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Big Data und Gesundheit
"Vorbehalte gegenüber irreversiblen Eingriffen"

Eine "gehörige Portion Skepsis ist angesagt" angesichts neuer genom-chirurgischer Möglichkeiten. Veränderungen am menschlichen Genom als Ganzes, die nicht rückgängig zu machen seien, lehne er ab, sagte Peter Dabrock, Vorsitzender des Deutschen Ethikrats im Deutschlandfunk. "Genome Editing" habe "ungeheure Auswirkungen auf das Verständnis des Menschseins".

Peter Dabrock im Gespräch mit Andreas Main | 13.06.2016
    Peter Dabrock, Vorsitzender des Deutschen Ethikrates
    Peter Dabrock, der neue Vorsitzende des Deutschen Ethikrates (Deutscher Ethikrat/Foto: Reiner Zensen)
    Peter Dabrock ist evangelischer Theologe und Professor für Systematische Theologie mit dem Schwerpunkt Ethik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. 2012 wurde Dabrock in den Deutschen Ethikrat berufen, zu dessen Vorsitzenden er 2016 gewählt wurde. Es ist das erste Mal, dass ein Theologe diesem Gremium vorsteht. "Zugriff auf das menschliche Erbgut – Neue Möglichkeiten und ihre ethische Beurteilung" - das ist auch das Thema der Jahrestagung des Deutschen Ethikrates am 22. Juni 2016.
    Andreas Main: Herr Dabrock, ich möchte Sie zunächst nach den Risiken und Nebenwirkungen fragen. Sie als evangelischer Theologe und Vorsitzender des Deutschen Ethikrates – dass es ein Theologe ist, der Vorsitzender des Deutschen Ethikrates geworden ist – worin sehen Sie Risiken und Nebenwirkungen?
    Peter Dabrock: Ich glaube, man kann in einer pluralen Gesellschaft, in der es nicht nur Religionsfreunde gibt, davon ausgehen, dass so mancher das erstmal mit Skepsis sieht. Dass ein Theologe diese moderative Aufgabe übernimmt, bei der es ja darauf ankommt, dass man Fairness walten lässt gegenüber allen Positionen, auch gegenüber derjenigen, die nicht die eigene ist. Das gibt es doch in manchen Teilen der Republik die Haltung, dass man erst einmal denkt: Ein Theologe kann so etwas gar nicht wahrnehmen. Aber wenn man sich dann mal vorstellt – hm – wir haben doch auch eine Menge Richter, auch Bundesrichter, auch andere, die in verantwortungsvoller Position, Fairness walten lassen, moderativ sein müssen –und trotzdem sind sie Christen. Also – das glaube ich – muss kein Gegensatz sein und – das glaube ich – kann ich auch.
    Main: Und positiv gewendet – was sind die Chancen, dass ein Theologe Vorsitzender des Deutschen Ethikrates geworden ist? Im Übrigen zum ersten Mal.
    Dabrock: Also wenn man Reflexion auf Religion, also Theologie, so betreibt, wie ich versuche, es zu betreiben, dann sollte es eigentlich eine Kunst sein, sensibel für Differenzen zu sein. In der Theologie natürlich als erstes die große Gott-Mensch-Differenz, aber natürlich auch die eigene Religion, andere Lebensorientierungen – und muss sich zu diesen Differenzen verhalten und zwar in der Regel auch konstruktiv, weil wir nun mal nicht alleine auf diesem Planeten leben. Man muss differenz-sensibel sein. Und wenn man ein bisschen differenz-sensibel ist, weiß man, dass sich um Differenzen auch immer Zweideutigkeiten herumgruppieren. Also Ambiguitätstoleranz, wie das heute so schön heißt. Und ich glaube, das dritte ist, dass ein Theologe von Berufs wegen sensibel dafür sein muss, dass er eine eigene Standortverbundenheit verbindet damit, Gedanken zu finden, die über diese Standortgebundenheit hinausgeht. Und das zu zusammenzubringen, glaube ich, ist schon etwas, das vielleicht Theologen - wenn sie es so betreiben Theologie, wie ich mir das jetzt vorstelle - stärker einüben, als das Philosophen tun.
