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Berüchtigte Jugendgang

"Mara Salvatrucha" ist ursprünglich ein Schimpfwort aus den Einwandererghettos von Los Angeles. Die dort niedergelassenen Latinos bezeichneten damit jene Armutsmigranten aus Mittelamerika, die erst nach ihnen - in den 70er und 80er Jahren - ins Land kamen. Die Hoffnung auf ein besseres Leben erfüllte sich für die wenigsten. Vor allem Jugendliche rutschten in eine Spirale der Gewalt ab. "Mara Salvatrucha" ist inzwischen der Inbegriff einer berüchtigten Jugendbande:

Von Andreas Boueke | 19.01.2008
    "Gewalt gefiel mir. Ich habe das gerne gesehen. Meine Kumpels haben Leute erschossen oder erstochen. Nachher haben sie sich so verhalten, als sei nichts geschehen. Das war alles ganz normal. So bin ich aufgewachsen."

    Die 17-jährige Maria lebt in Kalifornien, im Osten von Los Angeles. Sie spricht fast kein Spanisch, obwohl ihre Mutter Guatemaltekin ist. Schon seit Jahren macht sie mit in einer mittelamerikanischen Gang, der Mara Salvatrucha.

    "Wenn ich der König im Dschungel wäre, würde ich die Parole ausgeben, all diese Gangster zu eliminieren. Sie sind nichts als eine Plage für die Gesellschaft, Parasiten. Besonders die von der Mara Salvatrucha. Sie wollen sich in verschiedenen Ländern als die dominante Gang etablieren. Sie wollen immer mehr Gebiete übernehmen und in vielen Regionen gleichzeitig aktiv sein."

    Der pensionierte Polizist Richard Wade nimmt kein Blatt vor den Mund. Er weiß, dass seit einigen Jahren keine andere Gruppe in Nord- und Mittelamerika so häufig für Gewalt und Verbrechen verantwortlich gemacht wird wie die Mara Salvatrucha.

    Die internationale Aufmerksamkeit hat sogar dazu geführt, dass das FBI in Washington D.C. eine Spezialeinheit eingerichtet hat. Der Koordinator dieser Task Force, Special Agent Brian Truchon, in einem Telefoninterview:

    "Das Außergewöhnliche an dieser Bande ist der Umstand, dass sie nicht nur in den USA existiert, sondern auch in Übersee, in El Salvador, Guatemala, Honduras und Mexiko.

    Mitglieder der Bande bewegen sich hin und her über die Grenzen. Es handelt sich also um eine Gruppe mit einer transnationalen Natur. Das Problem betrifft nicht nur die USA, sondern auch andere Länder. Deshalb bereitet es dem FBI solche Sorgen."

    Vor wenigen Monaten noch hat Truchons Vorgänger in einem Interview mit der Fernsehanstalt NBC von einer "internationalen Bedrohung" und "zentral organisierten Organisation des Verbrechens" gesprochen. Inzwischen ist das FBI zurückhaltender geworden:
    "Einige Jahre lang haben wir uns große Mühe gegeben, eine spezifische hierarchische Organisation aufzudecken. Wir haben immer wieder beobachten können, dass einzelne Gruppen in verschiedenen Gebieten existieren, in Los Angeles, in Houston, in New York.

    Aber diese Cliquen, diese Zellen, haben keine direkte Kommunikation untereinander. Sie sind sich nur ähnlich in ihren Methoden, ihren Idealen, ihren Zielen, et cetera. Wir haben keine übergeordnete Führung aufdecken können, die die Aktivitäten der anderen Individuen koordiniert."

    Jugendkriminalität und Bandengewalt sind auch an den Universitäten Kaliforniens in Mode gekommen, als beliebte Forschungsobjekte. Thomas Ward unterrichtet Anthropologie an der University of Southern California. In der Cafeteria hat er sich einen Milchkaffee bestellt, bevor er über sein spezielles Forschungsgebiet spricht, die mittelamerikanischen Jugendbanden:

    "Es gibt auch einen politischen Grund für die große Aufmerksamkeit. Die Polizei braucht Geld, genau wie andere Organisationen auch. In vielen Städten gibt es zu wenige Polizisten. Damit die Finanzierung weiter fließt, neigt die Polizei dazu, die Öffentlichkeit glauben zu lassen, dass ein großes Problem existiert.

