderalismus im Bereich der Kultur, der trägt zu unserer Vielfalt bei, und der Bund ergänzt dies. Und dies soll auch so bleiben.
    Sprecher: Chef der Filmförderung, Urheberrechtsprobleme im digitalen Zeitalter und die Frage der Kulturhoheit.
    Burchardt: Sie sind aktiv geblieben, Sie sind jetzt der oberste Filmförderer und Film war sowieso immer Ihre stille oder auch weniger oder mehr laute Leidenschaft. Wie fühlen Sie sich in diesem Amt und was haben Sie vor, da zu machen?
    Neumann: Erst mal, finde ich, ist es ein schönes Amt, weil es mir ermöglicht, die Tätigkeit, mit der ich mich auch schon vorher beschäftigt habe, fortzusetzen. Denn was diesen Bereich angeht, gibt es eine ganz lange Geschichte, an der ich mitgewirkt habe in Konferenzen, Jurys, Drehbuchförderungsentscheidungen, die 20 Jahre zurückgehen. Das heißt, es war für mich nicht durch das Amt ein neuer Bereich, und jetzt bin ich in diesem Job dafür auch entscheidend mitverantwortlich. Das erleichtert auch ein wenig den Rückzug insgesamt. Denn stellen Sie sich das nicht so einfach vor: Wenn Sie dann acht Jahre haben gestalten können und dann von heute auf morgen das doch anders ist, dann ist es doch für mich eine, wie soll ich mal sagen, eine schöne Sache, ein Stück noch auch politisch oder filmpolitisch tätig sein zu können.
    "Der deutsche Film muss sich nicht verstecken"
    Burchardt: Darf der deutsche Film hoffen jetzt vielleicht auf mehr Preise? Man sprach ja jetzt nicht nur fünf Jahre lang von einer gewissen Krise im deutschen Film. Obwohl die deutschen Filme gar nicht so schlecht sind, aber die internationalen Anerkennungen blieben ja weitgehend aus.
    Neumann: Erstens können wir mit der mächtigen Dominanz amerikanischer Filme nicht konkurrieren. Ich meine nicht die Qualität, sondern da haben die vom Markt her ganz anderes Ausbreitungsvolumen und in der Regel sind ja 60 Prozent und mehr, werden ja durch amerikanische Produktionen in deutschen Kinos zur Verfügung gestellt. Wir konzentrieren uns auf den Prozentanteil, eine Art Nische, die wir mit deutschen Produktionen füllen können, und da sind wir ganz erfolgreich. Ich glaube auch, dass der deutsche Film, was die Schauspieler, die Regie angeht, die Dramaturgie angeht, sich nicht verstecken muss, dass wir gute Produktionen haben. Die haben natürlich nicht das Gewicht, in Amerika gibt es kaum einen Film, der unter 50 Millionen ausmacht, und vielfach sind die dreistellig. Bei uns haben wir Filme in der Regel in einer Größenordnung zwischen vier, fünf und sechs Millionen im Normalbereich, manche tiefer. Und das sind Einschränkungen. Ich glaube trotzdem, dass sich der deutsche Film schon sehen lassen kann, dass wir auch zunehmend internationale Erfolge haben. Die sind natürlich in dem Rahmen, den ich genannt habe. Und das zu verbessern und weiter zu verbessern ist meine Aufgabe. Aber Garantien auf Ergebnisse sollte man besser nicht abgeben.
    Burchardt: Vor einigen Wochen, Herr Neumann, gab es aufsehenerregende Unterschriftensammlungen sowohl in den USA als auch in Deutschland, wo Schriftsteller Front machten gegen Amazon. Sie selber sind ja auch, wenn man so sagen darf, der Erfinder der Urheberrechtsnovelle. Ist da eigentlich die Autorenschaft gerade im literarischen Bereich durch die neuen auch - man muss ja sagen - ökonomisierten Bedingungen im Buchhandel oder auch in der Vermarktung gefährdet?
    Neumann: Ja, das muss man einfach feststellen. Generell haben wir ja durch die Möglichkeit illegaler Kopien im Internet eine Gefährdung im Urheberrecht generell, das betrifft alle Bereiche. Und die Vorgehensweise von Amazon und auch vergleichbaren anderen können dazu führen, dass die Vielfalt im deutschen Buchhandel gefährdet ist. Und dazu müssen wir was einfallen lassen.
    Streitfrage Medienminister
    Burchardt: Ihr Stichwort Internet bringt mich natürlich noch zu einer Schlussfrage: Sie sind ja als Kulturstaatsminister auch für Medien verantwortlich gewesen, aber nach wie vor gibt es dieses Verantwortungsfeld. Muss man nicht prinzipiell mal dann doch darüber nachdenken, dass angesichts der Globalisierung und auch der Ökonomisierung der Kulturen insgesamt - man spricht ja inzwischen auch von Kulturmanagement und dergleichen, man entlehnt ja vieles jetzt aus der klassischen ökonomischen Managementkultur ab -, dass man vielleicht zu einem Medienminister kommt in Deutschland?
