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"Bild" gegen Christian Drosten
Das Ende der Deutungshoheit

Immer wieder stellt die "Bild" mit ihrer Berichterstattung Menschen an den öffentlichen Pranger. Auch die Forschung des Virologen Christian Drosten wurde so diskreditiert. Doch diejenigen, die sich die "Bild" als Opfer ihrer Kampagnen aussuche, seien nicht mehr wehrlos, kommentiert Stefan Fries.

Von Stefan Fries | 27.05.2020
Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie der Charité
Schon vor ein paar Wochen stellte die "Bild" Forschungsergebnisse und Äußerungen des Virologen Christian Drosten falsch dar (dpa/ Michael Kappeler)
Spätestens seit Montag ist die Sache persönlich. Da hat der Berliner Virologe Christian Drosten eine Mail der "Bild"-Zeitung an ihn öffentlich gemacht, in der ihm eine Stunde Zeit gegeben wurde, sich zu wissenschaftlicher Kritik an seiner Arbeit zu äußern.
Das hat "Bild" zu Recht als Kampfansage verstanden. Denn damit stellte Drosten ihre Kampagne bloß, über die die Zeitung die Deutungshoheit seitdem nicht zurückgewonnen hat.
Julian Reichelt, Vorsitzender der "Bild"-Chefredaktion, auf einem Kongress
"Bild"-Anfrage an Drosten - "Ein-Stunden-Frist ist Unverschämtheit"
Der ehemalige stellvertretende Regierungssprecher Georg Streiter hat die aktuelle Berichterstattung der "Bild" über Christian Drosten kritisiert. "Bild" habe mehrere handwerkliche Fehler gemacht, sagte Streiter, der früher selbst für die Zeitung gearbeitet hat.
Zum Glück. Denn mittlerweile sind diejenigen, die sich die "Bild" als Opfer ihrer Kampagnen aussucht, nicht mehr wehrlos. Dank sozialer Netzwerke und im Fall von Drosten auch seiner großen Reichweite in klassischen Medien müssen sich Menschen nicht mehr allein darauf verlassen, dass die "Bild" ihre Position angemessen darstellt. Schließlich lässt sich jedes gelieferte Argument durch Verkürzung für jede These passend machen, das zeigt "Bild" immer wieder.
Nicht immer im Sinne der Wahrheitsfindung
Dass Betroffene in sozialen Netzwerken widersprechen können, ist nicht immer im Sinne der Wahrheitsfindung, denn auf diese Weise können auch seriöse Rechercheergebnisse ausgehebelt und Anfragen zu investigativen Recherchen vorzeitig publik werden. Aber dadurch werden auch weitere klassische Medien auf das Thema aufmerksam. Und vor allem: Es macht die Objekte der Berichterstattung zu Subjekten und gibt ihnen eine Stimme, die einer öffentlichen Diskussion zuträglich sein kann.
Zumal Christian Drosten nur reagiert hat, schließlich hat er hat mit der "Bild"-Methodik schon Erfahrung gesammelt. Schon vor ein paar Wochen stellte die Zeitung seine Forschungsergebnisse und Äußerungen falsch dar. Aus einer wissenschaftlich üblichen Diskussion konstruierte sie persönliche Konflikte zwischen den Forschern – wie sie es in der Politik macht. Womit die "Bild" im Übrigen nicht alleine war. Mit seiner öffentlichen Kritik noch vor Publikation des Artikels ist Drosten nun dem erwartbaren Spin wirkungsvoller begegnet als durch eine nachträgliche Distanzierung, denn schon die Anfrage offenbarte das Tendenziöse der "Bild".
Den Journalismus ignoriert
Dass manche kritische Fragen derzeit nur von "Bild" gestellt würden, wie Chefredakteur Julian Reichelt behauptet, ist natürlich ein Witz. Denn die Debatte zwischen den wirklichen Fachleuten lief schon längst, und Drosten hatte bereits Kritik angenommen, als sich die "Bild" als unqualifizierter Beobachter von der Seitenlinie einschaltete.
Dass die "Bild" die Regeln der Wissenschaft nicht kennt, kann man ihr nur mit viel Wohlwollen nicht vorwerfen. Dass sie aber die des Journalismus ignoriert, schon. Gut, dass so etwas heute durch Äußerungen wie die von Drosten immer wieder deutlich wird.