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Beust: Schuldenstopp vor Steuersenkungen

Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust hält eine Debatte um mögliche Steuersenkungen für verfrüht. Zunächst müsse es darum gehen, keine neuen Schulden zu machen und dann mit der Tilgung der Altschulden zu beginnen. Erst danach sei Raum für Steuersenkungen. Der CDU-Politiker rechnet damit, dass die Bundesländer etwa ab 2012 ohne weitere Neuverschuldung auskommen.

Moderation: Jochen Spengler |
    Jochen Spengler: Herr von Beust, ist jetzt schon die Zeit, über Steuersenkungen nachzudenken?

    Ole van Beust: Die Zeit darüber nachzudenken ist grundsätzlich immer. Nur der Zeitpunkt, sie jetzt zu senken, ist aus meiner Sicht noch nicht gekommen. Wir haben, das gilt für die Länder genauso wie für den Bund, die von Ihnen eben genannten hohen Schulden unterschiedlichen Ausmaßes. Die Länder und auch der Bund bemühen sich, die Schuldenneuaufnahme, also die Kreditaufnahme, zu reduzieren. Und ich meine, das ist der richtige Weg, erstens, wenn der Staat neue Aufgaben übernimmt, die nicht durch neue Schulden zu finanzieren, sondern innerhalb des Haushaltes zu finanzieren, zweitens die Kreditaufnahme zu senken, auf Null zu senken. Wenn man so weit ist, dann kann man in der Tat über Steuersenkungen nachdenken, mit dem Ergebnis, dass man sie macht. Jetzt kann man nur nachdenken, machen kann man sie noch nicht.

    Spengler: Wann sollte denn die Kreditaufnahme auf Null sein in Deutschland?

    Beust: Das ist ja sehr unterschiedlich. Die Finanzsituation der Länder ist ja nicht überall identisch. Die ostdeutschen Länder haben teilweise eine andere Situation als die westdeutschen, die Stadtstaaten andere als Flächenstaaten. Ich glaube, als Faustregel kann man sagen, dass im Jahre 2012 der Zeitpunkt da ist, wo die meisten so weit sein werden, dass es ohne Neuverschulung geht, und dann sollte man in der Tat denken an die Schuldentilgung, denn die Schulden sind ja nicht weg, die bleiben ja noch, die Zinsen, an die Schuldentilgung, aber zum Zweiten auch daran, wenn die Konjunktur gut bleibt, die Abgaben für die Bürger zu reduzieren, also Steuern zu senken. Der Gedanke ist richtig. Und wichtig scheint mir, dass man jetzt nicht immer neue Aufgaben sich sucht, der Staat, und die durch neue Schulden beziehungsweise durch das jetzt rein kommende Geld finanziert, sondern wir müssen das, was wir jetzt finanzieren, aus dem Bestand finanzieren, um wirklich gute Steuereinnahmen dazu zu nutzen, erstens keine neuen Schulden aufzunehmen, sie auf Null runterzufahren, zu tilgen und dann Steuern zu senken.

    Spengler: Sehen Sie da mehrheitlich in Deutschland die Bereitschaft zu?

    Beust: Ja. Also meine Erfahrung ist, dass die meisten Länder sich sehr bemühen, teilweise mit enormen Kraftanstrengungen, auch teilweise sehr unpopulären Dingen, also wir kennen das ja von Mecklenburg über Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, gerade im Norden sehr stark. Auch in Bremen, auch in Berlin bemüht man sich ja sehr, staatliche Leistungen zu reduzieren, um damit wirklich diese gute Konjunktur zu nutzen, um endlich von den Schulden runter zu kommen und auch von den Zinsen runter zu kommen. Also noch mal: Darüber nachzudenken ist immer richtig, aber der Zeitpunkt, wo es wirklich werden kann, wenn die Konjunktur weiter stimmt, ist vermutlich so ab Jahr 2012.

    Spengler: Herr von Beust, Sie treffen sich heute in Kiel mit den Ministerpräsidenten der anderen vier norddeutschen Länder, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Ein Thema ist dann die Föderalismusreform zweiter Teil. Das klingt schon sehr kompliziert. Es geht um die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzen. Das macht es nicht leichter. Was erwartet Hamburg von diesen Verhandlungen, die schon begonnen haben auf Bundesebene geführt zu werden?

