Bewusste Blattlaus der französischen Literatur

Von Florian Ehrich · 08.04.2011
Emil M. Cioran war ein Pessimist und gilt als einer der größten Stilisten der französischen Sprache im 20. Jahrhundert. Als radikaler Kulturkritiker und Skeptiker suchte er unbarmherzig menschliche Illusionen über Gott, die Geschichte oder das Leben zu dekonstruieren. Am 8. April 1911 wurde er geboren.
"Ich selbst. Ich bin asozial, das muss ich ganz zugestehen, ich bin absolut asozial. Obwohl ich das Leiden meiner Mitmenschen ganz von Nähe kenne. Ich bin kein Sozialist, weil für mich die soziale Frage unlösbar ist. Nicht aus Mitleidlosigkeit, aber ich betrachte, dass das nicht wichtig ist. Was wichtig ist, ist nur, was einer persönlich erlebt und kennt."

Emil Cioran machte keinen Hehl aus seiner provozierenden Haltung als Intellektueller. Seit seiner politischen Verirrung in den dreißiger und vierziger Jahren, als er die rumänische Eiserne Garde unterstützte und Hitler verehrte, wollte er sich nicht mehr in aktuelle gesellschaftliche Fragen einmischen. Der am 8. April 1911 als Sohn eines orthodoxen Priesters im multiethnischen Siebenbürgen geborene Denker lehnte vielmehr die Idee einer sich sinnvoll entwickelnden Geschichte ab:

"Man kann unendlich über die Fragen denken, es gibt eigentlich keinen Fortschritt, weil es im Leben auch keinen Fortschritt gibt. Ich habe auch politisch-philosophisch nie an Fortschritt geglaubt. Denn der Fortschritt ist ein Glaube, die Geschichte ist die Negation des Fortschritts."

Für Cioran, der sich in seiner Jugend intensiv mit den christlichen Mystikern beschäftigt hatte, war allein das Erleben von existenziellen Grenzsituationen - etwa der Liebe, der Todesgewissheit oder der Erfahrung Gottes - wichtig.

Mit 17 Jahren begann er ein Philosophiestudium an der Universität Bukarest, wendete sich aber schon bald von der akademischen Disziplin ab. Stark von Nietzsche und der Lebensphilosophie geprägt, verabscheute er systematische Denkgebäude und schrieb daher vor allem Essays und Aphorismen, in denen Widersprüchliches nebeneinanderstehen konnte. In dieser Zeit lernte er den Religionswissenschaftler Mircea Eliade kennen, der sich beeindruckt von dem Wissen des jungen Mannes zeigte:

"Ich bewunderte Cioran seit seinen ersten Artikeln, die 1932 erschienen sind, als er kaum 21 Jahre als war. Er hatte eine für sein Alter außergewöhnliche philosophische und literarische Bildung. Er hatte bereits Hegel und Nietzsche, die deutschen Mystiker, und Ashwagosa gelesen. Er schrieb sowohl philosophische Essays als auch Pamphlete von ungewöhnlicher Kraft."

Cioran legte 1933 sein erstes, in rumänischer Sprache verfasstes Buch vor: "Auf den Gipfeln der Verzweiflung" berührte bereits alle Themen seines späteren Werks. Erkenntnis ist für ihn ein Fluch, der Selbstmord eine tröstende Möglichkeit. Gott wird angerufen und verdammt, die Weltflucht der Asketen bewundert und verachtet.

Für Cioran, der sich selbst als "bewusste Blattlaus" oder "Scherbe der Weltseele" bezeichnen konnte, übte das Scheitern eine viel größere Anziehungskraft aus als der Triumph. Die Dekadenz großer Kulturen wie der römischen oder die lang anhaltende Demütigung des einstigen Weltreichs Spanien faszinierte ihn ebenso wie die Illusionslosigkeit jener Menschen, die nach bürgerlichen Maßstäben erfolglos blieben:

"Ich habe viele Leute gekannt, dessen Leben ein Erfolg war. Ich muss sagen, dass diese Leute zum Teil eine große Enttäuschung für mich gewesen. Im Gegenteil, die Leute, die nichts geschaffen haben, die ihr Leben verfehlt haben, die sind viel interessanter. Die Menschen, die wirklich interessant sind, sind diejenigen, die sich nicht objektiv verwirklicht haben, die keine Spuren hinterlassen."

Cioran lebte ab 1938 als Stipendiat in Paris, wo er in billigen Hotelzimmern wohnte und in Studentenkantinen aß. An eine Rückkehr in seine Heimat war nach der dortigen kommunistischen Machtübernahme nicht mehr zu denken, denn dem ehemaligen Sympathisanten des rumänischen Faschismus drohte eine langjährige Haftstrafe. In bewusster Abkehr von seiner rumänischen Vergangenheit schrieb er nun auf Französisch und erstaunte die Kritik mit seinem geschliffenen Stil, der Vergleiche mit den großen Moralisten der Grande Nation provozierte. Mit seinen Büchern "Lehre vom Zerfall", "Syllogismen der Bitterkeit" oder "Die verfehlte Schöpfung" ist - Ironie der Geschichte - der ins Scheitern Verliebte zu einem Klassiker geworden.

Seine letzten Jahre verbrachte er in einem Pflegeheim in Paris, wo er am 20. Juni 1995 starb. Emil Cioran liegt an der Seite seiner langjährigen Lebensgefährtin auf dem Friedhof von Montparnasse begraben. Den Tod konnte der große Nihilist als etwas durchaus Tröstliches betrachten:

"Die Herrlichkeit, der Sieg des Todes, der Triumph des Todes - aber im positiven Sinne. Der Tod ist eine Antwort, die letzte und es gibt keine Fragen mehr. Im Leben es gibt keine Antworten, es gibt nur Fragen, und der Tod ist die Antwort."