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Beschallung der DDR mit subtiler Gesellschaftskritik

In der DDR ließen Bands wie Silly, Pankow oder Puhdys ihr Songtexte häufig von Fremdautoren schreiben. Denn mit bekannten Textern im Rücken stiegen mitunter die Chancen auf Veröffentlichung bei der staatlichen Plattenfirma. Oft versteckte sich aber mehr zwischen den Zeilen.

Von Bernd Gürtler | 01.06.2013
    Die Rockmusikgeschichte der DDR beginnt optimistisch. Das staatliche Amiga-Label veröffentlicht drei Singles und eine Langspielplatte von den Beatles. Einheimische Bands, wie die Sputniks erscheinen auf Schallplatte. Doch dann verkündet Walter Ulbricht 1965 auf dem 11. Plenum des Zentralkomitees der SED eine neue, erschreckende Direktive.

    "Ist das denn wirklich so, dass wir jeden Dreck, der vom Westen kommt, kopieren müssen? Ich denke, Genossen, mit der Monotonie des Je, Je, Je, und wie das alles heißt, sollten wir doch Schluss machen."

    Fortan galt Rockmusik als Unkultur des Westens, ließ sich auf Dauer aber nicht verhindern, denn Heerscharen von DDR-Jugendlichen hörten und spielten sie. Früher oder später musste das Phänomen in den DDR-Alltag integriert werden. Aber wie, damit der sozialistische Staat wenigstens Rockmusik in seinem Sinne bekam? Die Gruppe Team 4 brachte die Problematik in einem ihrer Songs 1967 völlig ironiefrei auf den Punkt.

    Es bedurfte einer Art Gesinnungskontrolle. Und die schien sich am besten über die Songtexte umsetzen zu lassen. Also kam es zu einer Arbeitsteilung zwischen Musikern und externen Songtextschreibern, erläutert Peter Wicke vom Forschungszentrum Populäre Musik an der Humboldt Universität Berlin.

    "Jedenfalls, der Versuch, die Inhalte ideologisch unter Kontrolle zu bekommen, über die Inhalte von Texten, hat dazu geführt, dass man die Möglichkeit, offiziell aufzutreten, gekoppelt hat an die Bedingung, dann muss der Text von professionellen Textdichtern gemacht werden, die zudem mit der Aufgabe versehen waren, als Mentoren sozusagen diese Gruppen zu überwachen."

    Die Praxis sieht allerdings anders aus. Einige der besten Songtextschreiber vernachlässigen ihre Aufsichtspflicht und machen sich zu Komplizen der Bands. In schöner Eintracht beschallen sie die DDR mit subtiler Gesellschaftskritik. Peter Wicke fallen auf Anhieb zwei Namen ein.

    "Das gilt durchweg für Texte, die aus der Feder von Kurt Demmler oder von Werner Karma stammen."

    Diese beiden schrieben unzählige Rocktexte, die den Nerv der Zuhörer trafen. Kurt Demmler zum Beispiel für Renft, Veronika Fischer oder Nina Hagen. Werner Karma für Silly, City oder Pension Volkmann. Der Staat befeuert die Situation auf seine Weise. Eben weil Lektoratsfunktionäre bei Amiga oder im Rundfunk der DDR überaus genau hinhören, hat auch das Publikum seine Ohren permanent scharf gestellt. Ein simples Beispiel:

    "So ein Text wie 'König der Welt', Karat, das ist ja nun albern, Märchen, oder als was man das nehmen will. Aber das hat in so einem Kontext, wo jetzt angefangen zu fragen, wieso singen die über einen König? Wer ist denn hier eigentlich der König? Meinen die etwa unseren Genossen Generalsekretär? Wollen die sagen, dass die DDR feudal-absolutistisch strukturiert und aufgebaut ist? Wenn sie das erst mal in so einen Kontext stellen, dann ist klar, dass solche Worte auch so verstanden werden."

    Die Kontrollwut staatlicher Instanzen in Sachen Rocksongtexte trieb äußerst bizarre Blüten, und am Ende bekommt die DDR das ganze Gegenteil von dem, was beabsichtig war, berichtet Peter Wicke.

    "Wo gibt’s das schon, dass das Staatsoberhaupt Rocktexte absegnet und dann auf so einem Text von Silly druntersteht: 'Einverstanden E.H.' für Erich Honecker. Wir haben das ja heute vorliegen, dass für eine Produktion bei VEB Deutsche Schallplatte das diesen Weg nahm. Auch wenn die Details in der Öffentlichkeit nicht unbedingt bekannt waren, aber dass die Mechanismen so waren, das war bekannt, und das hat natürlich einerseits diese Texte mit dieser doppelbödigen Ambivalenz aufgestattet, die heute nicht mehr nachvollziehbar ist."

    "Andererseits hat es das erzeugt, was durch das Zusammensperren von Rockbands mit professionellen Textern verhindert werden sollte. Es hat nämlich hohe Erwartungen an den politischen Inhalt vonseiten des Publikums, das heißt, sie haben dann erwartet, weil sie wussten, wer dazugehört, dass die Bands genau das zum Ausdruck bringen und eine Art Sprachrohrfunktion haben und es eben irgendwie schaffen, das zu sagen, was man selber in der Schule als Jungendlicher eben nicht sagen konnte und sagen durfte, dass die einen Weg finden, mit ihrer professionellen Sprachbeherrschung es trotzdem zum Ausdruck bringen. Also viele belanglose Texte, die den Rock im Westen kennzeichnen, sind in der DDR nicht entstanden, weil sie nicht entstehen konnten, die waren immer belangvoll. Aber eigentlich im Interesse des Staates wäre es gewesen, belanglose Texte zu haben. Bloß die hat er auf diese Weise eben gerade nicht gekriegt."

    Kein Wunder, dass es auch Rockbands sind, die im Herbst 1989 in einer Resolution Reformen in der DDR einfordern.