Freitag, 19. April 2024

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Berthold Jacob
Journalist, Militärexperte und Pazifist

Eigentlich war er schon vor den Nationalsozialisten geflüchtet, da tappte der Journalist Berthold Jacob in eine Falle und landete in einem Gestapo-Gefängnis. Das löste einen international beachteten Skandal aus - auch weil der Pazifist Jacob als Spezialist für das deutsche Rüstungswesen galt.

Von Brigitte Baetz | 15.09.2020
Berthold Jacob (heller Anzug, stehend) und sein Kidnapper Hans Wesemann (dunkler Anzug, rechts sitzend) in einem Gerichtssaal in Basel im Mai 1936
Berthold Jacob (heller Anzug) bei seiner Aussage 1936 vor einem Schweizer Gericht gegen seinen Kidnapper Hans Wesemann, der ihn für die Nationalsozialisten nach Deutschland gebracht hatte und dafür zu einer dreijährigen Gefängnisstrafe verurteilt wurde (imago images/United Archives International)
Es ist der Abend des 9. März 1935. Berthold Jacob, schon seit zwei Jahren staatenlos, weil vom Naziregime ausgebürgert, ist in Basel mit Hans Wesemann verabredet. Dieser Wesemann, auch er Journalist, auch er im Exil, hat Berthold Jacob einen Pass versprochen. Doch das Treffen in der neutralen Schweiz ist eine Falle. Jacob wird betäubt, über die Grenze geschafft und nach Berlin verschleppt. Der Vorwurf: Verbreitung von Gräuelnachrichten, sprich: Landesverrat.
Armeelisten als Bettlektüre
Berthold Jacob gilt als der journalistische Militärexperte der Weimarer Republik - und er ist Pazifist. Seit Beginn der 20er-Jahre schreibt er gegen Militarismus und die Remilitarisierung Deutschlands an. Heute würde man ihn als investigativen Reporter bezeichnen. Walther Kiaulehn, ehemals Redakteur beim "Berliner Tageblatt", wird ihn im Nachhinein einen "Sherlock Holmes der Journalistik" nennen:
"Die Ranglisten der deutschen Armee waren seine Kopfkissenlektüre, und die Familienanzeigen aus den Garnisonsstädten waren seine schönsten Informationsquellen."
Eine Barrikade an der Prinz Handjery Ecke Falkstraße in Berlin Neukölln, wo am 1. Mai 1929 eine Straßenschlacht stattfand.
Reihe: Vergessene Journalistinnen und Journalisten der Weimarer Zeit
Die 1920er-Jahre waren eine Blütezeit des Journalismus - dann kam die Machtergreifung. Wir blicken zurück auf Medienschaffende dieser Zeit, die für ihre Arbeit häufig mit dem Leben bezahlt haben.
Jacob weist nach, wie rechte Militärs schon vor 1933 die heimliche Wiederaufrüstung Deutschlands betreiben, was einen glatten Verstoß gegen den Versailler Vertrag bedeutet. Hans von Seeckt, der Chef der Obersten Heeresleitung, muss deshalb 1926 seinen Hut nehmen.
Investigative Recherche zu Soldaten
Zwei Jahre später deckt Jacob das System der Zeitfreiwilligen auf – Soldaten, die zu Übungen herangezogen werden und in keiner Statistik auftauchen. Ein Artikel, der Konsequenzen für ihn selbst hat: neun Monate Festungshaft wegen Landesverrats. Nachdem er sieben Jahre später wegen des gleichen Vorwurfs von der Gestapo aus der Schweiz entführt worden ist, erklärt Jacob im Verhör mit der SS:
"Ich bin früh zu der Überzeugung gelangt, dass die Reichswehr, so wie sie nach dem militärischen Zusammenbruch des Herbstes 1918 gebildet wurde, ein Pfahl im Fleische der Republik war. Ich fand, dass die Reichswehrführung immer und unter allen Umständen gegen die Republik stand."
Entführung sorgte für Empörung
Jacob hat schon früher als andere erkannt, was ihm in Deutschland als Journalisten, Juden und Mitglied der Sozialistischen Arbeiterpartei droht. Schon 1932 geht er ins freiwillige Exil nach Straßburg – und gründet dort eine Ein-Mann-Nachrichtenagentur. Schwerpunktthema weiterhin: die Aufrüstung Deutschlands. Viel kann er damit nicht verdienen, aber französische Zeitungen drucken seine Artikel. Mit seiner Entführung versucht das NS-Regime ihn zum Schweigen zu bringen – doch sie machen die Rechnung ohne die Schweizer.
"Sind wir so weit, dass unsere staatliche Unabhängigkeit von einem großen Nachbarn für nichts geachtet wird und dass es mit Überfallkommandos Leute mitten aus unserem Land herausholt?", erklärt beispielsweise der Basler Ständerat Ernst Thalmann. Die "Neue Zürcher Zeitung" berichtet als erste, dass sich Jacob im Berliner Gestapo-Gefängnis befindet, die Schweizer Regierung verlangt Aufklärung.
Kleiner Sieg über das Hitler-Regime
Innerhalb weniger Wochen weitet sich der Vorfall zu einem international beachteten Skandal mit großem Medienecho aus. Und das Unerwartete geschieht: Die NS-Regierung gibt nach und schiebt Berthold Jacob in die Schweiz ab, die ihn ihrerseits schnell nach Frankreich ausweist. Zu sehr möchte man den großen Nachbarn Deutschland dann doch nicht reizen.
"Ich weiß, dass ich es vor allem der Presse danke, wenn ich heute frei bin. Und dass dieser Sieg über das Hitler-Regime ein Sieg der öffentlichen Meinung ist."
Flucht quer durch Europa
In diesem Sinne arbeitet Jacob nicht nur weiter an Artikeln und Büchern über die Taten des NS-Regimes, sondern setzt sich auch für die Nobelpreiskampagne zugunsten von Carl von Ossietzky ein. Für dessen "Weltbühne" hat er viele Artikel geschrieben. Und wirklich bekommt der Publizist den Friedensnobelpreis zugesprochen. Doch so wenig, wie diese Auszeichnung Ossietzky das Leben retten wird, so wenig wird es Jacob noch einmal gelingen, der Verfolgung durch das Regime zu entkommen.
Nachdem die Wehrmacht 1940 Frankreich überrannt hat, beginnt für Jacob und seine Frau eine Odyssee, die sie im Sommer 1941 ins neutrale Portugal bringt. Mit viel Mühe ist die Schiffspassage in die USA gebucht, als Jacob gegen den Rat seiner Freunde noch einmal auf die Straße geht, um Zeitungen zu kaufen. Erneut wird er nach Berlin entführt, doch nun setzt sich kein Staat mehr für ihn ein.
"Lieber Papa, vermutlich bist Du seit einiger Zeit über meinen nicht ganz freiwilligen Aufenthalt hier unterrichtet", schreibt Jacob aus dem Gestapo-Gefängnis am Berliner Alexanderplatz. "Was meine Sache angeht, so halte ich sie für die Beste von der Welt. Wenn ich mir natürlich auch keine Illusionen darüber mache, dass andere Leute sie anders betrachten werden."
Jacob ist sich sicher, dass Deutschland den Krieg verlieren wird. Für diesen Fall hat er sogar noch einen Artikel vorbereitet, wie ein Gefängnisgenosse später berichten wird. Am 26. Februar 1944 stirbt Berthold Jacob an Lungentuberkulose, die er sich in der Haft zugezogen hat.