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Betrunkene Ratten

Gegen den Alkoholismus gibt es derzeit keine wirklich effizienten Medikamente. Wissenschaftler in den USA sind jedoch einem pflanzlichen Wirkstoff gegen die Sucht auf der Spur. Es ist ein Extrakt einer Pflanze, die in der chinesischen Kultur seit Langem gegen den "Kater" bei übermäßigem Alkoholgenuss eingesetzt wird. Die US-Forscher haben ihn bereits an Ratten getestet.

Von Julia Beißwenger | 28.03.2012
    Bekommen Ratten die Gelegenheit, hochprozentigen Alkohol zu trinken, langen sie ordentlich zu. Das zeigten Pharmakologen der University of California in Los Angeles. Sie stellten Versuchstieren täglich zwei Trinkflaschen in den Käfig, die eine enthielt reines Wasser, die andere ein Ethanol-Wasser-Gemisch mit einem Alkoholanteil von 30 Prozent. Nach nur zwei Wochen waren die Nager süchtig und ständig betrunken, erzählt Jing Liang.

    "Ich war so neugierig, was passieren würde und als ich sah, dass sie Alkohol bevorzugten, dachte ich: Oh sie sind wie Menschen. Die Ratten waren ein wenig verrückt, sie kämpften miteinander. Wenn zwei Ratten in einem Käfig waren, das kann ich ihnen sagen, dann kämpften sie heftig und verkrallten sich ineinander, sodass sie wie ein Ball umherrollten."

    Mit den alkoholkranken Ratten testeten die Wissenschaftler die Wirkung von Dihydromyricetin, kurz DHM genannt. Das Extrakt ist ein weißes Pulver, das aus den Samen und Blättern des Japanischen Rosinenbaums gewonnen wird. Hovenia dulcis ist sein lateinischer Name. Seit rund 500 Jahren gehört der Laubbaum zur südostasiatischen Naturheilkunde, denn DHM soll gegen Allergien helfen und vor allem gegen die Folgen von zu starkem Alkoholkonsum, erzählt Jing Liang.

    "Schon als ich klein war, kannte ich diese Hovenia-Pflanze, weil wir ihre Samen und Blätter bei Festen als Gewürz ins Essen mengen. Wenn man Alkohol trinkt und zudem noch diese Pflanze konsumiert, dann sorgt ihr Wirkstoff DHM dafür, dass man nicht betrunken wird. Man hat aber trotzdem durch den Alkohol ein Hochgefühl und das hält sogar länger an, als ein normaler Rausch. Später dann fühlt man sich vielleicht schläfrig. Man schläft aber nur kurz, so 5 bis 10 Minuten lang. Danach fühlt man sich nicht benommen und vor allem hat man keine ernsthaften Kopfschmerzen."

    Jing Liang und ihr Team möchten mithilfe von DHM Medikamente für alkoholkranke Menschen entwickeln. Die Forscher erproben den Wirkstoff daher an Ratten. Sie injizierten den Tieren in etwa soviel Alkohol, wie ein Erwachsener im Körper hat, der zweieinhalb Liter Wein getrunken hat.

    "Die Ratten verloren das Bewusstsein, die meisten 70 Minuten lang. Die Tiere allerdings, denen ich zusätzlich DHM gegeben hatte, standen schon nach durchschnittlich fünf Minuten wieder auf, obwohl die Alkoholkonzentration in ihrem Blut genauso hoch war. DHM weckt also betrunkene Ratten auf."

    Doch wie wirkt die Substanz bei Alkoholentzug? Jing Liang setzte unter Entzug stehende Ratten in einen Käfig, der zwei Wege erlaubt. Der eine ist offen und ermöglicht es, die Umgebung zu erkunden, der andere Weg ist abgeschlossen und dunkel.

    "Durch Alkoholentzug werden die Tiere normalerweise sehr ängstlich und nervös. Sie wollen nicht ihre Umgebung erkunden. Als wir also die Tiere in die Mitte des Käfigs setzten, liefen sie sehr schnell in den dunklen Weg und blieben da bis zum Ende des Experiments, also circa fünf Minuten. Die Ratten jedoch, die zwar unter Alkoholentzug standen aber gleichzeitig DHM im Blut hatten, waren nicht besonders ängstlich."

    Die Tiere erkundeten also geschickt den Käfig, wie es Artgenossen taten, die nie Alkohol getrunken hatten. Jing Liang und ihre Kollegen gehen davon aus, dass für die Wirkung von DHM sogenannte GABAA-Rezeptoren verantwortlich sind. Sie sitzen im Gehirn sowie im Rückenmark und sind an der Weiterleitung hemmender Signale beteiligt. Zudem steuern sie die motorische Koordination und helfen, den Schlaf einzuleiten. Alkohol bindet an GABAA-Rezeptoren und genau das tut wohl auch DHM, vermuten die Forscher. Dadurch verhindert das pflanzliche Extrakt, dass der Alkohol seine Wirkung voll entfalten kann. Sogar die Leber, so Jing Liang, wird durch DHM vor einer Alkoholvergiftung geschützt. Bei Ratten, so sagt sie, stellen sich erst beim Hundertfachen der in den Experimenten eingesetzten Dosis Begleiterscheinungen ein, vor allem eine leichte Orientierungslosigkeit. Bei Menschen wurden bisher keine Nebenwirkungen festgestellt.

    Jing Liang hat bereits Patente für DHM-Produkte eingereicht. Als Kaugummi oder in einem Getränk könnte der Wirkstoff die tägliche Nahrung ergänzen. Zudem möchte sie Medikamente entwickeln, die ein Arzt alkoholkranken Menschen verschreiben könnte. In den kommenden Monaten werden die Wissenschaftler daher das Extrakt des Japanischen Rosinenbaums systematisch an Menschen testen.