Donnerstag, 18. April 2024

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Bernie Krause
Der Klang des Lebens

Bernie Krause bewegt sich an der Schnittstelle von Musik und Wissenschaft: Der studierte Komponist, Musiker und Bioakustiker kämpft seit Jahrzehnten dafür, dem Hören in der Welt und bei der Beurteilung der Welt mehr Bedeutung zu verschaffen. In seinem neuen Buch begibt er sich auf eine akustisch-literarische Reise zu den Klanglandschaften der Natur.

Von Martin Zähringer | 17.04.2014
    Bernie Krauses neues Buch "Das Orchester der Tiere" ist eine engagierte und dabei unterhaltsame Schule des ökologischen Hörens. In neun Kapiteln und einem Präludium beschreibt der Musiker, Bioakustiker und Klangökologe, wie der Klang für ihn zum Mentor einer künstlerisch-wissenschaftlichen Entwicklung wurde. Auf der Homepage des Kunstmann Verlages kann man zudem die Klangproben aus Krauses Archiv hören, integrierte Hörbeispiele, auf die in jedem Kapitel hingewiesen wird. Am Anfang stehen für Krause die Echos der Vergangenheit. Das sind Klanglandschaften in entlegenen Wäldern, in denen noch eine Klangstruktur vorherrsche, wie sie die Evolution geprägt habe. In diesen seltenen ökologischen Habitaten hört man nach Bernie Krause die ursprünglichen "Orchester der Tiere". Dazu schreibt der Autor:
    "In einem 'Orchester'-Szenario - das geradezu einem evolutionären Ablauf folgt - geben die Insekten den Grundrhythmus vor. Die Frequenzen schwirrender Flügel und die Häufigkeit des Zirpens sind meist je nach Spezies vorgegeben, aber sie verändern sich fast unmerklich, weil sie sich unaufhörlich den von außen einwirkenden Kräften wie der Temperatur, dem Sonnenlicht und dem Wetter anpassen. Sobald die einzelnen Positionen im Audiospektrum belegt sind, gesellen sich die Lurche und Reptilien hinzu und übernehmen klangfreie Nischen. Dann treten die Vögel dem Chor bei, gefolgt von den Säugetieren. Schließlich findet jede Stimme einen freien Kanal oder ein Zeitfenster für ihren Auftritt."
    Hören: der feine Sinn für Veränderungen
    Das ist das Modell eines idealtypischen Orchesters der Tiere, weitgehend ohne menschliche Störgeräusche. Ein Morgenkonzert in Borneo. Es ist also die Vielstimmigkeit in einem biologischen Habitat, oder - wie das 3. Kapitel heißt - "Der orchestrierte Klang des Lebens", die den Klangökologen Krause interessieren. Er hat in den letzten Jahrzehnten über 4500 Stunden Klanglandschaften aufgenommen. Damit kann er in vielen Fällen ökologische Veränderungen auf der ganzen Welt dokumentieren, die dem Augenschein entgehen. Zum Beispiel ein Korallenriff: Mit einem Mikrofon für Unterwasseraufnahmen hört sich ein Riff, das noch lebt, merklich anders an, als das tote Riff nicht viel weiter entfernt. Einmal mehr erweist sich in der ökologischen Debatte, so jedenfalls für Bernie Krause, die Effektivität der akustischen Wahrnehmung. Denn für das Auge mag das Riff noch ganz gut aussehen, während es längst von vielen lautgebenden Arten verlassen ist.
    Krause führt seine bioakustischen Interessen aber wesentlich weiter. So arbeitet er mit einer neuen dreiteiligen Typologie der akustischen Umwelt: die globale Akustik als Geophonie, Biophonie und Anthropophonie. Er bewegt sich also von einer ökologisch orientierten Bioakustik zu einer holistischen Ästhetik des Klangs. Die Geophonie ist die Klangwelt der Erde selbst mit Geräuschen wie Wind, Donner oder Wasser. Die Anthropophonie ist alles, was der Mensch an Geräuschen produziert, wobei die Störungen durch Lärm einen erheblichen Teil der Diskussion ausmachen. Am wichtigsten ist Bernie Krause die Biophonie, also alle Geräusche von Pflanzen und Tieren, und hier findet sich das Besondere seines Ansatzes.
    Die Schönheit der Klanglandschaft
    Denn Krause verbindet die biologischen Konzepte mit ästhetischen, vor allem der Musik. In den Klanglandschaften der Natur erkennt er sogar den Ursprung von Musik und Sprache. Zur Beweisführung zitiert der Autor auch Aufnahmen von Kollegen, etwa interaktive Wechselgesänge von indigenen Sängerinnen, deren Chor immer wieder auf die umgebenden Naturgeräusche eingeht. Der Autor bereichert so seinen eigenen musikologischen Diskurs mit musikethnografischen Quellen und untersucht weitere Phänomene der Musik, die aus der Biophonie herzuleiten sind. So etwa die pentatonische Tonleiter, eine der frühesten musikalischen Ordnungen des Abendlandes. Über seine persönliche Faszination für die Schönheit der Klanglandschaften gibt der Autor in seinem lesens- und hörenswerten Buch Auskunft, und die Faszination teilt sich dem Leser auch mit:
    "Wie eine lange Jazzimprovisation variiert der Chor der Natur aber ständig, sucht stets nach dem bestmöglichen akustischen Ausdruck und lotet dessen Grenzen aus. Die Biophonie eines Tages bleibt nicht statisch und wird sich auch nie wiederholen. Gerade diese überragende, ausgesprochen selektive Wandelbarkeit im zeitlichen Verlauf ist der authentische biophonische Ausdruck des Wilden."
    Ob in diesem Wilden jenes vergebliche "Zurück zur Natur" aufscheint? Ganz so weltvergessen ist Krause nicht, zumal seine Ökologie des Klangs nur mit den modernsten technischen Mitteln zustande kommt. Mit erheblicher Reichweite, wie Krauses zahlreiche Hinweise auf andere interessante Soundkünstler, Klangökologen und professionellen Hörer beweisen. Der Grundidee ist beizustimmen: eine bewusster durch das Ohr wahrgenommene Welt würde mit größerer Schonung behandelt als eine, die wir durch einfaches Schließen der Augen ausblenden können.
    Bernie Krause: "Das Orchester der Tiere"
    Aus dem Englischen von Gabriele Gockel und Sonja Schuhmacher, Kollektiv Druckreif. Verlag Antje Kunstmann, 272 Seiten