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Bertelsmann-Studie zu Kindergeld
Direktzahlungen kommen bei Kindern an

Arme Eltern stehen immer wieder unter dem Generalverdacht, dass sie Leistungen wie Kindergeld für Zigaretten oder einen neuen Fernseher ausgeben. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt: Das Misstrauen ist unbegründet - das Geld kommt den Kindern zugute. Allerdings hat die Studie einen gravierenden Schönheitsfehler.

Von Silke Schmidt | 21.11.2018
    Ein Lehrer schreibt auf ein Whiteboard.
    Eltern geben Zusatzleistungen für Bildung aus (imago)
    Es ist ein gut gemeintes, aber riskantes Vorhaben: Die Bertelsmann-Stiftung will mit einem hartnäckigen Klischee aufräumen. Gleichzeitig bedient sie mit ihrer jüngsten Studie aber erst einmal das gängige Hartz-IV-Kopfkino.
    "Insbesondere besteht der Verdacht, dass mehr für Alkohol, für Tabak ausgegeben wird oder für Flachbildschirme und Unterhaltungselektronik. Wir glauben tatsächlich, dass wir das offen ansprechen müssen, dass es diese Vorbehalte gibt. Aber wir wussten bisher nie, in welchem Umfang und Ausmaß findet dieser Missbrauch von Geldern statt."
    Eltern investieren in der Mehrzahl in bessere Bildung
    Annette Stein hat die Studie aus Gütersloh betreut. Erstmals wurde eine breite Datenbasis von über 16.000 Haushalten mit Kindern über 30 Jahre lang beobachtet. Analysiert wurde, was einkommensschwache Familien mit staatlichen Direktzahlungen anfangen, wie dem Kindergeld oder dem so genannten "Landeserziehungsgeld". Ergebnis:
    "Die Studie zeigt ganz deutlich, Eltern unter einen Generalverdacht zu stellen, ist völlig unangemessen. Das ist eine besonders wichtige Botschaft für die Familienpolitik. Die Mehrzahl aller Eltern investieren die Gelder in bessere Bildung, in musikalische Entwicklung, mehr Sport und in bessere Wohnungen."
    Und eben nicht in Alkohol oder Unterhaltungselektronik. Auch beim Tabakkonsum sei seit zehn Jahren kein Anstieg mehr messbar.
    Allerdings hat die Studie einen gravierenden Schönheitsfehler: Ausgerechnet Hartz-IV-Familien, die besonders von Armut betroffen sind, wurden aus den Stichproben entfernt. Begründung: Bei ihnen könnten die Effekte des Kindergeldes gar nicht untersucht werden, da es komplett mit den Regelsätzen verrechnet werde, also den Familien nicht als zusätzliche Finanzspritze zur Verfügung stehe. Die Bielefelder Sozialberatung Widerspruch e. V. hält die neue Bertelsmann-Studie - so oder so für wenig hilfreich. Die Debatte verfestige vielmehr bestehende Vorurteile, meint Sozialarbeiter Clemens Hermeler
    "Na, bekommen die das denn zu Recht? Und setzen die das denn richtig ein? Da bin ich der Debatte langsam müde."
    30 Prozent aller zweckgebundenen Leistungen gehen für die Verwaltung drauf
    Mehr als 2.500 Sozialhilfeempfänger kommen jedes Jahr in seine Beratungsstelle, weil sie Probleme mit ihren Anträgen bei den diversen Behörden haben.
    "Wir haben hier Bescheide, die in einem Zeitraum von einem halben Jahr gerne mal 80 Seiten umfassen. Wir haben beim Kinderzuschlag hochkomplexe Berechnungen, wo hochprofessionelle, wo Sozialarbeiter und auch Rechtsanwälte sich reinarbeiten müssen. Wie will man da als Otto-Normalbürger durchblicken."
    Genau da sieht auch die Bertelsmann-Stiftung Handlungsbedarf. Allein bei den zweckgebundenen Leistungen für Schulbedarf, Musikunterricht, Klassenfahrten oder Sportverein gingen rund 30 Prozent für den immensen Verwaltungsaufwand drauf. Viele Mittel würden zudem gar nicht abgerufen.
    "Und deswegen schlagen wir eine neue finanzielle Leistung vor, die gezielt gegen Kinderarmut helfen soll. Wir nennen das Teilhabegeld. Und die würde einen Großteil der bisherigen finanziellen Förderungen bündeln."
    Mit dem Vorschlag will die Bertelsmann-Stiftung Einfluss auf die Bundespolitik nehmen. Im nächsten Sommer soll das so genannte "Starke-Familien-Gesetz" in Kraft treten.