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Bestseller: "Die Zeit des Lichts"
Erotik statt Emanzipation

Über eine Million Dollar Vorschuss hat Whitney Scharer in den USA für ihr Debüt "Die Zeit des Lichts" bekommen. Der historisch-fiktive Roman erzählt die Liebesgeschichte der FotokünstlerInnen Lee Miller und Man Ray; leider nicht als Emanzipationsgeschichte.

Von Julia Friese | 21.11.2019
Die US-amerikanische Schriftstellerin Whitney Scharer
Die US-amerikanische Schriftstellerin Whitney Scharer wurde durch die Fotos von Miller und Man Ray zum Buch inspiriert (Klett-Cotta Verlag / Sharona Jacobs)
Lee Miller war eine der wenigen weiblichen Fotojournalistinnen im Zweiten Weltkrieg. Ihre Bilder und Reportagen wurden in der britischen Vogue gedruckt. Sie war bei der Befreiung von Dachau dabei und stieg an Hitlers Todesstag triumphal in dessen Badewanne. Das alles sind aber nur Randdaten in der Geschichte, die die US-amerikanischen Lehrerin und Grafik-Designerin Whitney Scharer in ihrem Romandebüt "Die Zeit des Lichts" über Lee Miller erzählt. "Seit es letzte Woche geregnet hat, sind die Hügel grün, wie bemooste Brüste ragen sie in den Himmel."
Der erste Satz ihres Romans deutet an, auf welchen Aspekt die Autorin sich stattdessen fokussieren will: Millers junge Jahre, ihre Liebes- und Arbeitsbeziehung zu dem surrealistischen Fotokünstler Man Ray. "Die Zeit des Lichts" ist historische Fiktion mit einem Schuss Erotik. Inspiriert zum Buch wurde Scharer durch die Fotos von Miller und Man Ray. Der Leser bemerkt das auf jeder Seite. Denn er bekommt weniger Fakten aus dem Leben der echten Lee Miller aufbereitet als Scharers Gedanken und Assoziationen zu Millers Fotografien. So ist es eigentlich nicht weiter verwunderlich, dass die Welt der Oberfläche und des Aussehens Scharers Geschichte bestimmt:
"Bei ihrem letzten Treffen lebten sie alle noch in London, und damals hörte sie Dave zu Paul Élurad sagen, sie sie fett geworden und nicht mehr so attraktiv wie früher, und dass sie das wütend mache. Was natürlich nicht stimmte. Es gibt so viel mehr, das sie wütend macht, als die fremde Frau mit den aufgeplatzten Äderchen im aufgedunsenen Gesicht, die sie jedem Morgen im Spiegel anschaut."
Opium geschwängerte Party
So klingt die Gedankenwelt, die Scharer für die 60-jährige Lee Miller im englischen Sussex imaginiert, bevor die Erzählung zurückspringt, in das Paris der späten Zwanziger und frühen Dreißiger Jahre. Der Legende nach stellte sich Miller 1929 bei Man Ray vor, und bestimmte, dass er von nun ihr Lehrmeister in Sachen Fotografie sein sollte. Bei Scharer findet das Kennenlernen auf einer Opium geschwängerten Party statt. Man Ray gesucht Lee Miller hier vor einem Mann zu schützen, der anzügliche Bemerkungen über ihre Brüste macht:
"‘Er würde weder dich noch irgendeine andere Frau anrühren. Verstehst du was ich sage? Das war alles nur Quatsch. Theater.‘" Lee schüttelt den Kopf. ‚Wer bist du?‘, fragt er. Sie schüttelt wieder den Kopf. Sie will weder ihren Namen noch sonst etwas über sich verraten. ‚Schon okay,‘ sagt er ‚Tut mir leid, wenn er dir Angst gemacht hat.‘ – ‚Ich habe keine Angst. Ich will einfach nur gehen.‘ – ‚Ja gut, kann ich verstehen. Solltest du irgendwas brauchen komm zu mir. Ich bin Man Ray.‘"
Sie ist so hässlich
Scharer versucht den Charme der Pariser Bohème nicht über eine besondere Sprache einzufangen. Die bloße Nennung von Orten, Namen und Requisiten übernehmen die Koloration der Geschichte. So heißen die Figuren, die im zeitlosen Plauderton miteinander reden, Jean Cocteau, Nusch und Paul Élurad, Tristan Tzara und André Breton. Man trinkt Absinth, Hot Toddys und Lillet. Isst Moules mariniéres und Makrele in Orangenmarinade. Besucht das Bateau Ivre und literarische Salons. Auf einem liest die widerständische Künstlerin Claude Cahun. Scharers Lee Miller ist von ihr fasziniert, weil diese sich nichts aus ihrem Aussehen mache:
