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Berufsorientierung
Potenzialanalyse wird Pflicht in NRW

Nordrhein-Westfalen führt als erstes Flächenland ein verbindliches Übergangssystem ein, das Schülerinnen und Schüler auf dem Weg in den Beruf begleiten soll. Ein Baustein ist darin die Potenzialanalyse, in der Stärken und Schwächen früh erkannt werden sollen. In der achten Klasse ist sie ab 2016 Pflicht an allen Schulen - was nicht alle freut.

Von Katrin Sanders | 26.11.2015
    Ein Zettel mit der Aufschrift "Ausbildung" liegt am 16.07.2015 in einem Klassenzimmer auf einem Tisch vor einer Schülerin
    Kein Abschluss ohne Anschluss - diesem Ziel hat sich das Land Nordrhein-Westfalen verpflichtet (picture-alliance/ dpa / Wolfram Kastl)
    Stoppuhr und Notizbögen sind immer dabei. An gut zwölf Arbeitsstationen arbeiten Achtklässler der Montanus Realschule Leverkusen an diesem Morgen einen umfangreichen Aufgabenzettel ab. Jede Vierergruppe wird begleitet von einer Mitarbeiterin, die Notizen zur Leistung und zum Arbeitsverhalten macht. Ralf Friedl Ausbildungsleiter im Wuppermann BW zeigt, was an der Werkbank zu tun ist:
    "Das ist der Teil der Potenzialanalyse, der hier bei uns in der Werkstatt durchgeführt wird. Für viele Schüler eigentlich so der Teil, wo sie überhaupt mal Werkstattleben mitbekommen. Drumherum sind auch die anderen Werkstattplätze, an denen die normale Berufsausbildung weiterläuft. Und hier haben die Schülerinnen und Schüler die Aufgabe mit der Feile zu arbeiten beziehungsweise am Schraubstock mit dem Hammer einen Draht zu einer bestimmten Form zu biegen."
    Markus Eickhoff von der Handwerkskammer Leverkusen macht sich an diesem Tag selbst ein Bild davon: "Ich habe einen sehr positiven Eindruck, ich sehe sehr viele disziplinierte, engagierte Schülerinnen und Schüler."
    Die hier einen Tag lang, außerhalb von Schule austesten, was sie können und wohin beruflich vielleicht die Reise gehen könnte. Die Potenzialanalyse ist ein Anfang auf dem Weg in die Berufsfindung. Für die Achtklässler in NRW soll sie ab 2016 Pflicht sein. Das Ziel ist auch dieses:
    "Die duale Berufsausbildung ob in den gewerblich technischen oder in anderen Bereich soll durch Kein Abschluss ohne Anschluss in den Vordergrund rücken. Weil wir eben da in Zukunft einen großen Fachkräftemangel erwarten müssen. Und da ist das, denke ich, mal gut, dass im Rahmen der Potenzialanalyse ein Erfahrungsraum geschaffen werden kann."
    Sorgen um den Datenschutz
    Genau das stört Eltern im nahe gelegenen Köln, weiß Rolf Scheid, Schulleiter am Gymnasium Schaurtestraße. Die Schulkonferenz dort fürchtet nicht nur, dass die frühe berufliche Richtungsanzeige am Bildungsgang Gymnasium komplett vorbeigehe.
    "Da ist sehr viel Misstrauen, dass die Daten, die dort erhoben werden in irgendeiner Form unkontrolliert weitergegeben und vielleicht irgendwann auch mal gegen die Schüler verwendet werden können."
    Der Datenschutzbeauftragte des Landes fordert das Schulministerium nun auf nachzubessern. Es sei nicht überall sicher gestellt sein, dass die Ergebnisse der Potenzialanalyse geschützt seien. Für ganz NRW müsse mindestens eine einheitliche Datenschutzerklärung her.
    In Leverkusen stimmt die Regelung, sagt Stefanie Grube Stefanie Grube von der Kommunalen Koordinierungsstelle: Alle Ergebnisse verblieben allein bei den getesteten Schülern. Denn eine Festlegung auf Stärken und Schwächen sei nicht das Ziel des Tages:
    "Die Vorgaben von Landesseite sind da sehr einheitlich und da halten sich alle Bildungsträger dran: dass eben bestimmte Kompetenzen zu beobachten sind, die eben auf das Arbeits- und Sozialverhalten hinweisen. Aber eben auch auf handwerkliches Geschick oder räumliches Denkvermögen und zudem muss die Potenzialanalyse mindestens zehn Berufsfelder abdecken. Das heißt, es werden nicht pro Aufgabe ein Beruf getestet, sondern die Aufgaben sind so konzipiert, dass davon ein Hinweis ausgeht, der auf mehrere Berufsfelder oder verschiedene Berufe auch hindeuten kann."
    Darüber, vor allem über die persönlichen starken Seiten, werde im Nachgespräch in einigen Wochen ausführlich gesprochen. Denn anders als am Gymnasium bleibt Haupt- und Realschülern nach der achten Klasse nur noch wenig Zeit für die Weichenstellung. Für die Achtklässler der Montanusschule liegt Sinn und Zweck der Potenzialanalyse ohnehin auf der Hand:
    "Ja, es hat Spaß gemacht. War sehr gut."
    "Es ist auf jeden Fall besser als Schule und ich würde das auch gerne öfter machen. Ich habe schon einen Gedanken, also Richtung Biologie, Medizin, das macht Spaß."
    "Ich wollte gucken, was meine Potenziale sind und was mir Spaß macht. Also für den Beruf später, was für ein Praktikum ich machen könnte."
    Augen auf bei der Berufswahl
    Nach der Potenzialanalyse geht es also weiter mit der Berufsfindung: unter anderem mit drei Erkundungstagen in unterschiedlichen Berufsfeldern. Eine frühe Antwort auf die Frage, was soll ich später werden, ist nämlich nicht gewollt, stellt auch Ralf Friedl vom Wuppermann Bildungswerk für die Potenzialanalyse klar:
    "Es handelt sich um einen Tag im Leben eines Schülers. Und daraus lässt sich mit Sicherheit noch nicht ein konkretes Berufsfeld, geschweige ein konkreter Beruf ableiten. Sondern es geht eher darum, die Augen noch ein Stück weiter aufzumachen und vielleicht noch mal in andere Richtungen zu schauen, in die ich bisher noch nicht geschaut habe."