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Bilanz der Gauck-Amtszeit
"Gauck hat die Würde des Amtes wiederhergestellt"

Grünen-Politiker Jürgen Trittin hat das Wirken von Bundespräsident Joachim Gauck gewürdigt. Gauck habe nach einer "unwürdigen Zwischengeschichte" das Ansehen des Amtes wiederhergestellt, sagte er mit Anspielung auf die Affäre um Gaucks Vorgänger Christian Wulff im DLF. Gauck sei zudem ein Konstrastprogramm zu den ersten zwei Jahren der Großen Koalition gewesen.

Jürgen Trittin im Gespräch mit Peter Kapern  | 06.06.2016
    Jürgen Trittin Grüne Bundespolitik
    Grünen-Politiker Jürgen Trittin (dpa /picture alliance / Karlheinz Schindler )
    Peter Kapern: Punkt zwölf Uhr Schloss Bellevue, der Amtssitz des Bundespräsidenten in Berlin. Joachim Gauck tritt ans Mikrofon, so wie er es am Vormittag angekündigt hatte, und er lässt wissen, dass er nicht für eine zweite Amtszeit als Bundespräsident zur Verfügung steht.
    Bei uns am Telefon ist jetzt Jürgen Trittin von den Grünen. Guten Tag, Herr Trittin.
    Jürgen Trittin: Guten Tag.
    Kapern: Herr Trittin, 2010, so heißt es jedenfalls, waren Sie derjenige, der Gauck als gemeinsamen rot-grünen Kandidaten für die Bundesversammlung vorgeschlagen hat. Gewählt wurde Gauck dann erst ein paar Jahre später. Bedauern Sie, dass er keine zweite Amtszeit will?
    Trittin: Ich habe Respekt vor seiner Entscheidung. Aber ich habe zu keinem Zeitpunkt bereut, dass wir ihn damals vorgeschlagen haben. Ich glaube, er war ein guter Präsident und er war ein mutiger Präsident, und zu einem mutigen Präsident gehört auch, dass er nicht immer Dinge sagt, die allen gefallen müssen.
    Kapern: Nun hat Joachim Gauck ja manches Mal Dinge gesagt, die auch den Grünen wohl nicht wirklich gut gefallen haben müssen, beispielsweise über das internationale Engagement, auch militärische Engagement Deutschlands.
    Trittin: Ich habe da sehr genau zugehört und der Satz lautete: Das heißt, nicht mehr Soldaten in erster Linie, sondern das heißt eben auch, zu seinen internationalen Verpflichtungen zu stehen. Und er hat hier sehr ausdrücklich angemahnt das Versagen der Großen Koalition, die es bis heute nicht geschafft hat, beispielsweise die Entwicklungshilfe auf das Niveau aufzustocken, was sie selber versprochen haben. Er hat das also als politische Verantwortung und gerade eben nicht als eine bloß militärische beschrieben. Insofern habe ich diesen Satz richtig gefunden.
    Er hat aber viele andere Dinge getan. Wenn Sie sich erinnern? Er hat den Satz gesagt, wir müssen mehr Europa wagen. Er hat gerade mit Blick auf die deutsche Geschichte, mit Oradour, mit Lidice, oder mit Lingiades - Sie erinnern sich an die Debatte um die Schuld Deutschlands bei der Besetzung Griechenlands - klare Signale gesetzt. Und ich muss darauf hinweisen, dass der Präsident lange vor dem Deutschen Bundestag den Mut hatte, den Völkermord an den Armeniern als das zu bezeichnen, was er ist, nämlich Völkermord. Und ich muss auch sagen, ich fand gerade seine Reisen in die Türkei und nach China davon geprägt, dass er dort gerade für die demokratischen Werte, also für die Werte, für die er als Mitglied der Bürgerbewegung der DDR sein Leben lang gestritten hat, sehr deutlich aufgetreten ist und eben nicht leisetreterisch.
    "Er hat die Würde des Amtes wiederhergestellt"
    Kapern: Wenn Joachim Gauck dann in einem dreiviertel Jahr geht, geht dann ein großer Präsident?
    Trittin: Er hat die Würde des Amtes nach einer unwürdigen Zwischengeschichte wiederhergestellt und er hat die Rolle des demokratischen Gewissens dieses Landes gespielt. Dass er dann in Fragen - - Ich glaube, er ist nicht so ökologisch, wie ich es beispielsweise wäre, aber das ist nicht die Aufgabe des Präsidenten, allen nach dem Munde zu reden, sondern er hat eine Position zu markieren und er muss dafür Sorge mittragen, dass diese Gesellschaft, dieses Land über sich selber reflektiert, und das war das Kontrastprogramm zu den ersten zwei Jahren der Großen Koalition, wo ja alles erstickt wurde in einem merkwürdigen Stillstand, einer Debattenlosigkeit, und da hat er immer den Mut gehabt, tatsächlich politische Themen streitbar anzusprechen.
    Kapern: Herr Trittin, haben Sie noch einen Personalvorschlag vom Format Joachim Gaucks auf Lager?
    Trittin: Wenn ich ihn habe, würde ich ihn entsprechend einspeisen, aber ich würde es Ihnen jetzt hier am Telefon nicht sagen.
    Kapern: Aber schade für unsere Hörer!
