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Berufswunsch Politiker
Das machen Jugenddelegierte bei den Vereinten Nationen

Ziele und Hoffnungen von jungen Menschen in die Welt tragen: Die deutschen UN-Jugenddelegierten präsentieren in New York, welche Wünsche die Jugendlichen im eigenen Land haben. Dadurch sind sie in der ersten Reihe der Diplomatie - ein großer Karriereschritt.

Von Matthis Jungbluth | 06.02.2020
Der leere Saal des UN-Sicherheitsrates
Tagungssaal des UN-Sicherheitsrats in New York (picture alliance / dpa - Tim Brakemeier)
Zögerlich liest die 13-jährige Alica die Antworten vor, die ihre Gruppe auf kleine gelbe Zettel geschrieben hat. Ihre Aufgabe: Wobei sollten sich die Länder der Welt helfen? Wo sollten sie zusammenarbeiten? Welche Probleme löst man besser gemeinsam?
Alica geht in die 8. Klasse der Ursula-Kuhr-Hauptschule in Köln-Chorweiler. Doch statt Mathe oder Deutsch steht heute etwas anderes auf dem Stundenplan: Die Vereinten Nationen. Zu Gast sind Nikolas Karanikolas und Josephine Hebeling. Sie sprechen mit den Jugendlichen darüber, was die Vereinten Nationen überhaupt sind, was für einen geschichtlichen Hintergrund sie haben und welche Aufgaben Politik hat. Denn die beiden sind in diesem Jahr die deutschen Jugenddelegierten der Vereinten Nationen:
"Unsere Aufgabe ist es, die Stimme der Jugend bei den Vereinten Nationen zu sein. Das heißt ganz konkret, dass wir innerhalb unseres Jahres zwei Mal nach New York fahren und – nachdem wir die Stimmen der Jugend in Deutschland eingefangen haben – diese eben in New York vertreten."
Um die "Stimmen der Jugend" bei der UN angemessen zu vertreten, fahren die beiden Studierende durch ganz Deutschland, leiten Workshops und Info-Veranstaltungen. Das Ziel: Wünsche, Ziele und Hoffnungen der in Deutschland lebenden Jugendlichen zu sammeln. Dabei kommen die beide auch an Orte, an denen sonst nicht so oft über internationale Politik gesprochen wird, wie hier in Chorweiler:
"Man kommt ein bisschen aus seiner Komfortzone raus, sei es im Jugendgefängnis, sei es in der Hauptschule, sie es bei SOS-Kinderdörfern. Aber ich glaube, das ist einfach ganz, ganz wichtig, weil Demokratie überall stattfindet. Und zwar nicht nur für ein paar Leute, die auf die Uni gehen, sondern wir alle gehören zu Deutschland. Und somit müssen alle Menschen erreicht werden und alle Menschen begeistert werden für die Vereinten Nationen."
Wünsche der Jugend an die Politik
Die Schüler der Ursula-Kuhr-Hauptschule in Chorweiler haben den ersten Teil des Workshops hinter sich. Jetzt geht es darum zu formulieren, was sie sich von der Politik wünschen:
"Mir ist wichtig, dass Leute nicht so ausgegrenzt werden und im Gefängnis oder so festgehalten werden, weil sie einen anderen Glauben besitzen."
Viele hier haben Migrationshintergrund - einige auch Fluchterfahrung. Daher spielen Krieg und Freiheit eine wichtige Rolle. Die 12-jährige Ezra ist erst vor knapp einem Jahr nach Deutschland gekommen:
"Ich hab einmal erlebt, dass ich ausgegrenzt wurde von der Türkei, weil wir Kurden sind. Und dann haben die gesagt: Wir nehmen dich nicht an, weil du Kurdin bist. Und das ist halt traurig, weil das ja mein Land ist."
Botschafter der deutschen Jugend
Im Oktober waren beide das erste Mal in New York und begleiteten die deutsche Delegation, arbeiteten an Resolutionen mit und haben dabei sogar vor der UN-Generalversammlung gesprochen. Für Nikolas Karanikolas waren die Tage in New York ein unvergessliches Erlebnis. Der 21-jährige Student konnte eine der zentralen Botschaften dort präsentieren, wo die Mächtigsten der Welt ihre Entscheidungen treffen:
"Bei der UN habe ich es geschafft, aus dem Sicherheitsrat zu fliegen wegen eines T-Shirts auf dem "Stoppt Waffenlieferungen in Krisengebiete" stand. Fand Russland nicht so lustig wie ich."
Als er sich vor knapp einem Jahr bewirbt, ist er normaler Lehramtsstudent. Drei Bewerbungsrunden später ist er plötzlich Botschafter der deutschen Jugend und dadurch in der ersten Reihe der Diplomatie. Ein großer Karriereschritt für den 21-Jährigen:
"Ich erfahre von vielen, die Politikwissenschaften studieren, dass da verdammt viel außerhalb des Studiums gemacht werden muss, um irgendwann in diese Kreise rein zu kommen. Ich hatte auf einmal eine Praktikumsanfrage von McKinsey, ich wurde zu einem Golf-Turnier eingeladen – das ist strange. Es ist auf jeden Fall eine neue Welt. Die Frage ist, ob man es deswegen machen sollte. Nein, aber es hat auf jeden Fall Vorteile und wenn ich die leugne, bin ich nicht ehrlich."
Schon vor fast 40 Jahren hatten die Vereinten Nationen den Mitgliedsstaaten empfohlen, Jugendliche in ihre Delegationen aufzunehmen. Erst 2005 hat Deutschland diese Empfehlung umgesetzt. Und nimmt seitdem jedes Jahr zwei Jugenddelegierte zwischen 18 und 25 Jahren zur UN-Generalversammlung mit. Nach fast zwei Stunden beenden Josephine Hebeling und Nikolas Karanikolas ihren Workshop. Sie wirken erschöpft, aber zufrieden. Mitte Februar geht es noch einmal nach NY. Dort steht dann der Besuch der Sozialentwicklungskommission an, wo sie noch ein letztes Mal sprechen dürfen. Im April endet das Jahr. Nikola Karanikolas zieht jetzt schon ein positives Fazit:
"Vor einem Jahr hätte ich meine Hand noch für ins Feuer legen können, dass ich Lehrer werde. Jetzt sehe ich das nicht mehr so. Ich möchte eine aktive Gesellschaft haben und auch Menschen aus allen Bereichen daran partizipieren lassen. Und wenn ich daran irgendwann mitwirken könnte, fände ich das wunderschön für mich."