    Neumann: Na ja, einerseits reizt alles, was die Zuständigkeiten komprimiert. Aber es ist ja nicht zu bestreiten, dass, wenn Sie das Thema Medien nehmen, das doch sehr verteilt ist. Also, Sie haben den Bereich Telekommunikation, der ist mehr bei Wirtschaft, Sie haben den Bereich Urheberrecht, das werden Sie auch nicht ändern, der ist im Bereich von Justiz, und Sie haben die klassische Kultur, die in meinem bisherigen Ministerium war. Und das wird auch so bleiben. Und von dorther bringt es ja nur etwas, wenn der sogenannte Medienminister eine gebündelte Verantwortung hat. Wenn die dann möglich wäre, ist das sehr zu überlegen. Da ich aber nicht glaube, dass diese Veränderung im Hinblick auf die Zuständigkeiten realistisch ist, bin ich eher dafür, dass man trotzdem Dinge gemeinsam macht, dass man sie bespricht. Und da ist nach wie vor auch in Verbindung mit den Ländern Verbesserungsbedarf da.
    Aber jetzt hat es ja gerade eine große Pressekonferenz gegeben, das ist ja schon in die Richtung von Thomas de Maizière, Gabriel und dem Verkehrsminister im Hinblick auf die Datenfrage: Solche Zusammenarbeit ist unverzichtbar, wenn wir wollen, dass wir auch gezielter medienmäßig tätig werden. Aber Sie werden die unterschiedlichen Zuständigkeiten kaum beseitigen können, die gibt es ja auch in anderen Ländern. Und deswegen würde man sich was vormachen, wenn man nun ausdrücklich einen Medienminister ernennt. Ich finde, die Konstruktion ist gar nicht so schlecht, den Staatsminister für Kultur und Medien zu haben, weil der dann natürlich versucht - und ich habe das auch gemacht -, ein Stück zu bündeln und zu einem geschlossenen Ergebnis zu kommen, ohne die verschiedenen Zuständigkeiten beseitigen zu können.
    "Über die Kultur hat sich ja der Föderalismus entwickelt"
    Burchardt: Wenn man gerade von den verschiedenen Zuständigkeiten im kulturellen Bereich spricht, fällt mir natürlich ein, dass man von einer Kulturhoheit der Länder nach wie vor, die ja verfassungsmäßig verankert ist, spricht. Einer Ihrer Vorgänger, Michael Naumann, hat mal gesagt, das ist Verfassungsfolklore. Und eigentlich Hoffnung geweckt, dass die Kulturhoheit endlich mal abgeschafft wird. Also, ein Bundeskulturministerium wird es in Zukunft nicht geben?
    Neumann: Ich halte auch nichts davon. Diese Äußerung von Michael Naumann kenne ich auch, sie war provozierend wie viele seiner Äußerungen und hat auch die entsprechende Wirkung gehabt. Ich habe mich von Anfang an bemüht, einen engen Kontakt mit den Ländern zu pflegen. Ich habe auch erstmalig eingeführt, dass es eine Zusammenkunft regelmäßig gab und gibt zwischen dem Kulturstaatsminister und den anderen Kulturministern. Ich muss Ihnen sagen, am Ende hat es auch geklappt. Also, es ist doch gar nicht zu bestreiten, dass für den größeren Teil der Kultur die Länder und die Kommunen verantwortlich sind. Das erklärt sich schon aus der besonderen Lage. Über die Kultur hat sich ja der Föderalismus entwickelt. Wir hätten ja sonst nie eine solch reichhaltige Kultur, hätten wir nicht in früheren Zeiten die verschiedenen Fürstentümer und Königreiche, die ja gegenseitig versucht haben, sich im Bereich der Kultur zu artikulieren und zu identifizieren. Und das ist eher ein Segen, dass die Länder hier ihren Beitrag leisten. Und der Bund konzentriert sich dann auf bestimmte Bereiche, die darüber hinausgehen, unterstützt auch das eine oder andere kulturell. Und ich finde, diese Aufgabenteilung hat sich bewährt am Ende und wir wären viel ärmer dran, wenn wir nur einen Bundeskulturminister hätten und die Zuständigkeit von Kultur ausschließlich der Bund hätte. Das Gegenteil ist richtig. Der Föderalismus im Bereich der Kultur, der trägt zu unserer Vielfalt bei, und der Bund ergänzt dies. Und dies soll auch so bleiben.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.