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Berthold Damshäuser und Agus R. Sarjono: "Sprachfeuer"
Lyrik aus Indonesien

Der Übersetzer Berthold Damshäuser hat gemeinsam mit dem indonesischen Dichter Agus R. Sarjono eine Anthologie indonesischer Lyrik herausgegeben. 223 Gedichte aus acht Jahrzehnten von 28 Lyrikerinnen und Lyrikern. Diese Anthologie ist derzeit der beste Zugang zu indonesischer Lyrik in deutscher Übersetzung.

Von Martin Zähringer | 07.04.2016
    Berthold Damshäuse und Agus Sarjono
    Der Übersetzer Berthold Damshäuse und der indonesische Dichter Agus Sarjono auf der Frankfurter Buchmesse 2015. (imago/Sven Simon)
    Die Anthologie soll hier näher betrachtet werden, denn sie verschafft einen ersten beeindruckenden Überblick. Zum Horizont dieser Auswahl erklärt der indonesische Dichter Agus Sarjono im Vorwort:
    Zitat Sarjono:
    "Die Idee eines zukünftigen Indonesien prägte auch die moderne indonesische Literatur. In der Lyrik zeigte sich dies daran, dass seit den 1920er-Jahren keine Gedichte mehr über eine Heimat Sumatra, Bali oder Ambon verfasst wurden, sondern über ein gemeinsames Vaterland Indonesien. Und als Literatursprache setzt sich schon in dieser Zeit die malaio-indonesische Sprache durch, so dass seit damals Folgendes gilt: Moderne indonesische Literatur ist Literatur in indonesischer (=malaiischer) Sprache."
    Die nationale Idee hat eine Sprache, das Bahasa Indonesia, die Geschichte der Lyrik hat aber keineswegs eine einheitliche Ideologie. Ins Auge fallen zunächst die brutalen Kulturkämpfe in den 1960er-Jahren, aus denen die Vertreter des sogenannten "Universalen Humanismus" als Sieger hervorgingen. Dichter wie Goenawan Mohamad und Taufiq Ismael gehörten nach der Vernichtung der gesamten Linken in Indonesien in den Jahren 1965/66 zu den bestimmenden Faktoren des Kulturlebens, während der berühmte Pramoedya Ananta Toer von der linken Kulturorganisation LEKRA oder der Dichter Sitor Situmorang zu den Verlierern zählen. Der Sozialist Situmorang verbrachte nach den Massenmorden des Suharto-Regimes sieben Jahre im Gefängnis. Er hat Jahrzehnte in Europa gelebt, so auch in der DDR. "Weimar" heißt dieses Gedicht:
    Zitat Situmorang:
    "Millionen Tannen
    verbreiten irdenen Duft
    an der Erde reinen Brust
    atme ich mich satt
    Goethe ist nur Erinnerung
    an eine ferne Zeit
    Schiller ist nicht mehr
    nur der Frühling bleibt
    der ihren Körpern entwächst
    den ganzen Tag
    er gemahnt an die Liebe
    die ganze Nacht bis hin zum Morgen"

    Eine wichtige Spur führt zur Religion
    In der Auswahl der Lyriker und Lyrikerinnen mit ihren wichtigsten Werken folgt die Anthologie "Sprachfeuer" einer kulturhistorischen Entwicklung. So folgt auf den sogenannten "letzten malaiischen Dichter" Amir Hamzad die Etappe der "Kulturpolemik", eine programmatische Auseinandersetzung um die kulturelle Prägung der Zukunft – westlich? östlich? oder eine Synthese von beidem, von Faust und Arjuna – eine Figur im Schattenspiel Wayang. Eine wichtige Spur führt zur Religion. Hier ein Sufi-Gedicht rezitiert von Berthold Damshäuser:
    Zitat Abdul Hadi:
    "Herr.
    Wir sind uns so nah.
    Nah wie die Glut dem Feuer.
    Ich bin deines Feuers Glut.
    Herr.
    Wir sind uns so nah.
    Nah wie der Stoff dem Gewand.
    Ich bin deines Gewandes Stoff.
    Herr.
    Wir sind uns so nah.
    Nah wie der Wind seiner Richtung.
    Wir sind uns so nah.
    Und in der Finsternis
    bin ich das Licht
    deiner Fackel, die verloschen ist."
    Damshäuser: "Der Dichter des Gedichtes das wir eben hörten ´Herr wir sind uns so nah`, Abdul Hadi WM hat also dieses Genre Poisi Sufi wiederbelebt und populär gemacht. Das war ungefähr in den 80-Jahren des letzten Jahrhunderts und hat da sehr viele Nachahmer gefunden. Das gehört jetzt zu einer sehr wichtigen Strömung innerhalb der indonesischen modernen Lyrik."

