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Bilder von Iros und Nietenjacken

Vor mehr als 30 Jahren schwappte die Punk-Welle nach Deutschland herüber. Es folgte eine Rebellion mit wütender Musik, lauten Teenagern und wilden Straßenschlachten. Um die Erinnerung an diese Zeit wach zu halten, hat Peter Altenburg alias Karl Nagel die Seite "Punkfoto.de" ins Leben gerufen.

Von Dennis Kastrup | 06.05.2013
    "Ich habe damals einen schweren Eisennagel getragen, weil es in Wuppertal eben die Figur Karl Nagel gibt. Das ist nämlich Jesus Christus, der am Kreuz hängt. Da wurde ich eben Karl Nagel."

    Das Pseudonym ist nicht nur ein simpler Spitzname. Nein, Karl Nagel steht für ein Projekt, ein Kunstwerk, eine Mission. In seiner Biografie bezeichnet sich der 52-Jährige auch als "Der Meister des Chaos". Er hat die Chaos-Tage in Hannover mitorganisiert, als Politiker für die Anarchistische Pogo Partei Deutschlands gewirkt und in diversen Bands gespielt. Seit einigen Jahren kümmert er sich nun schon um die Homepage"Punkfoto.de" . Ein riesiges Archiv von Punkfotos aus Deutschland.

    "Ich habe eigentlich auch immer irgendwelche Punkfanzines gemacht, also irgendwelche Zeitschriften. Da hatte ich eh schon einen größeren Fotobestand noch aus den 80ern, auch 90ern und wollte mal ein Buch damit machen. Da war ich aber dann zu faul für. Also hat sich alles angesammelt und dann habe ich einfach eines Tages alles ins Internet gestellt und einige Zeit später dann eine eigene Seite draus gemacht, die ich dann auch selbst gebaut habe, weil ich den Kram auch beruflich mache."

    Die Faszination für den Punk treibt ihn öfter aus seiner Wahlheimat Hamburg. Auf der Suche nach Fotos besucht Nagel bundesweit alte Weggefährten, aber auch neue Bekanntschaften. Viele der einstigen Punks besitzen Fotos, sind aber zu faul, um sie einzuscannen, berichtet er.

    "Bei den meisten Punks, spätestens, wenn man sich dann von 1980 oder 81 ihre Kinderzimmer anguckt, merkt man, das waren alles liebe, nette Jungs. Nach außen hingegen haben alle gedacht, das ist ein Haufen kaputter Drogensüchtiger. Das war ja einfach nicht wahr. Dieses Gefühl, den Normalmenschen zu verarschen und den auf die eine oder andere Art hoppzunehmen und die dazu zu bringen, auch vielleicht irgendeinen Unsinn zu erzählen, dieses Gefühl ist mit Sicherheit noch bei vielen Leuten immer noch existent."

    Das gilt auch für Nagel. Äußerlich hat er sich nie angepasst. Auf seiner Homepage zeigen ihn Fotos mal mit roten, mal mit langen Haaren, auch Struwwelpeterfrisur und Glatze sind dabei. Er ist wandlungsfähig und lebt die Punkidee noch immer. Heute läuft er wie ein Pirat mit einem grau melierten Vollbart und einem Tuch auf dem Kopf herum. Und wie sehen die anderen alten Punks von damals aus?

    "Es gibt kein Schema bei den alten Punks, speziell, weil ja nur die mich kontaktieren, die auch noch zu ihrer Vergangenheit stehen. Das muss man auch mal so sehen. Das ist ja schon nur eine Teilmenge. Dann gibt es Leute, die sehen heute noch halbwegs so aus wie früher. Andere sitzen in ihrem Eigenheim und haben Familie und vielleicht sogar einen florierenden Job oder sind sogar vielleicht Unternehmer geworden. Also alles, was es dazwischen gibt, trifft man."

    Karl Nagel kennt den Punk nun schon seit über 30 Jahren. Die Veränderungen der Vergangenheit beäugt er kritisch. Was er in den Fotos sieht, formuliert er so:

    "Die Uniformierung ist im Laufe der Jahre immer weiter vorangeschritten. Die Punks von heute sind ein Indianerstamm mit bestimmten Riten, einer bestimmten Optik, Federschmuck und Kriegsbemalung oder was auch immer. Das Zweite ist: Über die Jahre hinweg hat sich so eine komische Saufkultur immer weiter eingebürgert. In den Anfangsjahren sieht man praktisch niemanden, der mit so einem Glas in der Hand auf die Kamera zuprostet. Je mehr Zeit vergeht, desto öfter sieht man diese komischen Partyfotos von Leuten, die so prostend ihr Bier in die Kamera halten. Je älter die werden, desto dicker der Hals sozusagen, desto mehr kehrt auch so ein ‚Blauer Bock Feeling‘ gewissermaßen ein, was mich so ein bisschen verstört, aber naja, gut. So ist das halt mit der Verfestigung."

    Die Seite Punktfoto.de liefert einen einzigartigen Einblick in die ost- und westdeutsche Punkszene vor und nach dem Mauerfall. Die Bilder aus der ehemaligen DDR sind dabei oft im Verborgenen entstanden. Alle Fotos sind nach Städten und Jahren geordnet. Es ist durchaus möglich, dass sich der eine oder andere Altpunk dort wiedererkennt. Sie zeigen ungeschminkt eine Kultur, die das Leben vieler damaliger Mitglieder bis heute verändert hat. Auch das von Karl Nagel.

    "Es hat mein Leben gerettet. Das ist der entscheidende Punkt. Es hat Grundlagen gelegt, ein Branding gewissermaßen in meiner Persönlichkeit, dass ich heute immer noch relativ radikal tue, was ich für richtig halte, auch wenn alle möglichen Leute sagen: ‚Du Idiot. Das war alles Schwachsinn‘ und so weiter! Wenn ich es für richtig halte, ziehe ich das ziemlich derbe durch. Das sind meine persönlichen Konsequenzen und ohne Punk wäre das mit Sicherheit nicht so weit gekommen, weil ich damals noch viel unsicherer war. Aber plötzlich hatte ich das Gefühl, dieser Unterschied zwischen Clark Kent und Supermann. Früher war ich Clark Kent. Ich hatte auch eine Brille auf. Die habe ich dann abgenommen und eine Lederjacke angezogen. Plötzlich war ich Supermann."