    Beust: Das Ziel muss sein, spätestens zum Auslaufen der jetzigen Regelung, und das ist noch relativ lange hin, die ist ja beschlossen worden bis zum Jahre 2019, das heißt, bis dahin kann keiner einseitig ausbrechen, sondern nur alle 16 Länder und der Bund gemeinsam könnten was ändern, aber zu denken, was passiert danach? Das Wichtigste ist, glaube ich, dass die Länder einen größeren Anreiz als bisher haben müssen, bestimmte Infrastrukturmaßnahmen zu finanzieren und im Vergleich der Länder gut darzustellen. Im Moment ist das Problem, dass man als Landeschef letztlich weiß, irgendwo, wenn es hart wird, springen die anderen schon ein. Es muss nicht ganz so dramatisch sein wie Berlin und Bremen, wo der Bund mit einspringen soll, aber über den Länderfinanzausgleich wird der Ehrgeiz der Länder, eine gute Finanzpolitik zu betreiben und viel zu investieren und möglichst wenig in die laufenden Ausgaben zu stecken, dieser Ehrgeiz etwas gebremst, weil Ehrgeiz hier nicht belohn wird. Und ein System zu schaffen, wo man diesen gemeinsamen Ehrgeiz hat und das Nivellierende rauskommt, das ist, glaube ich, machbar, aber das ist noch ein weiter Weg, weil jeder auf lieb gewordene Dinge verzichten muss, und wir wissen, das tut man ungern, meistens unter Zeitdruck. Darum ist der lange Zeitraum ein Vorteil, weil man in Ruhe verhandeln kann, ein Nachteil, weil der Druck ein wenig fehlt.

    Spengler: Also bis 2019 wollen Sie sich Zeit nehmen.

    Beust: Das kann auch eher gehen, nur bis dahin ist die alte Regelung in Kraft, mit vielen unterschiedlichen Vorteilen für die einzelnen Länder, und da ist es sehr schwer, auf etwas zu verzichten, wenn man es nicht muss. Denkbar ist es, aber die Verhandlungen sind im Gange, und mal schauen.

    Spengler: Ihr Kontrahent in Hamburg, Michael Naumann von der SPD, der hat gesagt, er möchte, dass über den Geldtransfer in die neuen Länder hinein, also etwa jährlich 80 Milliarden Euro, noch einmal nachgedacht wird, das, was eigentlich bis 2019 festgeschrieben ist. Ist das realistisch?

    Beust: Zum einen muss man sagen, diese Regelung des Länderfinanzausgleiches, um die es ja auch geht, ist von meinem Amtsvorgänger Ortwin Runde (SPD) damals federführend mit geschaffen worden. Da soll der Herr Naumann sich mit dem Kollegen Runde auseinandersetzen. Ansonsten noch einmal: Nachdenken ist immer klug. Nur: Wir sind als Hamburger, und das muss man sehen, ein Land, was gibt. Uns geht es wirtschaftlich relativ gut.

    Spengler: Ist das eigentlich gerecht, dass Sie geben? Sie haben die dritthöchste Pro-Kopf-Verschuldung.

    Beust: Was ist schon gerecht? Die Materie ist einfach zu kompliziert, um mit Ja oder Nein zu antworten. Schauen Sie, auf der einen Seite geben wir eine ganze Menge, haben wir die dritthöchste Pro-Kopf-Verschuldung. Auf der anderen Seite haben wir, was wirtschaftliches Wachstum angeht, was den Zugang von Arbeitsplätzen angeht, was das Bruttosozialprodukt pro Kopf angeht, stehen wir wieder sehr gut da. Und bei allen Schwierigkeiten, die wir in Hamburg mit den Einzahlungen haben, die tun mir auch weh, haben wir auf der anderen Seite als Stadtstaat eine Sonderklausel, dass bei uns die Einwohner höher bewertet werden, die also im Verhältnis zu anderen Ländern erheblich besser da stehen, und zweitens, die Hafenleistungen, die wir erbringen, auch noch besonders angerechnet werden. Das heißt, wir haben Vor- und Nachteile. Da es uns aber als Hamburger wirtschaftlich relativ gut geht, glaube ich, wenn die Länder, denen es gut geht, zu laut ins Horn tröten, ist das der falsche Weg, weil es automatisch Abwehrmechanismen bei den anderen hervorruft. Man muss das mit einer gewissen Diskretion in Ruhe verhandeln.

    Spengler:! Jetzt treffen Sie sich ja heute mit den vier anderen Nordländern. Haben Sie denn da überhaupt, was die Finanzen angeht, gemeinsame Interessen? Sie sind ein Geberland, die vier anderen sind Nehmerländer. Kann man da auf einen gemeinsamen Nenner kommen, oder ist es doch unterschiedlich?

    Beust: Man muss es probieren. Aber das ist der erste Anlauf, dass wir darüber sprechen. Ich gehe davon aus, dass dieses Thema mehr ein Bericht ist über den jetzigen Stand der Diskussion. Und was man verhindern muss, und darum ist dieses Treffen wiederum wichtig, eine Frontstellung zwischen Geber- und Nehmerländern. Hamburg ist als norddeutsches Land ein Geberland, und darum liegt es uns daran, hier zu gucken, wie können wir norddeutsche Interessen gemeinsam vertreten und nicht zu einer etwas künstlichen Frontstellung zwischen Geber- und Nehmerländern kommen. Aber es ist dies ein allererster Anlauf, um einmal in Ruhe darüber zu reden, aber der Weg ist noch wirklich sehr, sehr lang, da will ich keine Illusionen wecken.