    Damshäuser zitiert gerne Novalis
    Goethe und Trakl, Brecht, Celan und Rilke sind Einflüsse, Sarjono hat diesen sogar einen ganzen Zyklus gewidmet, jedem ein Gedicht, und auch in diesem Reigen findet sich wieder die kulturgeografische Weltläufigkeit, denn Namen wie Li Bai und Kawabata, Isaac Singer und Derek Walcott gehören auch dazu. Damshäuser, der alle Gedichte der Auswahl übersetzt hat, zitiert gerne Novalis, der sagt: Der Übersetzer ist der Dichter des Dichters. In dieser Anthologie ist Damshäuser selbst sogar der Dichter aller indonesischen Dichter, ein schwieriges Amt mit Sicherheit. Aber was ist die besondere Herausforderung für einen Übersetzer indonesischer Lyrik:
    "Bei der Übersetzung aus dem Indonesischen steht er vor der Herausforderung mit dem semantisch diffusen Material – aus der Sicht der deutschen Sprache – klarzukommen. Das Indonesische ist keine flektierende Sprache, es verfügt nicht über Modus und Tempus, es unterscheidet nicht zwischen unbestimmten und bestimmten Artikeln, hier muss also jeweils eine Wahl getroffen werden. Das heißt, man muss das Implizite des indonesischen Textes im Deutschen gezwungenermaßen explizit machen."
    In den Worten von John McGlynn, der das Amt des poetischen Übersetzers im Englischen ausübt, heißt es ganz ähnlich so:
    "Der indonesische Dichter hat eine große Freiheit, wann spielt das, mit wem ist die Person zusammen? Sie können zum Beispiel bei einem Liebesgedicht nur raten, wann und ob es sich um Mann oder Frau handelt, aber Sie können das nicht notwendigerweise wissen. Es kann auch ein Queer-Poet sein, der über seinen Liebhaber schreibt. Im Deutschen muss das entschieden sein, Deutsch ist sehr strikt in diesen Zuordnungen, Indonesien ist da sehr offen, locker. Und so verlieren wir sehr viel von der Poesie beim Übersetzen."

    Das berühmte Gedicht "Predigt" von Rendra
    Der neutrale englische Artikel "the" kommt der semantischen Lockerheit immerhin etwas entgegen, was aber bleibt in einer deutschen Übersetzung? Bedeutet "Freiheit des Poeten" auch Freiheit für den literarischen Übersetzer? Und was bleibt, wo man doch so viel Poesie verliert? Es bietet sich ein Vergleich an. Das berühmte Gedicht "Predigt" von Rendra, einem der spannendsten Dichter Indonesiens.
    Anstößig ist Rendra in jede Richtung religiöser Orthodoxie. Das Gedicht "Predigt" zum Beispiel ist eine wirklich blasphemische Abrechnung mit der katholischen Amtskirche, hier ein Auszug, das lyrische Ich ist ein Priester:
    Übersetzung Damshäuser:
    "Die Männer, die Gewehre lieben
    und das Banner der Wahrheit
    auf die Spitze ihrer Bajonette spießen,
    bitte ich zu beachten,
    dass lu-lu-lu, la-li-lo-lu.
    Richtet eure Nasen in die Höhe,
    damit ihr nicht seht, auf wen ihr tretet.
    Denn so geht li-li-li, la-li-lo-lu.
    Wischt das Blut von euren Händen,
    damit ich nicht mehr zittern muss.
    Dann könnten wir gemeinsam Tee trinken
    und über das Leid in der Gesellschaft plaudern
    oder auch über Leben und Tod."
    Berthold Damshäuser rezitiert seine eigene Übersetzung auf der CD "Gebt mir Indonesien zurück". Zum Vergleich eine Übersetzung der "Predigt" aus dem Rendra gewidmeten Band "Weltliche Gesänge und Pamphlete", die 1991 beim Horlemann Verlag erschien. Die Übersetzer sind Beate und Rainer Carle, es rezitiert Ulrich Lipka:
    Zitat Rendra, Übersetzung Carle:
    "Die Männer, die das Gewehr lieben,
    die das Banner der Wahrheit auf ihre
    Bajonettspitzen hissen,
    bitte ich zu beachten,
    daß lu-lu-lu, la-li-lo-lu.
    Hebt eure Nasen ganz hoch,
    damit ihr nicht seht, wen ihr tretet.
    Denn so ist li-li-lui, la-li-lo-lu.
    Wischt das Blut von euren Händen,
    damit ich nicht zittre,
    dann können wir uns zum Tee setzen,
    während wir über das Leid der Gesellschaft
    oder die Wahrheit von Leben und Tod plaudern."
    Semantische Abweichungen sind geringfügig, und ganz zweifellos offenbart diese Auswahl indonesischer Lyrik eine überzeugende Tendenz: die universale Funktion des Gedichtes als symbolische Form des Widerspruchs.

    Berthold Damshäuser und Agus R. Sarjono: "Sprachfeuer. Eine Anthologie moderner indonesischer Lyrik"
    Hg. Berthold Damshäuser und Agus R. Sarjono. Aus dem Indonesischen von Berthold Damshäuser. regioSpectra Verlag Berlin 2015,373 Seiten 24,90 Euro

    CD: "Gebt mir Indonesien zurück! Eine musikalisch begleitete Lesung moderner indonesischer Lyrik"
    Berthold Damshäuser (Rezitation) Peter Habermehl (musique automatique) Spielzeit: 73:38:08 (Public Address 1997)