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Bilanz von Rio
Was bringen die Spiele den Brasilianern?

Die Brasilianer um Neymar gewannen das olympische Fußballfinale der Männer im Elfmeterschießen gegen Deutschland. Sie befreiten sich damit etwas vom Trauma der 1:7-Niederlage gegen Deutschland im Halbfinale der WM 2014. Was kann das Land sonst von den Spielen mitnehmen? Sportjournalist Carsten Upadek im Gespräch.

Carsten Upadek im Gespräch mit Matthias Friebe | 21.08.2016
    ©Kyodo/MAXPPP - 21/08/2016 ; Neymar holds up his gold medal after the award ceremony for the men's soccer tournament at the Rio de Janeiro Olympics on Aug. 20, 2016. Brazil won 5-4 on penalties after the game ended 1-1 after extra time. (Kyodo) ==Kyodo |
    Der brasilianische Fußballer Neymar mit der Goldmedaille (MAXPPP / picture alliance / dpa)
    Die Nervosität war hoch vor dem Spiel. "Bloß nicht wieder sieben Toren gegen Deutschland", sagten ihm viele Brasilianer, erzählte Sportjournalist Carsten Upadek im DLF. Die bittere Erinnerung an das WM-Halbfinale begleite Brasilien seit zwei Jahren.
    Und die Brasilianer hätten zuletzt schlecht gespielt: Bei der Copa America im Juni flogen sie in der Vorrunde raus, bei der WM-Quali für 2018 sind sie unter den Mannschaften Südamerikas auf Platz sechs – das würde nicht reichen. In der Vorrunde bei den Olympischen Spielen ist die Mannschaft von den eigenen Fans ausgebuht worden.
    Das erkläre auch die emotionalen Reaktionen der Spieler gestern Nacht: Neymar etwa weinte auf dem Rasen. Was die Spieler erreicht hätten, sei mehr als Olympia-Gold: Sie hätten das Vertrauen der Fans zurückgewonnen, meint Upadek.
    Brasilianer zufrieden
    Also mit Fußball-Gold: Ende gut, alles gut? Nein, sagt Upadek, die Kritiken an Organisation, Dopingkontrollen, Sicherheit, Finanzen und illegalem Tickethandel seien gerechtfertigt. Aber die meisten Brasilianer sähen diese Spiele als Erfolg – nämlich deshalb, weil sie kein völliges Desaster waren. Die Rahmenbedingungen waren schwierig: wirtschaftliche Krise, politische Krise und dann auch noch das Zika-Virus, das für viel Panik sorgte.
    Nun zeigt sich: die Zika-Angst sei unbegründet gewesen. Es ist Mücken-Nebensaison. Es gab keine größeren Unfälle bei der Olympia-Infrastruktur, laut Regierung waren die Touristenzahlen gut und zudem holte Brasilien weitere 18 Medaillen, so viele wie nie zuvor. Deshalb seien die Brasilianer bei aller Kritik zufrieden mit dem, was sie abgeliefert hätten.
    Über einige Punkte werde man aber noch einmal reden müssen, findet Upadek. Zum Beispiel darüber, dass Volunteers sich verwirrt durchs Olympische Dorf fragten, um den richtigen Athleten für die Doping-Probe zu finden. Aber das zeige ein großes Problem: nämlich wie sich die Geldprobleme ganz praktisch auf die Organisation der Spiele auswirkt. Ursprünglich waren 70.000 Freiwillige angedacht, die Zuschauern den Weg zeigen, beim Tennis die Bälle zuwerfen und im Olympiadorf das Essen ausgeben.
    Viel weniger freiwillige Helfer
    Anfang dieses Jahres hat das Organisationskomitee deren Zahl von 70.000 auf 50.000 Freiwillige gekürzt, um Kosten zu sparen – weil ja auch Volunteers eingekleidet und verköstigt werden müssen. Nun stellte sich aber während der Spiele heraus, dass von den 50.000 mindestens 30 Prozent erst gar nicht erschienen seien, so Upadek. Damit seien es also noch etwa 35.000 Volunteers gewesen – die Hälfte der ursprünglich geplanten. Und von denen scheine ein Teil während der Spiele das Handtuch geworfen zu haben.
    Die, die zitiert werden, sprechen von schlechter Behandlung, Problemen mit der Verpflegung, Chaos in der Organisation. Eine persönliche Erfahrung von Carsten Upadek: "Ich stand eine Stunde in der Schlange, um mir eine Eintrittskarte für Beachvolleyball zu kaufen. Und als ich endlich dran war, hieß es, ja leider schon eine ganze Weile ausverkauft. Das denkst Du Dir auch: Freunde, da hätte auch mal jemand eine Ansage machen können. Aber kurz darauf passierte auch mein schönster Olympia-Moment. Ich muss wohl sehr traurig ausgesehen haben. Jedenfalls kam ein brasilianisches Paar vorbei und schenkte mir ein übriggebliebenes Ticket, wollte auch kein Geld dafür und wünschte mir schöne Olympische Spiele."
    Unzufriedenheit der Bevölkerung kaum spürbar
    Und das ist bei Upadek generell hängen geblieben: Auf der einen Seite eine ziemlich chaotische Organisation. Auf der anderen Seite sehr viele freundliche Brasilianer, die die Besucher herzlich empfangen haben und nun froh sind, dass alles einigermaßen geklappt hat.
    Von den erwarteten Demonstrationen der Unzufriedenheit der Brasilianer bekam er wenig zu spüren. Das Amtsenthebungsverfahren gegen Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff ist in der finalen Phase. Ihr wird vorgeworfen, ihren Haushalt manipuliert zu haben. Ihre Anhänger sehen das als parlamentarischen Staatsstreich. Eine finale Entscheidung über Rousseffs Amtsenthebung wird wahrscheinlich übernächste Woche fallen.
    Es gab dennoch nur eine relativ große Demo am Tag der Olympia-Eröffnung am 5. August zur Unterstützung der Präsidentin mit mehreren tausend Demonstranten – allerdings ein bisschen überstrahlt von der Eröffnungsfeier. Dann liefen viele kleine Workshops, Diskussionsrunden, Theater, Konzerte – aber tatsächlich nichts, was im Vergleich zu Mega-Show Olympia für viel Aufmerksamkeit gesorgt hätte.
    Carsten Upadeks Bilanz? Für verschiedene Bereiche sehr unterschiedlich: "Viele Wettbewerbe waren natürlich atemberaubend, die Organisation war sehr chaotisch, hat aber irgendwie geklappt. Das IOC hat mit seiner Haltung zum Doping bei diesen Spielen allerdings ordentlichen Schaden hinterlassen."