    Was ist Ethik?
    Main: Bevor wir gleich sehr konkret werden und in die Zukunft schauen, lassen Sie uns noch einen Moment beim Grundsätzlichen bleiben. Ethik – wir benutzen diesen Begriff sehr selbstverständlich. Umgekehrt – ich habe mal in die theologische Realenzyklopädie TRE geschaut – da wird auf 125 Seiten darüber nachgedacht, was Ethik überhaupt ist. Sie sind jemand, der es eigentlich wissen müsste, was Ethik ist. Also erklären Sie es uns kurz.
    Dabrock: Ich sage mal, ich mag den Spruch von Soziologen wie Niklas Luhmann. Erste Aufgabe der Ethik: Warnung vor Moral. Das ist das, glaube ich, womit man nicht unbedingt rechnet, weil viele denken, Ethik ist Moralverstärkung. Aber Ethik heißt zunächst einmal, Distanznahme von eigenen moralischen Überzeugungen, auch von denen anderer Personen. Und dann darüber nachdenken, welche der im Spiel befindlichen moralischen Überzeugungen in einem Konflikt mal mehr oder weniger trägt. Die Kunst darüber nachzudenken, nach welchen Gründen was mehr trägt als anderes, das ist eigentlich die Aufgabe der Ethik. Und deswegen – etwas akademischer formuliert – Ethik ist Reflexionstheorie der Moral.
    "Schwarz-Weiß-Denken sagt mir gar nicht zu"
    Main: Sie sind Theologe an einer staatlichen Uni, Sie sind kein Kirchenvertreter. Dennoch frage ich Sie – Kirchenvertreter werden oft wahrgenommen – zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung – in der Rolle als Mahner, als Bremser, als Spielverderber bei solchen Themen. Spielverderber aber werden nicht gehört. Warum nicht auch mal die Chancen wahrnehmen, die sich aus Forschungen ergeben?
    Dabrock: Ein ganz wichtiger Punkt, den Sie ansprechen. Forschung und Technik haben dem Menschen Möglichkeiten eröffnet, die ungeheuer sind. Also dass wir beiden uns jetzt hier unterhalten und das Ganze dann auch noch gesendet wird, ist ja ein Ergebnis von Forschung und Technik. Und wenn wir diese Anstrengungen nicht unternommen hätten, auf uns genommen hätten, immer weiter versucht hätten, Dinge weiter zu entwickeln, dann säßen wir noch ums Lagerfeuer herum. Deswegen würde ich zunächst erst einmal mit einer durchaus optimistischen Sicht auf die Möglichkeiten des Menschen, mit der Technik als ein Teil seiner eigenen Kultur umzugehen, blicken. Aber natürlich ist es auch so: Gerade weil das häufig eine so ungeheuer spannende Dynamik, faszinierende Dynamik entfaltet, ist es auch gut, wenn Menschen danach fragen – das können Ethiker sein, das können aber auch ganz andere Menschen sein, Menschen wie du und ich auf der Straße -, ob das, was wir mit einer bestimmten Technik machen können, auch etwas ist, was uns in jeder Sicht gut tut. Ich würde immer sagen "in jeder Hinsicht". So eine Schwarz-Weiß-Denke, die sagt mir persönlich gar nicht zu, sondern ich würde eher immer versuchen, aus solchen allgemeinen kulturellen Überlegungen auf aktuelle Entwicklungen zu blicken, in dem Wissen darum, dass die dann wieder eine Rückwirkung auf unsere allgemeine Einstellung haben. Und da einfach zu gucken: Was steht auf dem Spiel?
    Big Data und Gesundheit
    Main: Peter Dabrock, ich weiß von Ihnen - so viel Privates kann ich verraten – dass Sie doch eher ein leidenschaftlicher Nutzer von Geräten sind, die uns mobile Kommunikation ermöglichen. Umgekehrt haben Sie Bedenken, was es für Entwicklungen gibt auf dem Markt von Gesundheits-Apps. Oder von Fitnessarmbändern, die zum Beispiel dann zählen, wie viel Kilometer wir gelaufen sind oder wie viel Stunden wir auf dem Sofa gelegen haben – also zur Optimierung unserer Gesundheit. Wo haben Sie da Bedenken und was finden Sie daran faszinierend umgekehrt? Durchaus ein Thema, das den Ethikrat beschäftigt.
    Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
    Fitness-Armbänder messen Schrittzahl, Kalorienverbrauch, Herzfrequenz und mehr. (picture alliance / dpa / Britta Pedersen)
    Dabrock: Ja das Thema "Big Data und Gesundheit" ist ein Themenfeld, an dem wir seit einem Jahr gearbeitet haben und das wir jetzt auch in der neuen Amtsperiode tatsächlich weiterführen wollen. Und ich glaube, es ist gerade in dieser Zusammenstellung tatsächlich ein ungeheuer spannendes Thema, weil es beispielhaft für eine gesellschaftliche Entwicklung steht, wo man viel gewinnen kann, wo man aber auch, wenn man nicht aufpasst, unter der Hand viel verlieren kann. Einerseits ist es tatsächlich faszinierend, welche Möglichkeiten die neuen Smartphones, die Apps, die Fitness-Tracker alles einem bereitstellen. Wenn es den einen oder anderen motiviert, sich mehr zu bewegen, mehr Sport zu treiben und vielleicht deswegen auch gesünder zu leben – wenn es denn wirklich gesünder ist – nun gut, was ist dagegen zu sagen? Zwei Dinge: Wenn es eine Eigendynamik dergestalt bekommt, dass man zum Sklaven seiner eigenen Rekordeinstellungen gegenüber der letzten Tage wird und nicht mehr die innere Freiheit hat, dann setzt sich ein Trend fort, den wir schon seit vielen Jahren haben, Healthism oder ein Fitnesswahn, der noch mal perfektioniert wird, weil man sich mit anderen toll vergleichen kann. Das andere, was mir vor allen Dingen als Sozialethiker noch mehr Sorge bereitet, ist, dass wir in einem ungeheuren Maße unkontrolliert Daten an am Ende wahrscheinlich wenig große Internetriesen abgeben und es – also wirklich in dem Fall – in einem hochproblematischen Sinne gefährlich werden kann, was mit diesen Daten alles passieren kann. Wir haben bisher auch aus Datenschutzgründen – wie man heute sagt zur Wahrung nicht nur der informellen Selbstbestimmung, sondern heute sagt man zur Wahrung der Datensouveränität – eigentlich die Bereiche, in denen gesundheitsrelevante Daten erzeugt werden, sehr sorgfältig voneinander getrennt. Wir haben auf der einen Seite die medizinischen Daten, wie haben die Forschungsdaten, wir haben die Daten, die bei den Krankenversicherungen liegen, wir haben die Daten, die bei den Gesundheitsämtern liegen. Wir haben gleichzeitig – jetzt neu – die Fitnessdaten, die dann bei Google oder Apple oder ich weiß nicht wem gesammelt werden. Wir haben die Social Media Daten. Sie können ja aus dem Kommunikationsverlauf von jemand, der bei Facebook ist, ziemlich gut dessen, Individual- und Sozialverhalten ablesen. Diese Daten haben wir lange Zeit sehr strikt getrennt. Das wird - je länger, desto mehr - immer schwieriger. Man kann sich genug Szenarien vorstellen – und in Amerika ist das beispielsweise im Bereich Krankenversicherung auch schon so - , dass tatsächlich diejenigen, die bereit sind, persönliche Daten an die Versicherung zu geben, also zum Beispiel sich ihr Fitness-Armband des letzten halben Jahres von den Versicherungen auszulesen zu lassen, bessere Tarife bekommen als jene, die das nicht gemacht haben. Und da kommen wir in einen Einheitsbrei einer Vorstellung, was ein gutes Leben, was ein gesundes Leben ist, was die Buntheit des Lebens, die auch Wohlergehen erzeugt, die Gesundheit erzeugt, doch deutlich reduziert. Und es baut sich eine Norm auf, eine Normalismus-Norm, die ich auch für die Kreativität der Gesellschaft für hochgradig problematisch erachte.
