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Big Brother der Lüfte

Dass militärische Entwicklungen auch im zivilen Leben Karriere machen, ist keine Seltenheit. GPS oder das Internet sind nur zwei Beispiele von vielen. Seit geraumer Zeit hat auch die Drohne den Sprung aus dem Militärarsenal in die Kaufhäuser geschafft. In den USA sorgt das für Unruhe.

Von Katja Ridderbusch | 03.03.2012
    Eine Verfolgungsjagd, irgendwo in den USA. Polizeiautos rasen einem Verdächtigen hinterher. Der Mann flüchtet hinter ein Haus, unsichtbar für die Beamten. Die Polizisten holen einen spielzeuggroßen Hubschrauber aus dem Kofferraum und starten ihn ...

    "I have a visual of the suspect, positive ID of a gun in right hand. Proceed with caution …"

    Die Kamera des ferngesteuerten Helikopters sendet Bilder an ein Laptop. Die Polizisten sehen: Der Mann ist bewaffnet. Sie kreisen ihn ein und nehmen ihn fest. Es fällt kein Schuss, es fließt kein Blut.

    Die Polizeiarbeit der Zukunft: schnell, sauber, effizient – so vermittelt es das Werbevideo der US-Firma Aerovironment. Das Unternehmen stellt Drohnen her, unbemannte Flugkörper: nicht nur für Kriegsmissionen in aller Welt. Sondern auch für den Einsatz im Himmel über Amerika. Science Fiction? Keineswegs, wie das amerikanische Fernsehen vor kurzem berichtet:

    "Now it looks like drones are coming to an air space near you. This week, Congress passed a bill directing FAA…"

    Der US-Kongress hat die Luftfahrtbehörde FAA beauftragt, bis 2015 den amerikanischen Luftraum für die Hightech-Spione zu öffnen – und Regeln für deren sicheren Einsatz auszuarbeiten. Bis diese gelten, sind Drohnenflüge über den USA noch stark beschränkt. Etwa zehn ferngesteuerte Flieger überwachen die Grenzen zu Mexiko und Kanada – und können für den Katastrophenschutz abgerufen werden.

    Ansonsten darf über den USA nur eine Drohne starten, wer eine Sondergenehmigung der FAA besitzt: Das sind zurzeit weniger als 300 Behörden, Polizeieinheiten, Universitäten. Deren Drohnen fliegen vor allem zu Testzwecken.

    Ben Gielow vom Industrieverband für unbenannte Flugkörper ist überzeugt: Im Jahr 2015 werden sich die Schleusen für das Drohnengeschäft weit öffnen:

    "Ich sehe hier einen riesigen Markt. Weil es viele Aufgaben gibt, die zu gefährlich, zu langwierig und zu teuer sind, um sie mit bemannten Flügen durchzuführen."

    Nachfrage besteht vor allem bei: Polizei, Feuerwehr, Rettungssanitätern. Aber auch für kommerzielle Kunden sind Drohnen interessant: In der Landwirtschaft zum Düngen und Bewässern; für Energiekonzerne zur Überwachung von Öl- und Gaspipelines, von Bohranlagen und Atomkraftwerken; in der Filmindustrie oder für den Einsatz in Wildtierreservaten.

    Luftfahrtexperten schätzen, dass bis zum Jahr 2020 mehr als 30,000 Drohnen über Amerika kreisen werden. Drohnen zur zivilen Nutzung sind meist kleiner, leichter und billiger als ihre großen Brüder vom Militär. Einfache Minidrohnen sind schon für ein paar tausend Dollar zu haben. Der relativ günstige Preis berge jedoch auch Risiken, sagt der Politikwissenschaftler John Villasenor:

    "In dem Maße, in dem Drohnen kleiner, billiger und damit auch verfügbarer werden, wird es immer schwerer zu verhindern, dass die Technologie in die falschen Hände gerät."

    In die Hände von Terroristen und Verbrechersyndikaten zum Beispiel. Aber auch Paparazzi, Stalker, Privatdetektive oder misstrauische Eheleute könnten die neue Technik einsetzen. Die Verletzung der Privatsphäre – ob durch Privatpersonen, Konzerne oder den Staat: Das ist der größte Vorbehalt, den Kritiker gegenüber dem Einsatz der Hightech-Späher an der Heimatfront haben.

    "Die wirkliche Gefahr von Drohnen besteht darin, dass sie mit sehr leistungsfähigen Kameras ausgestattet sind"

    ... sagt Catherine Crump von der Bürgerrechtsorganisation American Civil Liberties Union, kurz: ACLU. Hochauflösende Kameras, die über Infrarot- und Sensortechnologie verfügen und teilweise in das Innere von Gebäuden schauen können:

    "Wir wollen sicherstellen, dass Drohnen nicht zum Standardinstrument einer totalen Überwachung werden. Dass die Polizei die Bürger nicht willkürlich ausspioniert. Und dass für den Einsatz von Drohnen ein begründeter Verdacht vorliegt."

    Kurz: Dass Amerika nicht zum Polizeistaat wird, in dem Big Brother aus den Wolken seine Bürger ausspäht. Ein Szenario, das technisch gesehen durchaus machbar wäre, sagt Ken Anderson, Rechtsprofessor an der American University in Washington, DC:

    "Wir steuern rasant auf einen Punkt zu, wo wir die Fähigkeit haben, Menschen aus der Luft zu identifizieren. Wir können über Wochen, Monate, sogar Jahre ein Profil ihres Lebens erstellen. Diese Vorstellung ist ein Albtraum."

    Die Bürgerrechtler der ACLU haben Regierung und Kongress jetzt aufgefordert, parallel zur Öffnung des Luftraums die Gesetzgebung zum Schutz der Privatsphäre zu verbessern. Allerdings: Gesetze werden kaum verhindern können, dass der Einsatz von Drohnen im Inland – vor allem der Polizeieinsatz - Staat und Bürger häufig vor schwierige Abwägungen stellt: Sicherheit oder Privatsphäre? Rechtsprofessor Anderson:

    "Das ist ein sehr heikles Tauschgeschäft. Stellen Sie sich vor, Sie leben in einer Siedlung, in einem sozialen Brennpunkt. 25 Drogendealer wohnen in der Nachbarschaft. Dann wollen Sie nichts vom Schutz der Privatsphäre wissen. Was Sie von der Polizei hören wollen, ist: Wir haben die Lage im Blick."

    Und zwar durch die scharfen Kamera-Augen einer Drohne, die im Himmel über Amerikas Häusern kreist.