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Betonköpfe

Ein altes Paar, das Enten beobachtet, entspanntes Liegen auf der Luftmatratze, tanzende Senioren - ein ganz normaler Sonntagnachmittag im Maximilianpark Hamm und doch ganz anders. Die, die hier tanzen, relaxen und lachen sind aus Beton. Geschaffen hat die 80 "Alltagsmenschen" Christel Lechner.

Von Peter Beckof | 23.03.2012
    "Ja! Haben wir schon gestreichelt, ne, Hanna? Hast du schon den Opa entdeckt und die Oma entdeckt." - "Jaa!"

    Eine Mittagspause im Maximi-Park Hamm. Die kleine Hanna ist ganz begeistert und betatscht eifrig die Alltagsmenschenskulptur von Christel Lechner: Eine lebensgroße, lebensecht bemalte, dickliche Frau, aus Beton, sitzt da, in aller Seelenruhe, und sieht den Enten beim Gründeln zu. So wie die Besucher auch, die es sich gerade neben ihr gemütlich machen.

    "Sehr schön gemacht muss ich sagen, also sehr authentisch, muss ich sagen. Wie es im wahren Leben so ist."

    Den ganzen Park hat Christel Lechner mit ihren Figuren bestückt. Eine Rentnerin, Beton über Styroporkern, döst auf einer Luftmatratze, mitten im See. Dreißig Meter weiter hat sich ein Seniorengrüppchen zu einer fröhlichen Polonaise aufgereiht.

    "Das, was ich mache, ist eine Gratwanderung: Wenn man zu viel macht, wird´s ein Comic, wenn man´s zu bunt macht, wird´s kitschig."

    Aber das Gran Wahrheit am Klischeebild hat Christel Lechner in den Zement gemischt: der Ruhrgebietsmensch, der eben so ist, wie er ist: kontaktfreudig, eigen, normal geblieben.

    "Ja, wie es eben früher, in den 50er Jahren war, als man noch im Schrebergarten saß und dann da gemütlich ne Pause gemacht hat, das ist genau das, was einem hier begegnet."

    Zwei Monate dauert die Herstellung eines Alltagsmenschen. Ein Foto von der Straße, von einem Manfred oder Murat, einer Anne oder Ayse, dann eine Zeichnung, ein Guss aus Kunststoff und eine Ummantelung aus wetterfestem Schornsteinbeton. Jede Figur 100 Kilo schwer - etwa so, wie das im echten Leben auch wäre – und - der aufwendigste Arbeitsschritt: mit verblüffend lebendigem Gesichtsausdruck.

    "Die Leute, die ich mache, die sind alle gelassen und gemütlich. Natürlich ist es so, dass der Zeitgeist was anderes sagt, dass ich ein bisschen in dieser verklärten Nostalgie bin, eben in diesen Schrebergärten zu leben und so genüsslich da seine Kartoffeln zu ernten, was ja heute schon ein absoluter Luxus ist."

    Nostalgie, ja, aber auch: Porträts dessen, was dem realen Alltagsmenschen fehlt: entschleunigtes Dasein. Man kann einiges andere in diese 80 Figuren hineinprojizieren: edle Einfalt, stille Größe, die Überalterung der Gesellschaft, das Ende des Kohlezeitalters im Ruhrgebiet, Arbeitslose im Park. Das ist viel mehr als Kitsch und Dekoration; das ist ein aufmerksamer, empathischer Blick auf: die anderen, im Alltag.

    "Es hat einfach damit zu tun, dass die Prioritäten für mich mehr im Betrachten des Lebens liegen, als sich ständig mit sich selbst zu beschäftigen – ob man schlank, schön und braun ist und ewig jung. Das hat ganz viel mit unserem Zeitgeist zu tun. Vielleicht ist gerade das die Sehnsucht, wieder dahin zurückzugehen, zu dem Authentischen."