    Spengler: Nun gibt es die Nordländerkonferenz seit 1969. Lohnt sich eigentlich der Aufwand, ist da schon jemals etwas Wichtiges beschlossen worden?

    Beust: Mal ja, mal nein. Wir haben auf der langen Tagesordnung durchaus Dinge, die regional von großer Wichtigkeit sind, zum Beispiel geht es um die Frage der Abstimmung der nautischen Ausbildung für nautische Berufe, dass wir hier eine norddeutsche Lösung gemeinsam finden. Das finde ich vernünftig, weil wir als Küstenländer hier gemeinsame Interessen haben und auch die Finanzmittel einfach besser einsetzen können, wenn wir das koordinieren. Das ist ein Punkt. Ein anderer Punkt ist die Frage der großen Infraverkehrsprojekte, gerade die Eisenbahnprojekte, Sie wissen, das spielt bei uns im Norden eine große Rolle, die Y-Trasse, das heißt die Verbindung von Hamburg Richtung Süden, aber auch die Anbindungen an das Eisenbahnnetz des Tiefwasserhafens Wilhelmshaven sind vom Verkehrsministerium zumindest zur Disposition gestellt worden. Hier haben wir gemeinsame norddeutsche Interessen, die wir noch mal abstimmen wollen, und einfach eine Strategie überlegen wollen, wie wir die in Berlin vertreten wollen. Es gibt viele kleine Punkte, die eine Rolle spielen. Ich gebe zu, es ist selten der ganz große Wurf. Ich glaube auch, dass die tatsächliche Zusammenarbeit eher bilateral zwischen den einzelnen Ländern und nicht in der ganzen Region geregelt wird. Dafür ist sie unter dem Strich doch wieder zu groß.

    Spengler: Wie betrachten Sie als erster Bürgermeister von Hamburg eigentlich den Föderalismus ganz prinzipiell? Angesichts des Finanzstreits, angesichts dieses Flickenteppichs zum Beispiel jetzt beim Rauchverbot, der unterschiedlichen Schulsysteme, hat man doch den Eindruck, dass die Bürger allmählich langsam die Geduld mit dem Föderalstaat verlieren. Sehen Sie das mit Sorge?

    Beust: Ich kenne diese Empfindungen. Teilweise ist sie auch berechtigt. Unter dem Strich, wenn Sie mal in zentralistische Länder fahren, wie zum Beispiel Frankreich oder andere Länder, Italien, die mehr zentralistisch organisiert sind, sagen Ihnen da die Menschen genau das Gegenteil, sagen, die Entscheidungen werden weit weg von uns getroffen. Da geht es um Beziehungen, die die jeweiligen Leute zu der Bundesregierung haben, und nicht mehr um welche, die demokratisch in der Region gewählt worden sind, die haben kaum Einflüsse, sondern hängen sehr am Gängelband der Zentralregierung und sind darum entmündigt. Da geht der Trend genau in die andere Richtung. In Dänemark, in Schweden beginnt man, sehr stark zu regionalisieren, weg vom Zentralismus. Ich glaube, es gibt immer eine gewisse Skepsis gegenüber staatlichen Stellen, und da, wo sie zentral organisiert sind, wollen die Leute Unabhängigkeit, und wo sie nicht dezentral sind, wollen die Menschen mehr Zentralismus.

    Spengler: Aber es gäbe ja den Kompromiss, zum Beispiel sich zusammenzuschließen. Und Sie sind ja gewissermaßen schon etwas verlobt mit Schleswig-Holstein. Sie haben ja schon Sachen zusammengelegt, Ämter.

    Van Beust: Ja, wir sind dabei zusammenzulegen, sind auch dabei, weitere Projekte zu machen. Die ersten sind immer einfach, das ist der Zauber des Anfangs, dann wird es schwieriger. Wir sind aber unermüdlich dabei und sind in vielen Gesprächen. Ich glaube auch, dass das irgendwann auch im Zuge der Kosten des Föderalismus zu der Diskussion kommt, können wir uns 16 Länder leisten? Und da wird vermutlich unter dem Strich irgendwann mal die Antwort heißen, das ist zuviel. Aber der Föderalismus als Ganzes wird damit nicht infrage gestellt.

    Spengler: Das heißt, irgendwann wird es zur Fusion kommen. Muss man dazu das Grundgesetz ändern, weil man ja sonst immer die Zustimmung der Menschen braucht?

    Beust: Wir brauchen die Zustimmung der Leute, und das finde ich auch vernünftig. Das geht ja auch um Tradition, Emotionen, Befindlichkeiten. Und ich glaube, wenn man es gut vorbereitet, kann man das Ziel auch erreichen.