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Berufsunfähigkeit - und die Versicherung zahlt ungern

Von Verbraucherschützern wird sie als dringend notwendig erachtet: die Berufsunfähigkeitsversicherung. Sie bezahlt eine monatliche Rente, wenn der Job nicht mehr ausgeübt werden kann. Doch in der Praxis gibt es dann immer wieder Probleme mit der Versicherungsgesellschaft.

Von Susanne Kuhlmann | 26.07.2012
    "Ich habe 1995 eine Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen, eigentlich vor dem Hintergrund, dass ich damals selbstständig war und wir gesagt haben, weil mein Mann auch selbstständig war: Wenn uns was passiert, muss der andere auch klarkommen, ohne ein Einkommen."

    Die Versicherung wurde ohne Beanstandung angenommen, erinnert sich Sabine Müller. Und zwar, obwohl sie dem Versicherungsvertreter vom Schilddrüsenkarzinom berichtet hatte, das 1981 bei ihr aufgetreten war. Weil sie in den folgenden fünf Jahren – und darüber hinaus – völlig gesund war, galt diese Krebserkrankung längst als geheilt.

    "Da sagte er, das brauchen wir nicht zu schreiben, das ist ja fünf Jahre her. Ich hatte aber angegeben, dass die Versicherung sich bei meinem Hausarzt erkundigen könnte, ob ich was hätte, weil die fragten, ob ich in den letzten drei Wochen oder drei Monaten beim Arzt war. Da habe ich gesagt: Ja, ich bin immer beim Hausarzt in Behandlung. Und sie können sich gerne bei dem erkundigen."

    Das Einzige, was von der Krebserkrankung blieb, war die Taubheit des linken Stimmbandes. Bis 2009, als Sabine Müller, inzwischen 50 Jahre alt, plötzlich Schmerzen in den Knochen spürte. Ärzte diagnostizierten den erneuten Ausbruch des Schilddrüsenkarzinoms.

    "Damit hatte überhaupt keiner gerechnet."

    Was folgte war eine lange Reihe von Untersuchungen, Operationen, Radio-Jod- und Strahlentherapien; teils mit erheblichen Nebenwirkungen, die bis heute anhalten. An Arbeiten war zunächst nicht zu denken.

    "Als dann 2009 der Schadensfall eintrat – Schadensfall in Form von, dass ich nicht arbeiten konnte – hat die Versicherung gesagt, ich hätte das nicht angegeben und es wäre ja ein Rezidiv."

    Die Versicherung weigerte sich zu zahlen und warf Sabine Müller vor, die frühere Erkrankung verschwiegen zu haben - Aussage stand gegen Aussage.

    "Und dann habe ich mit Anwalt und Belegen von der Krankenkasse und allem Möglichen, was ich noch hatte, wobei ich von damals gar keine Unterlagen habe - man hat das vor 30 Jahren nicht zu Hause aufbewahrt ... Heute würde ich jedes Formular, was ich dem Arzt gebe, auch fotokopieren und für mich behalten. Aber das haben wir damals nicht gemacht."

    Es dauerte viele Monate bis Sabine Müller sich ihrem Alltag wieder gewachsen fühlte.

    "Dann bin ich nach einem guten Dreivierteljahr wieder arbeiten gegangen. Und dann haben sie mir geschrieben, sie würden es ausnahmsweise zahlen, weil ich ja wieder arbeiten gehen würde."

    Sie bekam also rückwirkend alle ausstehenden Zahlungen von ihrer Berufsunfähigkeitsversicherung. Im November 2010 erkrankte Sabine Müller erneut. Und während einer Kur ein halbes Jahr später zeigte sich: Es ist nicht abzusehen, dass sie je wieder belastbar genug für eine Berufstätigkeit sein würde.

    "Trotz psychologisch-onkologischer Kur hat man mir empfohlen, die Rente einzureichen, weil das im Moment gar nicht geht."

    Erneut verweigerte die Berufsunfähigkeitsversicherung die Zahlungen. Der Grund: Sabine Müller konnte den Verlauf ihrer Erkrankungen nicht lückenlos von 1981 bis heute dokumentieren. Diese Auseinandersetzung kostete sie zusätzlich viel Kraft.

    "Das war das Hauptproblem, dass man sich rechtfertigen muss dafür, dass man einen blöden Schicksalsschlag hatte. Und alles belegen zu müssen und rechtfertigen zu müssen, was einem zusteht. Letztlich hat man es ja abgeschlossen, damit man in einem Schadensfall abgesichert ist."

    Als Ende 2011 schließlich der Rentenbescheid kam, zahlte endlich auch die Versicherung. Seitdem gibt es keine Probleme mehr. Rückblickend sagt Sabine Müller, dass in Bezug auf die Berufsunfähigkeitsversicherung nichts so wichtig ist wie das akribische Sammeln von Nachweisen und Belegen.

    "Ich würde heute in jedem Fall alles offenlegen, was ist. Aber abschließen würde ich sie trotzdem wieder."