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Bezahlbarer Wohnraum
Schweiz stimmt über Mieter-Initiative ab

Auch im Mieterland Schweiz haben sich die Kosten fürs Wohnen zuletzt deutlich erhöht. Ein Grund sind die Negativzinsen auf Einlagen – dadurch ist viel Geld in Immobilien geflossen. Eine Volksinitiative fordert nun mehr bezahlbaren Wohnraum.

Von Dietrich Karl Mäurer | 06.02.2020
Schweizer Mieter müssen für ihre Bleibe europaweit am tiefsten in die Tasche greifen. Beispiel Zürich: Eine Zweiraumwohnung kostet in der größten Schweizer Stadt im Durchschnitt umgerechnet rund 1.200 Euro Miete plus Nebenkosten. Balthasar Glättli, der Fraktionschef der Grünen im Schweizer Parlament und Vize-Präsident des Mieterinnen- und Mieterverbands Schweiz beschreibt die Lage wie folgt:
"Die Entwicklung der Mietpreise in der Schweiz kennt leider in den letzten Jahren nur eine Richtung - und zwar steil nach oben. Seit 2005, das sind in den letzten 15 Jahren, ist der Mietpreisindex von allen Wohnungen, also ältere, neuere und frisch vermietete, um über 18 Prozent angestiegen."
Negativzinsen haben Immobilienboom befeuert
Als Grund dafür sieht er die Spekulationen auf Renditen - befeuert durch die seit 2015 in der Schweiz geltenden Negativzinsen auf Einlagen ab einer bestimmten Höhe. Seit Jahren steigt der Anteil von Mietwohnungen, die in der Hand von Immobilienfirmen – also Versicherungen oder Immobilienfonds - sind. Natürlich wollten diese Gewinne und nicht Verluste machen, bestätigt auch Lorenz Heim, der Geschäftsführer des Immobilienfinanziers HypothekenZentrum in Zürich. Doch er beobachtet einen anderen Trend:
"Die Zinspolitik der Schweizerischen Nationalbank hat dazu geführt, dass die Investitionen in Wohnbauimmobilien deutlich zugenommen haben, dass auch viel mehr gebaut wurde in diesem Bereich. Entsprechend hat sich das Angebot erhöht und das hat dazu geführt, dass die Mieten eigentlich tendenziell gesunken sind gegenüber dem, was vorher war, weil sie auch unter anderem an die Hypothekarzinsen gekoppelt sind."
In der Schweiz müssen Vorteile aus sinkenden Hypothekarzinsen an die Mieter weitergegeben werden. Doch neu gebaut werden häufig eher teure Wohnungen. Das Nachsehen hätten ärmere Teile der Bevölkerung, rechnet Balthasar Glättli vom Mieterinnen- und Mieterverband Schweiz vor. Deshalb startete der Verband eine Volksinitiative für mehr bezahlbaren Wohnraum - gemeinsam mit Wohnbaugenossenschaften, Sozialdemokraten, Grünen und Gewerkschaften. Wenn nun darüber abgestimmt wird, geht es vor allem um ein zentrales Ziel, so Balthasar Glättli:
"Mindestens im gesamtschweizerischen Schnitt: Jede zehnte neue Wohnung[*] sollte gemeinnützig sein, also nur die realen Kosten auf die Miete umlegen und nicht darüber hinaus gehende Rendite."
"Ein Nein ist wahrscheinlich"
Außerdem sollte die öffentliche Hand, etwa Gemeinden, ein Vorkaufsrecht für Grundstücke erhalten. Und energetische Sanierungen sollten nicht dazu genutzt werden können, um Mieten übermäßig anzuheben. Die Regierung und das Parlament wollen das bisherige System nicht verändern. Aus dem zuständigen Wirtschaftsministerium heißt es, insgesamt gäbe es genug guten und finanziell tragbaren Wohnraum. Wirtschaftsminister Guy Parmelin lehnt die Initiative klar ab.
"Wenn wir die Initiative so anwenden müssen – wir denken, das kostet 120 Millionen pro Jahr. Und das ist Geld, das man viel besser investieren kann in andere Bereiche für den Bund anstatt wo es nicht nötig ist."
Beim Volk gab es zunächst viel Zustimmung für die Initiative. Doch der Vorsprung der Befürworter schrumpfte, je näher der Abstimmungstag rückte. Nun droht sogar eine Ablehnung, erklärt im Schweizer Fernsehen SRF Lukas Golder vom Berner Meinungsforschungsinstitut GfS.
"Ein Nein ist wahrscheinlich. Die Sympathien halten sich vor allem in den Großstädten. Dort ist auch der Problemdruck da. Sobald der Problemdruck da ist, gibt es vielleicht Ja-Mehrheiten, aber das ist fast nur in den Großstädten zu erwarten."
Vor allem Frauen gaben in den Umfragen an, für mehr bezahlbaren Wohnraum zu stimmen.

[*] Anmerkung: Wir haben hier ein Zitat des Interviewpartners mit der korrekten Zahl und Art der Wohnungen eingesetzt. Im ursprünglichen O-Ton hatte der Zitatgeber sich versprochen.