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Bilderstarkes Schlachten

Der Autor, Schauspieler und Regisseur Olivier Py hat an die Stelle des nüchternen Theaters der 68er-Generation eine exaltierte, schwärmerische Poesie gesetzt, verbunden mit dem Bekenntnis zum Theater als einer Kultstätte des Glaubens. Wenn er am Ende seiner ersten Spielzeit am Pariser Théâtre de l'Odéon seine erste große Arbeit vorlegt, ist das auch als programmatisch zu verstehen: Die Gründungstragödie des abendländischen Theaters steht am Beginn seiner Intendanz.

Von Eberhard Spreng | 17.05.2008
    Olivier Py hockt hoch oben über der Bühne auf einer Brücke und ruft die einleitenden Worte des Wächters in den Saal, der im Palast von Argos dazu abgestellt worden ist, nach den Feuerzeichen Ausschau zu halten, die den Triumph der Griechen im langen Krieg um Troja ankündigen sollen. Die gute Botschaft, die Initialzündung zur blutigen und doch am Ende demokratiestiftenden Trilogie, will Olivier Py, der neue Direktor des Odéon-Théâtre de l'Europe selbst überbringen. Er hat die Orestie des Aischylos neu übersetzt, schlanker und nicht so metapherüberbordend wie bisherige Übertragungen. In seiner Inszenierung aber greift er für die Passagen des Chors zurück auf das altgriechische Original, das zur Musik des Stéphane Leach gesungen wird.

    Während die lyrischen, poetischen Inhalte, die Botschaften des Chors also nur eben durch die Übertitelung zu begreifen sind, wird das blutige Mordgeschehen in der Atridenfamilie in Französisch aufgeführt; der Spielbezug zwischen den Alten von Argos, die im "Agamemnon" den Chor bilden, und den Mitgliedern des Herrscherhauses ist so nun noch vermittelt vorhanden, beide sind eben nur noch Elemente eines inszenatorischen Programms auf dem Theater, in einer streng formalisierten Kunstwelt und nicht mehr Akteure und Zuschauer eines Geschehens und Mitglieder einer Sprachgemeinschaft. Wir wohnen also einem akustischen Ritual bei, das auch den Sprechenden in den Gestus der Anrufung zwingt.

    Die große französische Tragödin Nada Strancar spielt die Klytaimnestra. Mit tiefdunkel geschminkten Augen erwartet sie ihren Mann, ein Racheengel, selbst schon eine Vorahnung der Erinnyen, die nach ihrem Tod im Dienst des Mutterrechtes auf Orest Jagd machen werden.

    Vieles sieht in diesem ersten, dem längsten Stück der Trilogie aus wie Verlegenheiten aus dem Theater der 80er-Jahre: In langen schwarzen Mänteln tritt der Chor auf, Lorbeerkränze zieren die Häupter, Agamemnon, der siegreiche Feldherr, kehrt im Marinemantel im schwarzen Citroën DS mit seiner Beute Kassandra aus der Schlacht zurück, rohe Holzsärge mit aufgeprägten Seriennummern stapeln sich am linken Bühnerand.

    Die Bühne selbst besteht aus einer vielfältig verschiebbaren Stahlgerüstkonstruktion, die mit profilierten, meist schwarz eloxierten Blechen verkleidet ist. Mal türmt sie sich zu einer gewaltigen Fassade auf, mal staffelt sie sich zu einer Podestlandschaft. Die Morde in der Atridenfamilie - Klytaimnestras Mord am Ehemann Agamemnon, der Rachemord des Sohnes Orest -, sie spielen in einem Kasten mit dem kuriosen Charme eines Baucontainers. Alles ist hier schwarz, außer der rot gewandeten Klytaimnestra und Iphigenie, die hier ebenso wie Paris und Helena als stumme Illustrationen des Vorgeschehens über die Bühne geistert. Schwarz sind auch die Erinnyen, die - einige mit rot geschminkten Gesichtern, andere mit schwarzen Hundemasken auf den Köpfen - Jagd auf Orest machen.

    Erst im letzten, handlungsarmen Teil dieser Trilogie scheint das Regiekonzept Olivier Pys aufzugehen. Jetzt sind keine Geschichten mehr zu erzählen, alle Schlachten geschlagen, alle Mörder in den Wahnsinn gejagt. Jetzt soll ein weiß gewandeter Gott Apoll das finstere Zeitalter der chthonischen Gottheiten beenden, mithilfe der Athene die finsteren Erdgöttinnen, die Erinnyen, zu wohlmeinenden Mitgliedern der athenischen Gesellschaft umstimmen und auf Zeus einschwören. Jetzt ist die Aufführung zugleich Gerichtsverhandlung und Liturgie, fusioniert der exaltierte Katholik Py Antike, Christentum, Theater, Messe und Gottesdienst zu ein und demselben Initiationsritus. Und weil es für ihn von Zeus zum Christengott nur ein Katzensprung ist, die große griechische Antike nur ein Vorzimmer zum Christentum, läutet dann am Ende der Orestie auch gleich schon eine Glocke.