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Besuch in einem türkischen Café in Berlin

Konservative gibt es nicht nur in den klassisch-deutschen Milieus. Auch für einige Besucher eines türkischen Café in Berlin Kreuzberg ist Konservativ-Sein wichtig. Ganz oben auf der Werteskala steht die Familie. Andere Café-Besucher sehen alles etwas lockerer.

Von Jens Rosbach | 21.10.2010
    Ayten und Ali Ataman knabbern an einem Sesamring. Die türkischen Eheleute sitzen im türkischen Café Simici in Berlin-Kreuzberg. Sie trinken Tee aus kleinen, traditionellen Gläsern und unterhalten sich über Gott und die Welt. Was steht im Leben der Atamans ganz oben auf der Werteskala? Die beiden antworten prompt und wie aus einem Munde: die Familie.

    "Familie hat große Wert für mich. Was wäre noch wichtiger als Familie?"

    "Jeder hat eine Aufgabe: Der Mann arbeitet draußen, Frau arbeitet in Haushalt, kümmert Kinder. Kind kümmert seine Hausaufgabe. Das ist so eine Familie."

    Ayten Ataman ist 39 Jahre alt, trägt schulterlange braune Haare und eine auffällige Perlmuttkette. Ali ist 45 und ein schmaler Mann mit Halbglatze. So richtig konservativ sei er aber nicht, betont der Taxi-Unternehmer. Seine Frau stehe nicht nur am Herd, sondern helfe ihm auch bei der Büro-Arbeit. Der Zuwanderer berichtet von anderen Migranten-Eltern, die nicht so flexibel seien - auch nicht bei ihren Kindern.

    "Zum Beispiel die Eltern lassen die Kinder zum Beispiel nicht bis spätabends draußen oder wenn die in die Discowochenende gehen, die Eltern sind dagegen. Die erste Generation ist immer so gewesen. Also Mädchen, als Mädchen nur. Aber jetzige Generation, dritte Generation, sagt gar nichts mehr. - Ihre Kinder gehen auch in die Disco? - Mein Kind ist noch klein, aber würde ich gar nichts sagen, wenn sie mit Freundin in Disco geht. Kann sie gehen. - Und Sex vor der Ehe? Würden Sie auch nichts dagegen haben? - Nee, das ja. Äh ... , also so viel Toleranz würde ich nicht geben. Also man muss wirklich die Grenzen kennen."

    Erzkonservativ oder ein bisschen konservativ oder gar nicht konservativ? Die Besucher des Cafés Simici lassen sich nur ungern in eine Schublade stecken. So wie Metin Günes, ein türkischer Zigarrenhändler. Der 41-Jährige löffelt seine Erbsensuppe und erklärt, dass er bei dem einen Thema werteorientiert sei, bei dem anderen hingegen nicht. Die Familie zum Beispiel sei auch ihm heilig.

    "Ein älterer Bruder ist halt ein älterer Bruder. Und der muss halt respektiert werden. Und dem muss man ... wie sagt man so schön: Ehre, dem Ehre gebührt. Es gibt eine Hierarchie in der Familie. Diese Struktur, die dann aufgebaut wird, die sorgt dann dafür, dass dann die Stabilität in der Familie vorhanden ist."

    In Fragen der Abstammung ist Günes hingegen nicht sehr traditionell. Der Migrant blättert in einer türkischen Zeitung, die neben seiner Suppenschüssel liegt: die Hürriyet. Der Unternehmer runzelt die Stirn - dann schimpft er: Das Boulevard-Blatt sei ihm zu nationalistisch.

    "Ich bin weder stolz ein Türke zu sein noch stolz irgendwie ein Deutscher, oder noch eine andere Nationalität. Also dieser Nationalstolz führt nicht zu Gutem. Das haben wir ja früher gesehen. Die Geschichte hat das ja gezeigt, dass das wirklich nicht gut endet."

    Bei Sur Rindo ist es genau anders herum. Rindo ist Kurde und betrachtet die Volkszugehörigkeit als besonderen Wert – dafür aber die Familie nicht. Der Asylbewerber sitzt hinter einer großen Glasscheibe - im Raucherraum des türkischen Cafés.

    "Bewusst Kurde sein, das hat mit Stolz mehr zu tun. Das ist sehr altes mesopotamische Volk. Also hat viele verschiedene Zivilisationen gegeben von Menschheit. Aber leider von kolonialistischer Geschichte unterdrücktes Volk gewesen. Deswegen Kurden konnten ihre Kultur weiter nicht teilen die Welt."

    Draußen, vor der Tür, stopft Served Özder eilig einen Spinat-Börek in sich hinein. Der 35-jährige Türke hat vor fünf Jahren nach Deutschland geheiratet und nun zwei Kinder in Berlin. Nach seiner Meinung sind nur die älteren Zuwanderer konservativ. Und auch nur zum Teil.

    "Meine Frau hat jetzt eine Woche Urlaub. Sie hat alleine mit der Freundin Urlaub gefahren. Die zwei beide kleine Kinder ich versorge jetzt. Aber viele sagen: Nein, türkische Männer tun das nicht. Aber ist falsch. Natürlich tun das. Zum Beispiel ich. Ich gehe in den Kindergarten, ich hole Kinder, Essen kochen, Windeln wechseln – so macht türkische Männer auch!"

    An einem braunen Holztisch tuscheln zwei Frauen mit Kopftüchern. Für welche Werte treten sie ein? Für religiöse Werte? Als sie das Mikrofon sehen, winken sie sofort ab.

    "Nee, nein, nein. Keine Zeit."

    Ein 60-Jähriger mit kurzen, krausem Haar und Lesebrille schüttelt den Kopf über die Kopftuchfrauen: Giyas Sayan, kurdischstämmiger Parlamentarier im Berliner Abgeordnetenhaus. Sayan hat sich im Kaffeehaus mit einem Freund verabredet, um über Integrations-Konzepte zu reden. Der Linkspolitiker warnt, der Konservatismus könne sehr gefährlich sein. Und zwar, wenn er Menschen ausgrenze. Oder Menschenrechte missachte. Stark religiöse Migranten würden dies tun.

    "Wenn man in die Moschee geht, hier in die Moschee geht. So ein bisschen untertaucht als Mosleme und mit denen redet. Da erfährt man, wie fleißig die Menschen gegen die Gesellschaft, gegen Verfassung, gegen Demokratie, gegen Pluralismus, gegen Frauenrechte kämpfen. Wie sie - die Männer, die dort sind – aufrüsten. Das ist ein Problem!"
    Fundamentalistische Zuwanderer. Liberale Migranten. Kurden mit Nationalstolz. Und Türken ohne Nationalstolz. Zuwanderer, denen die Familie heilig ist – und Zuwanderer, die das alles locker sehen. Die Gäste im Berliner Café Simici sind bunt gemischt - so bunt wie die gesamte Community? Der türkische Zigarrenhändler Günes jedenfalls hält das Bild von der durchgängig konservativen Migranten-Szene für ein Klischee. Günes bilanziert, seine Erbensuppe löffelnd:

    "Das wird wirklich nicht alles so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Und was in den Medien überhaupt hochstilisiert wird, ist ja auch nicht die Realität eigentlich, ja."