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Big Bang im Pharaonenland

Was passierte beim Big Bang, beim Urknall? Der erste und höchste Gott treibt müde und bewusstlos im Urwasser, als seine Füße plötzlich den Grund streifen. In diesem Augenblick erwacht er, er kommt zu sich, sein Bewusstsein verfestigt sich. Und was sieht man davon? Die Sonne geht auf!

Von Hans-Martin Schönherr-Mann | 28.02.2005
    Die religiösen Vorstellungen im alten Ägypten vom Ursprung der Welt und des Kosmos entwerfen kein Schöpfungsszenario, sondern eine ursprünglich einsetzende Entwicklung. Der bekannte Ägyptologe Jan Assmann kommentiert:

    Das ist der kosmogonische Moment. Und damit kommt alles in Gang. Auf ägyptisch heißt das, das erste Mal. Und das erste Mal ist der erste Sonnenaufgang. So stellt der Ägypter sich diesen Big Bang vor, als den ersten Sonnenaufgang. Das ist unserer kosmologischen Konzeption eigentlich näher als der biblische.

    Dieser ursprüngliche Gott, der potentiell alles enthält, strahlt in dem Augenblick, als er sich als Sonne erhebt, zwei Geschöpfe ab, nämlich eine Feuergöttin und einen Luftgott, so daß sich die Welt mit Licht und Luft füllt. Just damit ergibt sich bereits das Zentralproblem der ägyptischen Theologie, nämlich das Verhältnis zwischen dem ursprünglichen Gott und den Göttern. Darüber, also über Theologie und Weisheit im alten Ägypten hat Jan Assmann gerade ein neues Buch veröffentlicht.

    Für den vom Monotheismus geprägten Zeitgenossen stellt sich hier jedoch die Frage: Kann es eine Theologie im alten Ägypten überhaupt geben, in dem schließlich eine polytheistische und keine monotheistische Religion vorherrschte? Die monotheistische Theologie des Christentums beschäftigt sich primär mit dem Verhältnis von Altem und Neuem Testament, mit der Trinitätslehre und der Christologie. Solche Probleme finden sich in der altägyptischen Theologie natürlich nicht. Jan Assmann ergänzt:

    Eines der entscheidenden Probleme, die es nur im monotheistischen Kontext gibt, ist die Unterscheidung zwischen einem wahren Gott und vielen falschen Göttern, Götzen, sagen wir, der Kampf um die Wahrheit, die Ortho-Doxie, die reine Lehre. Auch so etwas gibt es in polytheistischen Religionen nicht. Und so erhebt sich dann die Frage: Kann es Theologie ohne Orthodoxie geben? Da muß man den Begriff der Theologie etwas weiter fassen. Und der Beg-riff, den ich da zugrunde lege, wäre etwa zu umschreiben als eine argumentativ entfaltete Re-de von Gott bzw. den Göttern.

    Über diese Thematik liegen bedeutende theologische Texte aus dem alten Ägypten vor, in denen sich eine theologische Entwicklung abzeichnet, der Jan Assmann nachgeht. Diese theologischen Texte stellen für ihn einen Diskurs dar. Der Leser von Michel Foucault, der dessen Diskursbegriff mühsam nachspürte, fragt sich sofort: Was heißt hier Diskurs? Und Jan Ass-mann hat darauf eine so prägnante wie einleuchtende Erklärung: Ein Diskurs - jedenfalls in der Archäologie - besteht aus Texten, die gemeinsame Themen behandeln und sich dabei aufeinander beziehen. Sie diskutieren also miteinander, so daß sich ein Argumentationsgang abzeichnet. Der theologische Diskurs im alten Ägypten, der etwa zwischen dem 15. und dem 12. Jahrhundert vor Christus stattfindet, wird dabei von einem Problem angetrieben, das die Monotheismen gar nicht kennen können. Jan Assmann:

    Also wie verhält sich der eine, der der höchste ist und der Ursprung von allem, also diese Einheitsperspektive, die in allen diesen polytheistischen Religionen mehr oder weniger stark deutlich wird, wie verhält sich das nun zur Vielheit der göttlichen Manifestationen. Das ist das Zentralproblem der ägyptischen Theologie. Und in der textlichen argumentativen Entfaltung dieses Problems sind diese ägyptischen Texte also im Wesentlichen anspruchsvoller als das, was wir in dieser hebräischen oder christlichen Bibel über den Gottesbegriff erfahren. Da handelt Gott natürlich mit seinem Volk. Aber das Wesen Gottes wird eigentlich nicht in derartiger Rede entfaltet.

