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Berufswahl
Musik als Beruf für Blinde und Sehbehinderte

Für sehbehinderte oder blinde Menschen könnte ein Musikberuf eine spannende Option sein. Doch der Weg zum Berufsmusiker ist gerade für sie nicht einfacher geworden, sagen Interessensvertreter. Gründe liegen neben gesellschaftlichen Vorurteilen wohl auch in der Inklusion an den Schulen.

Von Dietrich Mohaupt | 04.03.2019
Bildnummer: 60077970 Datum: 20.11.2007 Copyright: imago/epd Der blinde Musiklehrer und Klavierstimmer Martin Rembeck stimmt am 20.11.07 in Hannover ein Klavier. Obwohl der Arbeitsplatz so wichtig für die Integration ist: Nur etwa 30 Prozent der 35.000 blinden Menschen im erwerbsfähigen Alter in Deutschland haben einen festen Job. (Siehe epd-Feature 13414/22.11.07)
Ein Workshop in Hannover soll Orientierung für Blinde und Sehbehinderte bieten. Im Bild: der blinde Musiklehrer und Klavierstimmer Martin Rembeck am 20.11.2007 (Foto: imago / epd)
"Das ist der Schlüssel, den fassen wir so an, dass Du mit dem Daumen … dass der hier lang am Schlüssel dran liegt, und der wird hinten fest umklammert … okay … ich werde am Anfang mal ein bisschen Deine Hand mit führen, ok? Das ist der Ton, der ist verstimmt wie Du hörst – ja …"
Martin Rembeck ist Klavierlehrer, gelernter Klavierstimmer … und fast vollständig blind:
"… uah uah …macht der so eine komische Schwebung – hört man – und jetzt machen wir diese ruckartigen … schon drüber … wir ziehen von unten wieder ran … ja, ungefähr das, siehst Du – da hast Du’s getroffen."
Tara ist ebenfalls blind – für sie ist es nicht der erste Annäherungsversuch an den Beruf des Klavierstimmers:
"Ich habe schon mal Praktikum bei einem Klavierbauer gemacht, und da habe ich versucht, zwei Töne zu stimmen – und das lief jetzt nicht … so gut. Also – ich habe immer Angst, dass ich das irgendwie falsch höre, dass ich denke, das ist sauber und dann ist es doch nicht sauber."
Klavierstimmer - ein klassischer Beruf für Blinde
So recht traute sie sich nicht, da wirklich dran zu bleiben. Dabei verfügen gerade Blinde oft über ein für den Beruf des Klavierstimmers besonders gut geeignetes Gehör, erläutert Martin Rembeck:
"Klavierstimmer, der Klavierstimmer-Beruf war mal eine Domäne für Blinde! Ein absolutes Gehör, was ja Blinde ganz häufig haben, ist dafür nicht notwendig – wir brauchen das sogenannte Schwebungshören. Das ist das Hören, das entsteht, wenn zwei Töne ganz nah aneinander sind und dadurch eine Schwebung sozusagen hörbar wird. Und die soll ausgeglichen werden."
Klavierstimmer als Beruf – das könnte also für Blinde oder Sehbehinderte eigentlich eine gute Chance sein, ihren Lebensunterhalt zu verdienen – allerdings wird schon seit Jahren in Deutschland kein blinder Klavierstimmer mehr offiziell ausgebildet. Insgesamt sei es für sehbeeinträchtigte Menschen in letzter Zeit nicht einfacher geworden, den Weg zum Berufsmusiker einzuschlagen, meint Gabriele Firsching vom Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf – kurz DVBS:
"Die Hauptprobleme sind vor allem die Vorurteile, die halt in der Gesellschaft noch vorhanden sind – ein Blinder, was … ein Blinder soll Musik als Beruf ergreifen können? Das ist also bei vielen Menschen noch, oder wieder muss man leider sagen, sehr weit verbreitet."
Computer erleichtert Zugriff auf Noten
Hinzu kommen ganz reale Barrieren: Das Dirigieren von Chören und Orchestern zum Beispiel ist schwierig – es fehlt der visuelle Kontakt. Und auch die Kommunikation blinder Musiklehrer mit sehenden Schülern ist kompliziert – aber es gibt Lösungen, auch für Berufe wie Kirchenmusiker, Tontechniker oder Musikpädagoge. Allein schon der Zugriff auf Noten in Blindenschrift ist manchmal noch sehr mühsam. Gerade dabei erleichtere aber moderne Computertechnik inzwischen vieles, erläutert Michael Kuhlmann vom DVBS. Voraussetzung dafür sei, dass die Software Blinden überhaupt einen Zugang zum Computer ermögliche.
"Wenn das gut funktioniert, also sprich wenn die Software bedienbar ist, dann ist die Digitalisierung eine Bereicherung, weil es zum Beispiel nie so einfach war wie heutzutage, sich Blindennotenschrift zu beschaffen. Also mittlerweile ist es computergestützt fast ohne sehende Hilfe unter bestimmten Voraussetzungen möglich, sich Noten zu übertragen – was früher nicht der Fall war."
Wenn Schulen Blindenschrift nicht vermitteln
Vor allem die Blindenschrift – speziell das Erlernen der Blindennotenschrift – sei ein ganz heikles Thema, so Michael Kuhlmann weiter. Stichwort Inklusion an den Schulen – für musikbegabte blinde oder sehbehinderte Schülerinnen und Schüler manchmal ein Problem.
"Die Inklusion kann das Risiko bergen, dass bestimmte Primärtechniken wie Blindenschrift nicht oder unzureichend vermittelt werden und dass dadurch musikalisch begabte Schüler einfach – ich sage mal – hinten runter fallen."
Der Workshop in Hannover war eine Art erster Test, so Organisator Michael Kuhlmann. Er könne sich gut vorstellen, ähnliche Veranstaltungen als Erfahrungsaustausch und Orientierungshilfe für Blinde und Sehbehinderte künftig regelmäßig anzubieten:
"Uns ist es wichtig, eben auch nachfolgenden jungen Generationen, die vor der Berufswahl stehen, zu vermitteln: Man kann wirklich in unterschiedlichen Musikerberufen arbeiten und dort auch ein sehr erfülltes Berufsleben haben und auch ein auskömmliches."