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Bier, nicht mehr nur "rein"

Da schäumten die Emotionen in Deutschland hoch wie beim Bier: Als der Europäische Gerichtshof am 12. März 1987 das deutsche Bier-Reinheitsgebot für unzulässig erklärte, befürchteten viele eine Schwemme "unreinen" Bieres.

Von Monika Köpcke | 12.03.2012
    ""Wir saufen unser Bier, und die andern sollen das ihre saufen, gell.”"

    So einfach kann das Leben sein: Was braucht's da Vorschriften und Gesetze. Angesichts solcher Prinzipienstärke geriet die Welt des deutschen Biertrinkers auch nur kurzzeitig ins Wanken, als der Europäische Gerichtshof am 12. März 1987 das Urteil verkündete.

    Zitat: ""Die Bundesrepublik hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 30 EWG-Vertrag verstoßen, dass sie das Inverkehrbringen von in einem anderen Mitgliedsland rechtmäßig hergestelltem Bier untersagt hat, wenn dieses Bier nicht den Paragrafen 9 und 10 des Biersteuergesetzes entspricht. Die Bundesrepublik Deutschland trägt die Kosten des Verfahrens.”"

    Was sich hinter dieser dürren Juristensprache verbarg, war nicht weniger als ein Angriff auf das deutsche Reinheitsgebot für Bier.

    ""Ganz besonders wollen wir, dass fortan allenthalben in unseren Städten, Märkten und auf dem Lande zu keinem Bier mehr Stücke als allein Gersten, Hopfen und Wasser genommen und gebraut werden.”"

    So schrieb es das Reinheitsgebot bereits 1516 in Bayern vor. Seit 1870 gilt die eherne Brauregel, erweitert um die Zutat Hefe, in ganz Deutschland. Die Paragrafen 9 und 10 des deutschen Biersteuergesetzes von 1923 verboten zudem ausdrücklich den Import von Bier, das nicht nach dem Reinheitsgebot gebraut wurde, Sehr zum Ärger der ausländischen Brauereien.

    Michel Debus: ""Wir hatten einfach genug. Und deshalb mussten wir uns bei der Kommission beklagen.”"

    Nachdem ihm wiederholt untersagt worden war, sein Bier in Deutschland zu verkaufen, wandte sich der Straßburger Brauer Michel Debus an die EG-Kommission:

    ""Und die Kommission ist dann weiter gegangen und hat uns gesagt: Ja, ihr habt ganz Recht, es ist ein richtiger Protektionismus da durch das Reinheitsgebot. Und dann ist uns die Affäre praktisch aus den Händen gezogen worden. Wir haben damit juristisch praktisch nichts mehr zu tun, das ist die Kommission gegen die Bundesrepublik jetzt.”"

    1984 klagte die EG-Kommission beim Europäischen Gerichtshof in Straßburg gegen die Bundesrepublik Deutschland. Ihr Standpunkt: Die engen deutschen Vorschriften diskriminieren die Biere anderer EG-Länder und machen deren Einfuhr praktisch unmöglich. Damit, so die Kommission, verstoße das deutsche Biersteuergesetz gegen Paragraf 30 der Römischen Verträge, in dem sich die Unterzeichnerstaaten 1957 auf einen ungehinderten Warenaustausch verpflichtet hatten.

    ""Unser Bier, das soll so bleiben wie es ist. Von dem ausländischen Kram wollen wir gar nix wissen, von dem chemischen Kram da. Die Politiker sollen sich einmal durchsetzen in der EG, dass das noch beibehalten wird. Die sollen das Reinheitsgebot beibehalten, wir tun mittlerweile doch unbewusst mehr Chemie trinken, saufe auf deutsch gesagt, wir müssen den andern ja nicht alles abgucken und nachmachen.”"

    97 Prozent aller Deutschen, so eine Emnid-Umfrage von 1985, wollen das Reinheitsgebot. Im gleichen Jahr bescheinigte das Statistische Bundesamt:

    ""Bier macht bei männlichen Erwachsenen in Deutschland 25 Prozent der täglichen Nahrungsmenge aus und nimmt damit den Charakter eines Grundnahrungsmittels ein.”"

    Schon deshalb, so argumentierte die Bundesregierung, sei das Reinheitsgebot aktiver Verbraucherschutz und ein wichtiger Faktor der Gesundheitsvorsorge. Doch das Gericht entschied gegen die Bundesrepublik. Es sah in dem Reinheitsgebot vielmehr den Versuch, den deutschen Markt gegen unliebsame ausländische Konkurrenz abzuschotten. Das Gesundheitsargument ließen die Europa-Richter nicht gelten: Immerhin werde ja auch das deutsche Export-Bier nicht nach dem Reinheitsgebot gebraut. Und was für ausländische Biertrinker als bekömmlich angesehen werde, könne doch auch für die Deutschen nicht gesundheitsgefährdend sein.

    ""Das Reinheitsgebot gilt weiter in der Bundesrepublik, unser Bier bleibt also rein, unser Verbraucher wird auch in Zukunft das Gewohnte trinken können.”"

    Das versicherte ein Vertreter des Bundesinnenministeriums gleich nach dem Urteilsspruch. Die deutschen Brauer bleiben also an das Reinheitsgebot gebunden. Bei ausländischen Bieren, die seit dem Straßburger Urteil auch in Deutschland verkauft werden dürfen, müssen die Zusatzstoffe, die den Gerstensaft haltbarer, schmackhafter oder schäumender machen sollen, deutlich erkennbar auf dem Etikett angegeben werden.

    Die Angst vor einer über Deutschland hereinbrechenden Schwemme "unreinen” Bieres erwies sich schnell als völlig unbegründet. Der deutsche Zecher hielt dem Reinheitsgebot die Treue: Bis heute spielen ausländische Biere bei den Konsumenten so gut wie keine Rolle.