    Main: Ein anderer wichtiger Aspekt rund um die Digitalisierung im Gesundheitswesen "Big Data" – mal ganz praktisch: Wir gehen zu Ärzten, dann ziehen wir um - wir wollen ja flexibel sein - und dann fängt der Arzt quasi bei null an. Und wir fragen uns: Warum drückt er nicht einfach auf einen Knopf und hat alle Daten, die er braucht? Aber das ethische Dilemma bleibt ja. Einerseits könnte schnellerer Datenfluss Leben retten, andererseits haben wir gerade die Horrorvision beschrieben, dass Gesundheitsdaten in den Händen großer Konzerne auch missbraucht werden können. Auch an dem Punkt kommen wir aus diesem ethischen Dilemma nicht ganz raus?
    Dabrock: In der Tat. Und deswegen muss es darauf ankommen, die Kontexte klar zu identifizieren, in denen die verschiedenen hochsensiblen Gesundheitsdaten genutzt werden. Wenn zur Präzisierung einer medizinischen Behandlung Fitnessdaten von solchen Geräten gewählt werden, die sogar eine Medizin-Prüfung überstanden haben, dann würde man ja zunächst erst mal - ich lasse mich gern eines besseren überzeugen -, aber würde man prima vista erst mal sagen, das kann ja eigentlich nur gut sein, wenn die Geräte wirklich das Niveau haben. Das ist die Voraussetzung. Wenn umgekehrt die medizinischen Daten des Doktors dann irgendwo einfach bei einem Versicherer landen, der wiederum beteiligt ist an irgendwelchen Social Media – oder umgekehrt, wenn sie bei irgendeinem Social-Media-Akteur landen und der das dann noch an eine Versicherung weiterleitet, die ich gerne haben möchte – eine Krankenversicherung -, dann würde ich sagen, ist klar eine Grenzverletzung vorhanden. Sprich: Es kommt alles darauf an, dass wir die Kontexte sichern und dass wir dieses schleichende Unterhöhlen der Sektoren, dass wir das beenden. Wenn wir so eine klare sektorale Grenze für die Daten des einzelnen haben, dann ist es für die medizinische Versorgung gut, wenn möglichst viele Daten zusammenkommen.
    Genom-Chirurgie und ihre Hochpräzisions-Scheren
    Main: Professor Peter Dabrock, es hat in jüngster Zeit erhebliche Fortschritte auf einem anderen wichtigen Feld gegeben. Die spannendste Entwicklung ist wohl jenes Forschungsfeld, das mit einem nicht ganz einfachen Namen versehen ist – und zwar Crispr-...
    Dabrock: Crispr-Cas.
    Main: Crispr-Cas. Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, dass das leicht zu verstehen ist, worum es da geht. Versuchen Sie uns zu erklären, was Sache ist.
    Schmatische Darstellung eines Crispr/Cas9 komplexes. Das klotzige Enzym zerschneidet mit einer "Anleitung" aus RNA einen Strang aus DNA. Forscher haben eine Möglichkeit gefunden auch RNA selbst zu schneiden.
    Dieser "CRISPR/CAS" Komplex (weiß) vom Bakterium "Streptococcus pyogenes" benutzt eine 'Anleitung' aus RNA (blau) um DNA zu schneiden (rot). Neuerdings lässt sich auch RNA selbst bearbeiten. (IMAGO / Science Photo Library)
    Dabrock: Es ist ein Verfahren, dass man auch als Genom-Chirurgie bezeichnen könnte. Das heißt: Es ist eine genetische Hochpräzisions-Schere, die im Unterschied zu den gentechnischen Verfahren, die es in den letzten Jahrzehnten gegeben hat, gentechnische Veränderungen in einer Genauigkeit, in einer Effizienz, kostengünstig und leicht machbar durchführen können, wie es das noch nie gegeben hat. Das hat zu Goldgräber-Stimmung im Bereich der gesamten Biotechnologie geführt, weil dieses Verfahren sowohl in der Landwirtschaft, in der Tierzucht, aber eben auch in der medizinischen-biologischen Grundlagenforschung bis hin in die therapeutischen Anwendungen hinein umgesetzt werden kann. Und das ist gerade weltweit die Entwicklung überhaupt und beschäftigt seit circa einem Jahr in sehr intensivem Maße Forscher, aber auch Bioethiker und Politiker weltweit, weil man mit dieser Methode tatsächlich auch in das menschliche Erbgut eingreifen kann in einem Maße, wie man es sich bisher nicht vorgestellt hat.
