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Biennale-Kurator zeigt Außenseiter der Kunstszene

Outsider-Kunst nennt sich autodidaktische Kunst von Laien, die nicht im Kulturbetrieb verankert sind. Biennale-Kurator Massimiliano Gioni bringt diese Kunst nun nach Venedig und damit die Definition von Outsider-Kunst ins Wanken.

Von Carsten Probst | 29.07.2013
    Morton Bartlett, 1909 in Chicago geboren, gehört zu den Ikonen der sogenannten Outsider-Kunst. Er arbeitete als freiberuflicher Fotograf und Grafik-Designer, privat jedoch pflegte er eine ganz eigene Obsession: Er baute lebensechte Puppen vor allem von jungen Mädchen, denen er eine vollständige Welt aus selbst gemachter Kleidung und Umgebungen erschuf und sie darin immer wieder fotografierte. Erst nach seinem Tod wurde diese Sammlung von Figuren und Fotografien entdeckt, die er bis dahin sorgsam vor der Öffentlichkeit verborgen hatte. Inzwischen wurde sie in zahlreichen Museen in aller Welt ausgestellt.

    Massimiliano Gioni zeigt Bartlett nun auch auf der Biennale in Venedig - neben zahlreichen anderen Künstlern wie etwa der Schwedin Hilma af Klint oder dem Italiener Marino Auriti, der Schweizerin Emma Kunz oder dem Belgier Norbert Ghisoland. Sie alle verbindet, dass sie eigentlich mit dem Kunstbetrieb im engeren Sinn nie etwas zu tun hatten oder haben wollten. Was Massimiliano Gioni als junger, weit gereister Kurator für eine willkommene Gelegenheit hält, diesem Kunstbetrieb mit seinen ideologischen Kunstbegriffen einen Spiegel vorzuhalten.

    "”Für mich ist das die wichtigste Frage überhaupt. Qualität ist mir nicht egal. Aber mir geht es darum, unsere Ansichten von künstlerischer Qualität als Teil unserer Weltanschauung zu zeigen - nicht als vorgegebenes göttliches Gesetz. Diese sogenannten Outsider sind interessant, weil sie gerade von dem reinen Qualitäts- und Geschmackskriterium abweichen.""

    Die Frage nach der Qualität von Kunstwerken sieht Gioni als eine reine Angelegenheit des Marktes. Geschmack und Ansichten über Qualität wechseln wie die Moden, sie sind kein verlässlicher Maßstab, um ein Bild wirklich zu beurteilen. Gioni will die Unterscheidung von In- und Outsider daher nicht gelten lassen

    "”Es war mir wichtig, auch ganz andere Figuren in der Ausstellung zu zeigen, Figuren wie C.G. Jung etwa, die man gewiss nicht als Outsider-Künstler bezeichnen würde; die aber auch eine eigene Bildsprache entwickelt haben, auch wenn sie aus künstlerischer Sicht vielleicht dilettantisch anmutet. Deswegen vermeide ich immer eine Definition dessen, was eigentlich genau ein "Outsider" oder ein "Insider" sein soll. Nehmen sie professionelle Künstler wie etwa Jean-Frederic Schnyder. Der ist zweifellos ein Insider im Kunstbetrieb - der aber für sich selbst entschieden hat, die Position eines Outsiders einzunehmen: Er verzichtet auf eine Galerie, er bedient sich nicht des globalen Kunstdiskurses, sondern eher eines folkloristischen Vokabulars. Auf dieser Biennale geht es überall darum, zu zeigen, dass jeder Künstler immer beides zugleich ist, In und Out.""

    Das Vorhaben, den Horizont des Kunstmarktes gerade auf einer so marktaffinen, traditionalistischen Veranstaltung wie der Biennale in Venedig erweitern zu wollen, ist honorig und die gute Absicht dahinter löblich. Allein, um welche Horizonterweiterung geht es dabei eigentlich? Werden all diese angeblichen Outsider-Werke nicht mit einem Schlag zu neuen Entdeckungen für den Markt, wenn sie auf der Biennale erscheinen? Werden sie nicht durch diesen Rahmen augenblicklich ästhetisiert und etabliert? Was wird mit so einer Vereinnahmung eigentlich gewonnen, fragt mit Recht auch der Berliner Kunstwissenschaftler Michael Lüthy auf einer Diskussionsveranstaltung im Juni dieses Jahres, wenn man heute doch eigentlich vom autonomen Künstler ausgeht?

    "Wie gehen wir um mit Produktionen von Menschen, die an diesem vollen Begriff der Autonomie, die wir uns für den Menschen wünschen und an dem wir partizipieren, wenn wir sozusagen Inside sind, nicht partizipieren?"

    Anders gesagt: Die scheinbare Selbstkritik des Kunstmarktes auf der Biennale ist vielleicht gar keine, sondern eher eine selbstreferenzielle Show mit viel bislang unbekanntem Personal, das zwar – zugegeben – sehenswerte Bilder liefert, das sich aber teilweise auch gar nicht mehr dagegen wehren könnte, hier überhaupt gezeigt zu werden.