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Betreuungsgeld: CSU will sich beweisen

Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer droht mit Koalitionsbruch, wenn die CDU das Betreuungsgeld nicht durchsetzt. Der Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter ist überzeugt, dass sich die CSU beweisen müsse. Die Partei müsse zeigen, dass sie eine eigenständige und den Meinungen der Bayern kommode Linie verfolge.

Heinrich Oberreuter im Gespräch Friedbert Meurer | 23.04.2012
    Friedbert Meurer: In Deutschland herrscht Kulturkampf – nicht zwischen Staat und katholischer Kirche wie unter Bismarck, nicht zwischen Links und Rechts, sondern zwischen Eltern, die ihre Kinder in die Kita geben, und Eltern, die das nicht tun. Nur so ist es zu erklären, warum das Betreuungsgeld, das die schwarz-gelbe Regierung ab 2013 einführen will, so hohe Wellen schlägt. Eine Gruppe von CDU-Abgeordneten will das Betreuungsgeld nicht mittragen. Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer hat für diesen Fall am Wochenende indirekt gedroht, das könnte das Ende der Koalition bedeuten. Andere Regierungen in Europa stürzen über den Euro oder die Sparpolitik. Wird Angela Merkel allen Ernstes über die Herdprämie stürzen?

    Die Union streitet heftig über das Betreuungsgeld. Am Telefon begrüße ich Heinrich Oberreuter, Politikwissenschaftler an der Universität Passau. Guten Tag, Herr Oberreuter.

    Heinrich Oberreuter: Ja guten Tag!

    Meurer: Können Sie sich vorstellen, dass die Koalition am Betreuungsgeld zerbricht?

    Oberreuter: Das glaube ich nicht. Ich könnte mir bestenfalls vorstellen, dass das Betreuungsgeld als ein Anlass genommen wird, ein Gedankenspiel, das ohnehin nicht so weit weg liegt, zu realisieren. Es könnte eine Versuchung bestehen für die Union, sich von dem schwachen Partner FDP zu trennen, wenn der nicht mehr auf die Beine kommt nach den Landtagswahlen, und dann wäre das bestenfalls ein Instrument. Aber an sich wird die Koalition an dieser Frage nicht scheitern.

    Meurer: Das habe ich jetzt nicht ganz verstanden, dass die FDP aus der Koalition gekickt wird mit einer großen Koalition. Wenn das das Kalkül wäre, wird das Betreuungsgeld doch erst recht nicht kommen.

    Oberreuter: Ja. Also ich würde jetzt nun die Koalitionsfrage ja sowieso nicht an dem Betreuungsgeld aufhängen und meine Überlegung ist, wenn die Koalition weitermacht und das Ende der Wahlperiode erreichen sollte, wofür ja auch sehr viel spricht, trotz der Gedankenspiele im Hintergrund, dann ist es ein Prüfstein und eine Auseinandersetzung, wobei die FDP, wie ja auch die Bayern sagen, sich korrekt verhält und dem Kompromiss zustimmt und der Versuch, ihn auszuhebeln, ja im Wesentlichen von der CDU ausgeht. Dahin wiederum muss man auf die Linie von Angela Merkel schauen, die ja bisher immer noch Kraft genug gehabt hat, sich in der CDU durchzusetzen, in Partei und Fraktion, und die steht hinter diesem Projekt. Ob nun zähneknirschend oder jubelnd, das ist eine unter machtpolitischen Gesichtspunkten zweitrangige Frage.

    Meurer: Was würde es denn bedeuten für das Verhältnis zwischen CDU und CSU, wenn 10 oder 20 CDU-Bundestagsabgeordnete im Bundestag das Projekt zu Fall bringen?

    Oberreuter: Ich glaube nicht, dass sie in der Lage sind, das Projekt zu Fall zu bringen, und für das Verhältnis würde auf einer operativen Ebene der Politik erst mal ein großer Spott ausbrechen über die Unfähigkeit der Koalitionsführung oder des partnerschaftlichen Teils der Koalitionsführung, nämlich speziell Herrn Kauders, den eigenen Laden zusammenzuhalten.

    Das zweite wäre natürlich in der Tat der Versuch, das Klima innerhalb der Schwesterparteien zuzuspitzen. Aber ich glaube auch nicht so recht an die Drohung von Herrn Seehofer, Kompromisse gegeneinander aufzuwiegen.

    Meurer: Wieso droht er denn eigentlich?

    Oberreuter: Na ja, er droht im Wesentlichen, glaube ich, unter dem Gesichtspunkt der Gesichtswahrung der CSU unter zweierlei Aspekten. Erstens muss die CSU immer wieder auf Bundesebene vorweisen, dass sie eine eigenständige und den Meinungen der Bayern kommode Linie verfolgt und auch durchsetzen kann, und es ist ja nicht ganz uninteressant, dass am Wochenende eine Umfrage bekannt geworden ist, dass zwei Drittel der Bayern hinter diesem Projekt stehen. Die andere Frage ist, wie die Fragen formuliert sind, das können wir also nicht klären.

    Der zweite Punkt ist natürlich, dass die CSU im Jahre 2013 durchaus in eine Existenzfrage ihrer Regierungsrolle schaut und dass sie auch ihre Stammwählerschaft und ihre konservativere Kundschaft, die die traditionelleren Familienbilder und Erziehungsbilder mit sich trägt, befrieden und befriedigen muss, und beide, die inhaltliche Frage und die Machtfrage, sind für die CSU gegenwärtig von ziemlich tragender Bedeutung.

    Meurer: Kann Seehofer nicht doch mit dem Gedanken spielen, um in Bayern die Macht zu retten, die Koalition draufzugeben, oder sogar die Fraktionsgemeinschaft?

    Oberreuter: Die Fraktionsgemeinschaft wäre ja in Kreuth vor 25 Jahren fast schon mal preisgegeben worden aus wichtigeren Gründen. Ich glaube, so wie die Bayern wissen, dass sie selbständig in Berlin agieren müssen innerhalb gewisser Grenzen, wissen sie letztendlich auch, dass sie diese Grenzen nicht überschreiten dürfen, denn eine Preisgabe der Fraktionsgemeinschaft würde nicht nur zur Schwächung der CDU führen, sondern auch zur Selbstschwächung der Bayern.

    Die Frage des Koalitionsfortbestehens, da kann man sich opportunistischere Strategien vorstellen, aber auch nicht, dass die Bayern sie platzen lassen ohne das Placet von Angela Merkel, und was da im Hintergrund alles gespielt werden müsste und welche Argumente man sucht - man kann sich vorstellen, dass man welche findet, aber man kann sich im Augenblick nicht recht vorstellen, wie der ganze Prozess dann verläuft und wie er denn nach außen verkauft werden soll und wie er zu einem Erfolg kommen soll, denn Sie haben ja vorhin auch schon angedeutet, der Drang in eine Große Koalition würde ja auch bedingen, dass die SPD ihn ähnlich sieht, und die SPD kann eigentlich von einer geschwächten schwarz-gelben Gruppierung nur profitieren, wobei die Umfragen aber auch zeigen, dass Wunschkoalitionen unter Führung der SPD alleine von den Mehrheitsverhältnissen her im Augenblick auch schwer vorstellbar sind. Also die Lage ist verzwickt.

    Meurer: Der Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter von der Universität Passau bei uns im Deutschlandfunk. Danke und auf Wiederhören, Herr Oberreuter.

    Oberreuter: Bitte schön!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.