    Nun durchzieht Jan Assmanns Buch ja noch eine zweite Thematik, nämlich die der Weisheitslehren im alten Ägypten, die er gleichfalls als einen Diskurs bezeichnet. Warum aber konfrontiert Assmann die Theologie mit der Weisheit? Weil beide Diskurse sich aufeinander zu bewegen. Die Frage, die die Weisheitslehren antreibt, lautet: Wie gelingt ein gutes und gerechtes Leben? Darüber diskutiert man im alten Ägypten während beinahe zwei Jahrtausenden. Das rechte Leben gelingt im verantwortungsvollen Miteinander, so daß es den Weis-heitslehren darum geht, die Menschen zu Mitmenschen zu erziehen, um das Leben miteinander und nicht als einzelne zu gestalten. Jan Assmann bemerkt:

    Dieses Prinzip oder diese Norm oder das Ideal des Zusammenlebens heißt ägyptisch Maat. Das übersetzen wir mit Gerechtigkeit und Ordnung und Wahrheit. Das bezieht sich eben auf ein Ideal, das Harmonie stiftet oder Solidarität stiftet zwischen den Menschen, so daß das Zusammenleben in einer zivilen Gesellschaft, zu der eben jeder das Seine beitragen muß, gelingen kann. Also das ist das Ideal: Richtiges Leben ist Zusammenleben und der gute Mensch ist der Mitmensch. Da gibt es eine sehr subtile Ethik des Aufeinanderhörens und des Füreinanderhandelns des Aneinanderdenkens, der Dankbarkeit.

    Was aber verbindet diesen Weisheitsdiskurs mit der Theologie? Nun, um 1350 v. Chr. reformiert Echnaton, dessen Residenz in Armana liegt, die ägyptische Religion monotheistisch. Er läßt die Tempel schließen, die Feste und Kulte abschaffen und mit ihnen alle Götter bis auf einen: Nur der Sonnengott bleibt. Dabei entdeckte Jan Assmann in den ägyptischen Texten, daß diese neue Religion auf zwei Pfeilern ruhte. Der eine stellt eine kosmologische Naturlehre dar. Die Natur, Zeit und Raum entspringen der Sonne, die aber einen höchst unpersönlichen Gott darstellt, der viele religiöse Bedürfnisse unerfüllt läßt.

    Der Gott der hebräischen Bibel etwa, der ist höchst antropomorph, sozusagen ein Mann voller Leidenschaften. Das Gegenstück dazu ist nun der Gott Echnatons: das ist die Sonne und nichts als die Sonne. Das ist ein Gott, der spricht nicht, erläßt schon gar nicht irgendwelche Gesetze, der richtet nicht, sondern der scheint über Gerechte und Ungerechte und ist eben nichts anderes als das Sonnengestirn, die kosmische Energie.

    Den zweiten Pfeiler der Religion Echnatons stellt der Pharao selber dar, der als Gottessohn firmiert, zu dem jeder Mensch eine persönliche Beziehung unterhalten muß. Der Pharao ent-scheidet über Lohn und Strafe, Glück oder Unrecht und somit über das Schicksal jedes einzelnen. An die königliche Lehre muß dieser sich halten. Den König soll er lieben, ihm absolut treu sein. Schaden droht ihm, wenn er sich als illoyal erweist. Gerade diesen Loyalismus Echnatons verbunden mit dessen göttlicher Rolle übernimmt das Volk Israel des alten Testamentes, so daß man wohl auch die Gottessohnschaft Christi auf ägyptische Quellen zurückführen kann.

    Doch die Bewegung, die die Diskurse von Theologie und Weisheit einander nähert, erreicht ihren Höhepunkt im Ende dieser Religion der Armanazeit, als diese wieder gestürzt wird:

    Aber das Interessante ist, dass mit (. .) der Gegenreformation natürlich nun auch diese politische Theologie abgeschafft wird und umgeformt wird in das, was wir Ägyptologen persönliche Frömmigkeit nennen. Das ist die Idee, daß der Einzelne seinem Gott gegenüber eine ganz bestimmte Bindung eingeht, die nach dem Modell dieses Loyalismus geformt ist. Also der einzelne ist seinem Gott gehorsam, so wie in der Armarnazeit der Untertan dem König gehorsam sein sollte. Und der einzelne erfährt in seinem Leben jenen Segen und neues Glück, aber auch Strafe und Unheil, wie sie eben Echnaton seinen Untertanen beigebracht hat.

    Mit dieser persönlichen Frömmigkeit verliert auch das Konzept der Gerechtigkeit und des rechten Lebens der ägyptischen Weisheitslehren an Bedeutung. Der einzelne vertraut sich dann primär seinem Gott an, während der Mitmensch an orientierender Kraft einbüßt. Frömmigkeit, mit denen sich nun auch zunehmend die Weisheitslehren beschäftigen, tritt an die Stelle der Mitmenschlichkeit, womit die Theologie ihrerseits die Ethik aufsaugt. Hier also treffen sich zwei Diskurse.

    Läßt sich dieses Ereignis mit dem neuerwachten Interesse an religiösen Fragen heute parallelisieren? Wollen wir das lieber nicht hoffen! Denn im alten Ägypten folgte auf diese Phase die Errichtung eine Gottesstaates.