Dienstag, 19. März 2024

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Beschluss zu Paketdiensten
"Auftraggeber werden zu Hilfspolizisten gemacht"

Große Paketdienste sollen künftig Sozialabgaben nachzahlen müssen, wenn ihre Subunternehmen diese nicht abführen. Das sei keine gute Lösung, sagte Holger Schäfer vom Institut der deutschen Wirtschaft im Dlf. Stattdessen müssten bereits bestehende gesetzliche Vorschriften eingehalten werden.

Holger Schäfer im Gespräch mit Philipp May | 15.05.2019
Ein Zusteller des Kurierdienstes dpd trägt an beiden Seiten jeweils ein schweres Paket durch die Straße.
Niemand könne etwas dagegen haben, wenn Paketboten bessere Arbeitsbedingungen bekommen, erklärte Holger Schäfer (IW) (dpa/Monika Skolimowska)
Philipp May: Der Verteilungskampf in der schwarz-roten Koalition wird härter – jetzt, wo die Steuerquellen nicht mehr ganz so sprudeln. Die SPD will unbedingt die Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung durchsetzen, die Union unbedingt den Solidaritätszuschlag für alle abschaffen – beides rote Tücher für den jeweils anderen Koalitionspartner und beides ziemlich teuer. Und doch beteuern beide: Die Koalition funktioniert. Nun haben sich Union und SPD mal wieder auf Kompromisse geeinigt, allerdings nicht bei den großen Streitthemen.
Am Telefon in Berlin ist jetzt Holger Schäfer, Arbeitsmarktexperte des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft. Schönen guten Tag, Herr Schäfer.
Holger Schäfer: Guten Tag.
May: Bessere Arbeitsbedingungen für Paketboten – das war doch überfällig!
Schäfer: Ja, natürlich! Da kann niemand was dagegen haben, wenn Paketboten bessere Arbeitsbedingungen bekommen. Die Frage ist, wie ich sie herstelle, und was ist ein vernünftiger Weg, um zu diesem Ziel zu kommen. Jetzt wurde beschlossen, Unternehmen, den Auftraggeber in Haftung zu nehmen für gegebenenfalls auftretende Verfehlungen von Auftragnehmern. Damit werden die Auftraggeber ein Stück weit auch zum Hilfspolizisten gemacht. Das halte ich für keine besonders gute Lösung. Völlig außer Frage steht, dass gesetzliche Bestimmungen eingehalten werden müssen und Sozialversicherungsbeiträge gezahlt werden müssen, aber dafür haben wir ja nun im Grunde genommen das komplette Instrumentarium des Rechtsstaats auch zur Verfügung.
May: Grundsätzlich gehen Sie da mit und sagen ja, Paketboten sollten alle eine vorgeschriebene Sozialversicherung haben. Nur der Weg ist der falsche. Welchen Weg hätten Sie eingeschlagen?
Schäfer: Im Grunde genommen müssen die bestehenden gesetzlichen Vorschriften eingehalten werden. Bei Angestellten ist es so, dass der Mindestlohn zu zahlen ist, und selbstverständlich sind auch Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen. Die Gesetze haben wir schon. Da brauchen wir im Grunde genommen keine neuen Gesetze, sondern die müssen dementsprechend durchgesetzt werden. Wenn es da ein Defizit gibt, in der Durchsetzung des Gesetzes, dann muss da selbstverständlich auch nachgebessert werden.
May: Aber das Defizit, das sehen Sie auch?
Schäfer: Das kann ich nicht beurteilen. Es gibt Berichte über teilweise Verstöße gegen gesetzliche Bestimmungen. Dem muss man dann im Einzelfall nachgehen. Da kann man jetzt nicht generell sagen, die Branche hält sich nicht ans Gesetz, sondern da muss man dann schon sehr genau schauen, wer hält sich nicht ans Gesetz, und wenn das der Fall ist, muss man dementsprechend selbstverständlich auch reagieren.
"Wir haben ja eine hochgradig arbeitsteilige Wirtschaft"
May: Aber man muss ja auch die Frage stellen, wieso lagern Unternehmen wie die Deutsche Post oder Hermes zum Beispiel diesen Paketversand an Subunternehmer aus? Warum machen sie das nicht selber? Dann haben Sie da sowieso die volle Kontrolle. Der Verdacht drängt sich ja auf, dass sie das genau deswegen machen, um diese Sozialbeiträge auch nicht zahlen zu müssen.
Schäfer: Da macht man es sich zu einfach. Wir haben ja eine hochgradig arbeitsteilige Wirtschaft, wo praktisch auch ein Stück weit des Produktivitätsfortschrittes und damit des Wohlstandes, den wir haben, daher kommt, dass sich Unternehmen und auch Arbeitnehmer dann immer mehr spezialisieren und dann auch immer besser in dem werden, was sie tun. Das ist ja nicht jetzt nur in der Paketbranche der Fall, sondern das ist in vielen anderen Bereichen auch der Fall. Ein Automobilhersteller kauft ja nun auch sehr viele Dinge ein von Anbietern, die darauf spezialisiert sind, und stellt nicht jede einzelne Schraube selbst her.
May: Aber ist es nicht gerade deswegen auch so schwierig zu kontrollieren, weil es so viele Subunternehmer gibt, weil das Geflecht so unübersichtlich ist? Schafft man nicht so auch eine gewisse Übersichtlichkeit?