    "Hohes Schadenspotenzial"
    Main: Es ist auch das Thema Ihrer Jahrestagung in rund einer Woche mit dem Titel "Zugriff auf das menschliche Erbgut – Neue Möglichkeiten und ihre ethische Beurteilung". Wo sehen Sie die Risiken? Auch die Chancen?
    Dabrock: Genau. Sie haben mich ja am Anfang gefragt, ob der Theologe nicht nur Warner und Mahner ist, sondern vielleicht dem Ganzen auch noch etwas Gutes abgewinnen kann. Natürlich würde man zunächst erstmal sagen, dass eine biotechnologische Methode, die es perspektivisch ermöglicht, Präzision auch in Therapien hineinzubringen, wie man es bisher nicht gekannt hat, auch bei der Entwicklung von Medikamenten, zu begrüßen ist. Das würde ich doch zunächst erstmal festhalten, dass man mit dieser Methode eine Menge machen kann. Aber es ist eben ein hochpotentes Werkzeug. Und wie es dann immer so ist in vielen Bereichen, was viel erreichen kann, hat damit eben auch immer ein hohes Schadenspotenzial. Die einen sagen, das muss man nur daran festmachen, welche rein technischen Risiken mit so einer neuen Technologie einhergehen. Also ist sie wirklich so präzise? Oder hat sie doch noch Nebenwirkungen, die wir uns gar nicht so vorgestellt haben? Das, würde man sagen, gehört in die reine Technikfolgenabschätzung und ist ganz normaler Risiko-Assessment, wie wir es bei jeder Technologie haben. Und die anderen sagen, es könnte aber auch sein, dass uns hiermit Instrumentarien gegeben werden, die so niedrigschwellig, so leicht sind, dass wir diese Gratwanderung zwischen einem verantwortlichen Umgang mit neuen Möglichkeiten und einer bei dem Menschen ja nicht selten anzutreffenden Hochmütigkeit, damit Dinge zu machen, die unverantwortlich sind, diese Gratwanderung nicht mehr hinbekommen, sondern dass man zum Beispiel darüber nachdenkt, ob man den Menschen verbessern soll, dass man Eigenschaften – fängt man vielleicht an bei bestimmten genetischen Erkrankungen, dass man sie ausmerzen will. Und dann sagt man, gegebenenfalls, falls die Technik besser wird, dass man versucht bestimmt Eigenschaften zu identifizieren, die man eher haben will als andere. Ich halte das noch für ziemlichen Humbug für die nächsten Jahre, dass das klappte würde. Aber das ist die Vision. Und man soll sich gerade in der globalen Wissenschaftsszene nichts vormachen. Das ist sehr häufig so gewesen, dass ziemlich abstrakte wilde Visionen Menschen motiviert haben, Dinge voranzubringen, von denen man gedacht hat, das klappt nie. Darüber wird jedenfalls nachgedacht, den Menschen zu verbessern.
    "Eine gehörigen Portion Skepsis ist angesagt "
    Main: Könnte man nicht ethisch relativ einfach sagen, wenn unheilbare Krankheiten mit so einer genchirurgischen Methode geheilt werden, dann ist es ethisch gut? Wenn Menschen einfach nur optimiert werden sollen, damit sie dem Durchschnittsverbraucher-Bild entsprechen, dann ist es ethisch nicht gut?