    Es gibt diese Tendenz, Probleme übertrieben darzustellen. Wenn eine bestimmte Mara solche Aufmerksamkeit bekommt, dann sagst du, das Problem sei massiv, weit verbreitet, ständig wachsend und es handele sich um organisiertes Verbrechen."

    Die blutigen Auseinandersetzungen zwischen Banden sind oft nicht mehr als ein Zeitvertreib. Oder sie sind Teil eines Zyklus aus Gewalt und Rache. Nicht selten aber sind sie auch Teil der Strategie von La eMe, der mexikanischen Mafia, die im Hintergrund die Fäden zieht.

    Ihre erwachsenen Mitglieder halten Kontakt zu den Drogenkartellen. Sie pflegen korrupte Beziehungen zur Polizei und lokalen Politikern. "Die Mexikaner herrschen über die Straße, weil sie die Gefängnisse kontrollieren", erklärt Bob Morrill, der die erste Sonderkommission für Gefängnisgangs in Kalifornien geleitet hat:

    "Die mittelamerikanischen Maras übernehmen die Schmutzarbeit für die mexikanische Mafia. Sie stechen auf jemanden ein, sie rauben Leute aus oder sie machen irgendwas anderes, das ihnen angeordnet wird. Wenn auf der Straße eine unangenehme Konkurrenz auftaucht, müssen sie sich darum kümmern. Solche Sachen sind ihre Aufgabe."

    Morrills Einschätzung wird geteilt von einem Mann, der es wissen muss. Dieser alt gewordene Mafia-Boss, der seinen Namen nicht genannt wissen will, hat gut 15 Jahre hinter Gittern verbracht. Seine Glatze ist spiegelglatt und sein Blick scharf. Noch immer umgibt ihn eine Aura von Macht, ein wenig gemildert durch die Hörgeräte in seinen beiden Ohren:

    "Die Bedeutung der Mara Salvatrucha wird übertrieben. Die Gesetzeshüter sehen in diesen Jungs kaltblütige Monster. Natürlich sind sie gefährlich und rücksichtslos, aber auf einem niedrigen Niveau. Jedenfalls hat keiner von ihnen irgendwelchen Einfluss auf den Gefängnishöfen von Kalifornien."

    Ähnlich sieht das der Salvadorianer Martín, einer der erfahrensten Salvatruchas in den Straßen von Los Angeles:

    "Hier in den USA wollen sie die Probleme nicht lösen. Sie wollen die Probleme loswerden. Es wird nicht versucht, die Bandenmitglieder in die Gesellschaft zu integrieren und ihnen zu helfen. Stattdessen werden sie eingesperrt und abgeschoben."

    Die Abschiebepraxis der USA hat entscheidend zur Verbreitung der Jugendgewalt in den Ländern Mittelamerikas beigetragen. Um so erstaunlicher ist es für Daniel Sharp von der Migrantenorganisation CARECEN, dass seine Regierung solche Wirkungen ihrer Politik hartnäckig ignoriert:

    "Es ist ein faszinierender, tragischer Zyklus. Menschen sind vor dem Bürgerkrieg in El Salvador geflohen. Sie haben eine Situation der Gewalt in ihrem Heimatland hinter sich gelassen. Hier in den USA wurden die Jugendlichen in die Kultur der Jugendbanden eingeführt. Auf Grund ihrer Aktivitäten mit der Bande wurden sie deportiert.

    In ihrem Herkunftsland integrieren sie sich wieder in die Bande, weil sie niemanden anderes haben. Mit den kontinuierlichen Abschiebungen ist die Zahl der Bandenmitglieder in Mittelamerika deutlich gewachsen. Die dortigen Justizsysteme sind völlig überfordert. Das führt zu einem Klima der Unsicherheit. Das hat zur Folge, dass noch mehr Menschen fliehen und versuchen, in die USA zu kommen."

    Obwohl viele der Abgeschobenen von ihren Eltern als Kleinkinder in die USA gebracht worden sind und erst dort in Kontakt mit der Bandenkultur kamen, weist die US-Regierung jede Verantwortung von sich.

    Die jungen Leute werden nach El Salvador, Honduras oder Guatemala deportiert - Länder, deren Sprache sie häufig nicht mehr sprechen und deren Gesellschaften nicht in der Lage sind, den abgeschobenen Bandenmitgliedern alternative Lebensmodelle anzubieten. So breiten sich Gewalt und Bandenkultur immer weiter auf dem amerikanischen Kontinent aus.