Schäfer: Ja. Wenn das so weit geht, dass die Unübersichtlichkeit so weit geht, dass man nicht mehr erkennen kann, wer ist denn jetzt eigentlich der Vertragspartner und wer ist dafür verantwortlich, zum Beispiel Sozialversicherungsbeiträge abzuführen – dafür hat der Rechtsstaat ja auch entsprechende Instrumente und da handelt es sich dann ja auch um Straftaten, die dann entsprechend aufgeklärt werden müssen.
"Das kann nicht Aufgabe der Unternehmen sein"
May: Sie haben gesagt, man verpflichtet die großen Unternehmen dazu, Hilfspolizist zu sein. Was ist daran so schlecht, wenn die auch darauf achten, dass die Gesetze eingehalten werden?
Schäfer: Das kann nicht deren Aufgabe sein, genauso wenig wie es die Aufgabe der Bürger ist, die Einhaltung von Gesetzen zu kontrollieren. Es rennt ja auch nicht jeder herum und achtet darauf, dass nicht sein Nachbar bei Rot über die Ampel geht oder so was. Ein Stück weit muss man auch die Einhaltung von Gesetzen den Institutionen überlassen, die dafür zuständig sind. Das ist letztendlich in einigen Bereichen auch durchaus sinnvoll, dass es so etwas gibt wie ein staatliches Gewaltmonopol.
May: Jetzt hat sich die Union lange dagegen gesträubt – wohl auch, weil sie die gleichen Bedenken hat wie Sie -, hat sich dann aber doch gefügt und gleichzeitig vereinbart, man wolle mehr Bürokratieabbau machen. So heißt es. Wissen Sie Genaueres?
Schäfer: Nein. Es gibt einige Punkte, die da genannt werden, zum Beispiel die Dokumentation von Krankmeldungen soll vereinfacht werden und ähnliche Dinge. Das wird man sich aber im Einzelfall alles genau anschauen müssen, ob das wirklich eine echte Erleichterung von Bürokratie ist. Das ist, wenn es dann dazu kommt, natürlich begrüßenswert. Allerdings muss man sich natürlich auch fragen, wenn man von Bürokratie entlasten kann, warum macht man es nicht generell, sondern warum wartet man dann ab, bevor man auf anderer Seite die Bürokratie verstärkt.
"Wir haben teilweise ein großes Problem mit Bürokratie"
May: Haben wir denn in Deutschland wirklich generell ein großes Problem mit überbordender Bürokratie?
Schäfer: Ja, das liegt natürlich immer im Auge des Betrachters. Ich denke schon, dass wir teilweise ein großes Problem haben mit Bürokratie. Die verschiedenen Bestimmungen, die insbesondere die Unternehmen jetzt im Bereich der Beschäftigung von Arbeitnehmern haben und beachten müssen, das ist schon erheblich. Das führt dazu, dass selbst dort in diesem Bereich dann Personalabteilungen sich externe Expertise einkaufen müssen, durch Anwaltskanzleien beispielsweise, weil Unternehmen, insbesondere wenn wir von kleinen und mittleren Unternehmen reden, gar nicht mehr in der Lage sind, alle Bestimmungen wirklich so einwandfrei einzuhalten.
May: Hat aber natürlich auch immer den Grund, dass diese Dokumentationspflichten zum Beispiel Arbeitnehmer häufig auch schützen sollen.
Schäfer: Ja, das muss man immer abwägen: Zum einen, ob die Regelung, die man da trifft, den Schutzzweck erfüllt. Da muss man auch sehr genau schauen und da wäre ich auch dafür, dass man vielleicht die eine oder andere Regelung mal evaluiert und mal schaut, ob das überhaupt das Ziel erreicht, was man hat. Auf der anderen Seite muss man natürlich schauen, welche negativen Wirkungen habe ich dadurch, dass ich die Bürokratie oder Dokumentationspflichten und Ähnliches erweitere. Das hat natürlich auch einen negativen wirtschaftlichen Effekt.
"Ein Urteil, was ein bisschen eine Dokumentationspflicht aus der Mottenkiste herausholt"
May: Herr Schäfer, jetzt muss ich Sie fragen. Da kann die Große Koalition jetzt gar nichts für, aber es passt natürlich total gut in den Kontext Bürokratieabbau. Der EuGH hat gestern entschieden, dass die Arbeitszeit aller Arbeitnehmer in der EU verpflichtend erfasst werden muss, egal wo. Das klingt jetzt auch erst mal wieder nach mehr Bürokratie.
Schäfer: Ja, ich glaube, das klingt nicht nur so, sondern das wird auch dazu führen, dass es mehr Bürokratie gibt. Es müssen sämtliche Arbeitszeiten erfasst werden. Es gibt ja nun etliche Unternehmen, die Vertrauensarbeitszeiten haben, wo im Wesentlichen es den Arbeitnehmern überlassen bleibt, die betrieblich vereinbarten Arbeitszeiten soweit einzuhalten, wo das gar nicht weiter kontrolliert wird. Wir haben auch Konzepte, personalwirtschaftliche Konzepte, wie agiles Arbeiten, die mit solchen starren Regelungen eigentlich überhaupt nicht kompatibel sind. Insofern ist das eigentlich ein Urteil, was ein bisschen eine Dokumentationspflicht aus der Mottenkiste herausholt und natürlich zu mehr Bürokratie führen wird, keine Frage.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.