"Lee weiß nicht – und es ist ihr auch egal – ob sie genau verstanden hat, worauf Claude hinauswollte, sie will einfach so sein, wie das Gefühl, das die Worte in ihr ausgelöst haben: allein, aber nicht einsam, auf niemanden angewiesen, bewusst leben mit einem Ziel. ‚Ich glaube, was mir an Claude gefallen hat‘, sagt sie, als Man fertig ist, "ist, dass es ihr egal zu sein scheint, ob die Leute sie mögen.‘ – ‚Ich glaube, es geht nicht darum sie zu mögen.‘ – ‚Ich meine nur ...‘ Lees Unfähigkeit sich auszudrücken frustriert sie. ‚Ich denke nur, dass sie … Ich weiß nicht. Sie ist so hässlich.‘"
Liebe, Anerkennung und Zweifel
"In Zeit des Lichts" ist Lee Miller eine unbedarfte Frau, die von der Welt der Männer fasziniert ist, und sie sich von ihnen erklären lässt. So lässt sich Miller etwa von Jean Cocteau darüber aufklären, dass Man Ray nur eine Muse in ihr sieht. Er rät ihr, sich von ihm zu lösen, und gibt ihr die Visitenkarte einer Mäzenin. Aber auch deren Geld möchte Miller lieber in Man Ray investieren als in die eigene Arbeit.
Scherer zeigt sie als eine Frau, die Liebe und Anerkennung im Zweifel lieber von einer nahe stehenden Person - einem Elternplatzhalter - erhält als von der schwieriger zu erreichenden Öffentlichkeit. Und inszeniert so auch einen feindseligen Eklat bei der ersten Begegnung zwischen Man Rays Ex-Freundin, der Tänzerin Kiki de Montparnasse, und Miller. Der aber, wie man zum Beispiel in der Biografie "Lee Miller. A Life" von Carolyn Burke nachlesen kann, so nie statt gefunden hat. Im Gegenteil, die beiden Frauen schätzen sich sehr. Die echte Lee Miller dürfte also wesentlich selbstbestimmter und unabhängiger gewesen sein, als Scharer sie beschreibt.
Dass Miller der Kunst schon bald den dem Rücken kehren wird um als Kriegsreporterin zu arbeiten, wird über Zeitblenden vermittelt. Für den Roman bedeutet das Übergänge von einem Frühstück mit Man Ray - mit Toast, Butter und Bademantel - zu Dachau, 30. April 1945:
"Wenn Lee ein Weitwinkelobjektiv benutzt und die Landschaft samt der gepflegten Rasen im Dorf dahinter einfängt, dann sieht man, wie dicht die Züge an den Leuten vorbeigefahren sind, dass sie es wussten, dass sie es gewusst haben mussten. Wenn sie das Bild durch die offene Zugtür macht, im Vordergrund der Kopf des Toten, dessen Wangenknochen fast durch die letzten Hautreste schneiden - Wenn sie wussten – sie müssen es gewusst haben – es geht gar nicht anders."
Der Tod und die Mode
Diese Übergänge zwischen Beziehungsalltag und Krieg sind in ihrer Komposition weder besonders geschmackvoll noch wird deutlich was Scharer mit diesen Blenden über ihre Protagonistin aussagen will. Denn eine wirkliche Entwicklung hin zu eigenen Befreiung lässt sie Miller nicht durchmachen. Im Epilog, der 1974 - also drei Jahre vor Millers Tod spielt - stellt sie erneut ihr Aussehen in den Fokus der Beschreibung: "Der Tod hat paradoxerweise ihre Liebe zur Mode wiederbelebt und dazu ihr Hüften und Wangenknochen.", heißt es da.
"Die Zeit des Lichts" ist ein Unterhaltungsroman, dessen Protagonisten vornehmlich Oberfläche bleiben. Besonders ärgerlich dabei ist, dass er den Namen einer sehr früh emanzipierten Frau nutzt, um auf ihrem Rücken misogyne Klischees zu verbreiten. Anstatt die Künstlerin Lee Miller wohlverdient aus dem Schatten der bekannteren männlicheren Künstler ihrer Zeit zu befreien, wird sie zur austauschbaren Protagonistin einer ziemlich, gewöhnlichen Amour fou.
Whitney Scharer: " Die Zeit des Lichts".
Aus dem Englischen von Nicolai von Schweder-Schreiner.
Klett-Cotta, Stuttgart, 392 Seiten, 22 Euro.