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Biblis von innen

Kernkraft. - An den Reaktorblöcken Biblis A und B hat sich schon immer überdurchschnittlich viel Streit entzündet. Jetzt sind die beiden Blöcke aus den Jahren 1974 und 1976 abgeschaltet worden - für die von der Bundesregierung angeordnete Sicherheitsüberprüfung. Kurz nach dem jüngsten Wiederanfahren hat der Autor das Kraftwerk besucht.

Von Henning Hübert | 20.03.2011
    "Guten Tag! Bitte Kleinteile einlegen. Bitte Kopf positionieren, 10, 9, 8, 7, 6, 5, 4, 3, 2, 1, bitte umdrehen."

    Jeder muss drei Sicherheitsschleusen passieren, Fotohandys abgeben, in einen orangefarbenen Overall schlüpfen, Schutzbrille, Helm und Handschuhe tragen, sowie ein Dosimeter an die Brust stecken. Das misst ständig die Radioaktivität. So geht es durch zwei dicke Türen der stählernen Personenschleuse, hinein in die in Unterdruck gehaltene Kuppel des Atomkraftwerks Biblis A. Norman Hoffmann, der Leiter der Betriebstechnik in Biblis, geht voran. An der nur 60 Zentimeter starken Betonwand geht es die Treppe hinauf auf eine Plattform in 27 Metern Höhe. Auf ihr sind so genannte Rekombinatoren montiert. Apparaten, die wie überdimensionierte Klimaanlagen aussehen.

    "In dem Fall, dass wir wirklich ein großes Leck hätten, das heißt, ein Abriss einer kompletten Leitung.: Dann kann man unterstellen, dass es hier zu einer Wasserstoffansammlung kommt, einfach über Radiolyse. Dieser Wasserstoff bildet irgendwann ein explosionsfähiges Gemisch. Heißt: Das muss abgebaut werden. Und das passiert hier durch die autokatalytischen Rekombinatoren, die wir hier in sehr umfangreichen Maße nachgerüstet haben. Normalerweise können sie Wasserstoff bei ungefähr 400 Grad erst zerlegen. Durch die Katalysatoren kriegen wir das bei Raumtemperatur hin und am Ende kommt Wasser bei raus. Mehr nicht."

    Bei einem totalen Stromausfall gibt es in Biblis A vier dampfgetriebene, batteriegepufferte Hochdruck-Einspeisesysteme. Die sollen schon nach weniger als fünf Sekunden arbeiten. Allerdings wurde zuletzt Ende Februar am Kühler eines Notstromdiesels bei einer Kontrolle ein Leck festgestellt und beseitigt. Und auch der schon seit 20 Jahren geforderte Nachweis der kompletten Erdbebensicherheit des Notstromsystems wurde bis heute nicht geliefert. Und bis zu welcher Stärke bei einem Erdbeben die abfedernde Stahlkonstruktion den Reaktor stabil halten sollen, kann der Betriebsleiter nicht sagen:

    "Es ist vielleicht ganz unspektakulär, was ich Ihnen hier zeige. Das ist einfach nur sehr groß. Das sind hier noch mal riesige Aufhänger, also im Prinzip die Erdbebensicherheit der Anlage soweit verbessert, dass wir sagen: Wir sind hier nicht nur sicher gegen das Erdbeben, was man sich hier vorstellen könnte und auch weit darüber hinaus, sondern auch gegen Erdbeben, die eher unvorstellbar sind."

    Was aber ist, wenn große Kräfte von innen, aus dem Reaktorkern, wirken? Wie geht man in Biblis mit einem Leck im Reaktorkühlkreislauf um, den Norman Hoffmann kurz RKL nennt?

    "Sehr unwahrscheinlich. Heißt, das Wasser, was wir darin hätten, würde verdampfen. Dampf hat natürlich ein wesentlich höheres Volumen als Wasser. Heißt: Hier drinnen könnte sich ein Druck aufbauen. Das Containment hier ist für 6,5 Bar ausgelegt - Überdruck. Das wäre aber so: Da müsste unser kompletter RKL verdampfen, plus noch mal Inventare aus den Dampferzeugern. Was so per Anlagentechnik gar nicht möglich ist. Erst dann hätten wir hier den maximalen Druck erreicht. Dazu gibt es dann aber wieder ein System – nennt sich gefilterte Containmentdruckentlastung – wo ich dann den Druck einfach nach außen ablasse – so genanntes Wallmann-Ventil – um den Druck wieder in einen bestimmten Bereich zu bringen."

    Ortswechsel in die Leitwarte, von der aus der Reaktor gesteuert wird. Zwölf Mann der Frühschicht beobachten Schreiber und Monitore, reden kaum. Norman Hoffmann führt in die hintere, rechte Ecke der Warte. Hunderte von Lämpchen flackern auf der Notstandtafel für den benachbarten, nur zwei Jahre jüngeren Block Biblis B. Zur Not ist Block B auch von hier aus steuerbar. Allerdings sagen die Kritiker: Das sei ein dickes Sicherheitsminus, denn diese Querüberwachung könne keine externe, auch gegen Flugzeugattacken gesicherte Notstandswarte ersetzen. Norman Hoffmann findet die Verquickung beider Biblis-Blöcke mit ihren Druckwasserreaktoren dagegen gut:

    "Das ist hier im Prinzip das Konzept von Biblis, unser Notstandskonzept: Wir haben ja das große Glück, dass wir eine Doppelblock-Anlage sind. Beide Blöcke sind mit Rohrleitungen verbunden. Wir können sowohl Deionat als auch boriertes Wasser hin und her fahren. Wir haben eine Stromverbindung zwischen den Blöcken. Und ich habe auf beiden Blöcken jeweils eine Mannschaft sitzen. Sollte jetzt wirklich ein sehr unwahrscheinlicher Notstandsfall eintreten, dann hat die Mannschaft Block A zum Beispiel direkt die Möglichkeit, Block B direkt abzufahren."

    Die Neubewertung der Sicherheitsaspekte im Bundesumweltministerium nach Fukushima fordert aber für jeden Block die Nachrüstung mit externen Notsteuerstellen. Und zwar als Bunkeranlage. Damit sie - Zitat – "auch bei größeren Freisetzungen auf dem Anlagengelände durchgängig mit Personal besetzt werden können." Denn die Mannschaft darf nicht verstrahlt werden – im Unglück wie in einer normalen Schicht, die für alle mit einer Strahlenmessung endet.

    "Strahlenmessung: Füße positionieren, 10, 9, 8, 7, 6, 5, 4, 3, 2, 1. Vielen Dank. Keine Kontamination. Bitte durchgehen."