    DNA-Strang
    DNA-Strang - "... hier geht es um Menschen, an denen experimentiert wird." (imago/stock&people/Science Photo Library)
    Dabrock: Oder wenn sie sogar noch besser werden sollen, als der Durchschnittsverbraucher-Mensch. Das ist ja die Idee, dass man nicht nur auf Normallevel kommt, weil man eine schiefe Nase hat oder nicht so schnell laufen kann, sondern dass man besser wird, dass man schneller wird als die anderen. Also, so eine Art Gen-Doping beispielsweise wäre dann eine Möglichkeit. Zur Ihrer ersten der beiden Alternativen. Ja, wer will dem widersprechen, dass man zunächst erstmal darin doch eine tolle Vision sieht, wenn man Krankheiten und zwar wirklich im wahrsten Sinne des Wortes "ab ovo", also von der Eizelle her etwas entgegenstellen könnte? Wenn man Kinder hat, die betroffen sind, dann – glaube ich – würde man immer sofort anders reagieren als einfach nur vom Katheter aus. Aber da gibt es zumindest zwei Alternativen, die die Sache noch mal komplizierter machen. Die erste Sache ist die: Handelt es sich um einen genchirurgischen Eingriff, der dann nicht an die nächste Generation weitergegeben wird? Oder handelt es sich um eine Weitergabe, die tatsächlich in das menschliche Genom als Ganzes eingetragen wird und damit nicht mehr rückgängig zu machen ist? Ich habe sozusagen aus einer ethischen Perspektive, dass immer wenn irreversible, also nicht mehr rückgängig zu machende Eingriffe erfolgen, einen gewissen Vorbehalt, weil dann so Fakten gesetzt werden, dass man es nicht mehr ändern kann. Und wir lernen heute zumindest schon, wenn man sich die Entwicklung der letzten zehn Jahre im Bereich - im weitesten Sinne - der Molekularbiologie, Genetik anschaut, dass die Wissenschaft sich so weiter entwickelt hat, dass es so komplizierter und komplexer geworden ist. Und wenn ich das, was ich aus der Außenbeobachtung in den letzten 10, 15 Jahren beobachtet habe, nach vorne hin verlängere, dann kann ich mir einfach nicht vorstellen, wenn mir heute einer sagt, wir können ganz präzise, ganz genau sagen, wie die Veränderung ausschaut und sie wird überhaupt keine Nebenwirkung haben, dass das zutrifft. Da muss man einfach sagen, da ist eine gehörigen Portion Skepsis angesagt, angesichts dessen, dass ja hier nicht irgendwie mit Pflanzen oder sonst wie niederen Tieren, die keine Schmerzen haben, gearbeitet wird, sondern hier geht es um Menschen, an denen experimentiert wird.
    Main: Wir reden hier über sehr komplexe ethische Fragen. Die meisten Zeitgenossen – ich schieße mich da ein – können all diese Forschungen um die großen Fragen des Lebens nur in Ansätzen verstehen. Welchen Eindruck haben Sie, wie schwer ist es – auch für Sie als Ethikrat – mit diesen Fragen durchzudringen?
    Dabrock: Es gibt Zeiten, in denen vermeintlich sehr komplizierte Fragestellungen höchstes gesellschaftliches Interesse finden. Das war beispielsweise vor einigen Jahren bei der Diskussion um die Präimplantationsdiagnostik so. Und ich vermute mal, dass wir auch mit Blick auf diese Genom-Chirurgie auf eine solche, sehr breite gesellschaftliche Debatte zusteuern, wenn immer mehr Menschen klar wird, welche ungeheuren Auswirkungen das für das Verständnis des Menschseins wie auch für das Verständnis der menschlichen Umwelt haben kann. Also von daher glaube ich tatsächlich, hängt es von den Konjunkturen ab. Und man muss als Ethiker eigentlich im Bereich Bioethik schon immer diesen Konnex hinbekommen, also die Verbindung hinbekommen zwischen sehr grundsätzlichen Fragen dessen, was macht das Menschsein aus, wie wollen wir in dieser Welt leben, mit diesen sehr detaillierten wissenschaftlichen Fragestellungen. Und das glaube ich, ist die große und – wie ich finde – auch faszinierende Herausforderung in diesem Arbeitsfeld, mit dem der Deutsche Ethikrat sich beschäftigt.