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"Big T" der Spieler

Er liebte mechanisches Spielzeug, die Wunderdinge der Technik, Modelleisenbahnen, Elektrowerkzeug und Dampfmaschinen. Und wenn seine Band auf Tour ging, war zum Leidwesen der Hotelboys immer auch eine riesige Seemannskiste dabei, vollgepackt mit seinen schrulligen Erfindungen. Seine größten Entdeckungen aber machte er in der Musik als Jazzposaunist und Sänger.

Von Günther Huesmann | 20.08.2005
    "Big T” nannten sie ihn, und das bezog sich nicht nur auf die Größe seiner Statur. Im antiken Jazz - bei den Spezialisten der "Tailgate”-Spielweise – hatte die Posaune noch gepresst und rau geklungen – nach den Worten eines Exponenten dieses Stils, Vic Dickenson:

    " wie eine sterbende Kuh im Gewitter. "

    Jack Teagarden spielte die Posaune so als würde er jeden Ton in eine Buttercremetorte legen. Er entwickelte alternative Zug- und Lippentechniken, über deren Besonderheiten Fachleute noch heute rätseln, er phrasierte mit einem Wasserglas als Dämpfer. Als man den halben Autodidakten fragte, wie er zu seiner stupenden technischen Meisterschaft gelangt sei, meinte Teagarden, er selbst sei zu "faul” gewesen den Posaunenzug ganz auszuziehen und in die tiefste Position zu bringen.

    "Mann, ich arbeite nicht gerne hart. Ich mach’s einfach mit meinen Lippen. "

    Geboren in Texas, wächst Jack Teagarden in den rauen Städten des Südwestens auf - in Gegenden mit großer afroamerikanischer Community. Er erlebt die Black Music aus erster Hand. Und so hat er einen direkteren Zugang zu den schwarzen Spirituals und Work Songs. Die Konsequenz: er gehört zu den ersten weißen Jazzmusikern, die das innerste Wesen des Blues erfasst haben.

    Ins Ölgeschäft hätte er eigentlich einsteigen sollen. Aber als er eine Band aus der Provinz nach New York kutschiert, ist er so begeistert vom Nachtleben des Jazz Age, dass er bleibt. Er wird ein vielgefragter Studiomusiker. Fünf Jahre bläst er im Orchester Ben Pollack, sein Einstieg beschleunigt den freiwilligen Ausstieg eines anderen Posaunisten – Glenn Miller. 1933 unterschreibt Teagarden einen Fünfjahresvertrag als Solist bei Paul Whiteman – sein Bekanntheitsgrad wächst schlagartig an. Teagarden wird einer der gefragtesten Jazzposaunisten der dreißiger Jahre. Und so wie er Posaune spielt singt er.

    1946 schloss er sich den Louis Armstrong All Stars an. Seine Vokal-Duos mit Satchmo sind Perlen des Gesangs-Jazz, weil sie auf exemplarische Weise deutlich machten, dass der Blues keine Form ist, sondern ein Sound, der gegensätzliche Gefühlslagen und Denkweisen zulässt. Auf der einen Seite Louis Armstrong, der Optimist und vitale Naturbursche. Auf der anderen Seite Jack Teagarden, der Skeptiker und heiter Resignierende.
    Der Titel des "King of Swing” war längst an einen anderen vergeben – an Benny Goodman – als Teagarden 1939 seine eigene Big-Band gründete. Doch für dieses Geschäft war er zu warmherzig. Eine Zeitschrift titelte:

    "In der Teagarden-Band wird nicht zurückgebissen. "

    Die Big Band brachte ihn an den Rand des Ruins. Die Einberufungen zum 2. Weltkrieg dezimierten sein Orchester. In den Gruppen anderer glänzte er mehr als in seinen eigenen. Seine Enttäuschung darüber, zum ewigen Sideman gestempelt zu sein, ertränkte er im Whiskey. 1964 machte seine Leber nicht mehr mit. Er starb in einem Motel in New Orleans. Jack Teagarden vertrat einen Stil, der so einmalig war, dass niemand ihn kopieren konnte. Eine Jack Teagarden-Schule hat es im Jazz nie gegeben. Louis Armstrong, der "Big T” bis ans Ende seines Lebens liebte:

    "Er machte alle seine traurigen Augenblicke, alle seine Kümmernisse mit sich selbst aus. Aber ich könnte sein Herz vollständig beschreiben, weil sein ganzes Leben aus der Posaune herauskam. "