    Trittin: Ja, das glaube ich gerne. Aber das, was zurzeit sich abspielt, da kann ich allen nur wirklich zur Zurückhaltung raten. Joachim Gauck hat heute Klarheit geschaffen. Die Wahl findet am 12. Februar nächsten Jahres statt. Selbst die Wahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern in Rechnung gestellt, wird es so sein, dass es dort für niemanden eine einfache parteipolitische Mehrheit gibt. Und ich glaube, dass alle Parteien gut beraten sind, sich in dieser Situation zu überlegen, wer die Person sein kann, die dieses Land künftig nach außen repräsentiert, und da ist das leichtfertige Nennen von Namen oft viel zu durchsichtig, nämlich dann geht es in der Regel darum, diese Person tatsächlich zu verbrennen.
    "Der Präsident muss das Land repräsentieren"
    Kapern: Dann lassen wir einfach jetzt mal ein paar Namen, die ja schon genannt worden sind oder naheliegen oder noch in die Diskussion kommen könnten, bei Seite und versuchen mal herauszufinden, was für eine Strategie jetzt die nächsten Monate beim Nachdenken über einen möglichen Kandidaten bestimmen könnte. Die Strategie beim Vorschlag Gauck war ja, da gibt es einen konservativen Kandidaten, präsentiert von den Parteien der linken Mitte, und das Konzept war geeignet, Lagergrenzen zu sprengen. Ist das eine Handlungsanleitung für die nächsten Wochen, oder muss es diesmal genau anders gehen, nämlich dass man versucht, Bündnisse zu schmieden, neue Bündnisse zu schmieden?
    Trittin: Erst mal muss am Ende eine Präsidentin oder ein Präsident in der Lage sein, das ganze Land zu repräsentieren. Das war damals das Motiv von Grünen und übrigens Sozialdemokraten, einen Vorschlag zu machen, der weder grün, noch sozialdemokratisch war, sondern ein Vorschlag war, von dem wir der Auffassung waren, dass auch Konservative damit leben können. Da haben die Konservativen drei Jahre und das Scheitern ihres eigenen Vorschlages für gebraucht, um das dann in der Tat zu verstehen. Aber sie werden nicht einfach wieder so etwas wiederholen können, und deswegen, finde ich, ist in dieser Situation zwischen den Parteien Augenmaß, Bedächtigkeit und die Fähigkeit sozusagen zur Verständigung gefragt.
    Kapern: Die Neigung von Jürgen Trittin zum Klartext war meiner Erinnerung nach schon mal etwas größer. Heute Morgen hatten wir jemanden hier am Telefon, Stephan Mayer von der CSU. Der hat sich da klarer ausgedrückt. Wir können uns das ganz kurz anhören. Das ist ein Ausschnitt aus einem Interview von heute Früh, 14 Sekunden lang, Herr Trittin:
    Stephan Mayer: "Aus meiner Sicht muss es zunächst mal das Ziel sein, dass die Große Koalition einen gemeinsamen Kandidaten findet. Ich glaube, es wäre ein falsches Signal, wenn die CDU/CSU und die SPD sich nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten verständigen können."
    Nachfolge: "In Ruhe zwischen den Parteien diskutieren"
    Kapern: Stephan Mayer, Mitglied im CSU-Vorstand. Der stellt jetzt die Weichen und die Grünen gucken da mal wieder zu, oder wie?
    Trittin: Nein. Der hat sozusagen erst mal nur seine Ängste thematisiert. Eine Angst ist, er stellt fest: Die CDU/CSU hat den laut malerischen Bekundungen der CSU zum Trotz in der Bundesversammlung keine Mehrheit. Das Zweite: Er möchte gerne verhindern, dass etwas, die SPD, ihm aus der Kontrolle gerät, und deswegen sagt er, es soll einen gemeinsamen Kandidaten geben. Das ist ein Wunsch von Herrn Mayer als CSU-Mitglied. Das kann aber kein Kriterium sein für die Mitglieder der Bundesversammlung, die einen Bundespräsidenten zu wählen haben. Und deswegen sage ich noch mal: Es nützt nichts, sich jetzt an lauten Personalspekulationen zu beteiligen. Das wird keine einfache Übung, einen Bundespräsidenten unter diesen Mehrheitsbedingungen zu bekommen. Niemand möchte beispielsweise, dass am Ende etwa die AfD-Mitglieder oder andere Antidemokraten hier auch noch eine Rolle in der Bundesversammlung spielen. Deswegen ist es an der Zeit, hier das in Ruhe zwischen den Parteien zu diskutieren und dann eine Entscheidung zu treffen, aber dafür hat man ein halbes Jahr lang Zeit. Da muss man jetzt nicht aufgeregt in jedes Mikrofon reinbeißen.
    Kapern: Das AfD-Problem könnten Sie umgehen mit einem schwarz-grünen Kandidaten.
    Trittin: Auch das halte ich für eine Herangehensweise - so sind wir im Falle Gauck ja auch nicht rangegangen -, die dem Amt nicht angemessen ist. Es geht hier nicht darum, über Koalitionen im nächsten Herbst zu entscheiden, sondern es geht darum, wer die folgenden Jahre nach dem 12. Februar 2017 dieses Land in der Funktion des Bundespräsidenten vor allen Dingen nach außen vertritt, und der wird mit jeder Regierung, die 2017 von den Wählerinnen und Wählern bestimmt wird und nicht vorab bestimmt wird durch die Bundesversammlung, ordentlich zusammenarbeiten müssen.
    Kapern: Ist Joschka Fischer jetzt erleichtert oder enttäuscht, dass Sie seinen Namen in diesem Interview nicht genannt haben?
    Trittin: Das müssen Sie ihn selber fragen.
    Kapern: Mach ich bei Gelegenheit. - Jürgen Trittin von den Grünen heute Mittag im Deutschlandfunk. Vielen Dank für das Gespräch, einen schönen Tag noch.
    Trittin: Ich danke Ihnen! - Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.