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Bildkunst in leuchtenden Farben

Der prachtvoll illustrierte, von Joachim Poeschke herausgegebene Band "Mosaiken in Italien 300-1300" zeigt das Mosaik als Wand-und Gewölbeschmuck in christlichen Kirchen im kulturellen und politischen Spannungsfeld zwischen Byzanz und Rom. Zunächst besticht die reine Schönheit des Gezeigten.

Von Andrea Gnam | 17.05.2010
    Der Stifter, ein Bischof, der zur Ehren der Gottesmutter den Bau einer Kirche finanziert hat, wirft sich Maria zu Füßen – so ist es auf einem Mosaik um 1143 in Palermo in der Martorana-Kirche zu sehen. Einige Kilometer weiter und einige Jahrzehnte später begegnet man einer Darstellung König Wilhelm II., der Maria ein Modell des von ihm gestifteten Doms von Monreale überreicht. Zwischen dem Selbstverständnis beider Männer scheinen Welten zu liegen.

    Der prachtvoll illustrierte, von Joachim Poeschke herausgegebene Band "Mosaiken in Italien 300-1300" zeigt das Mosaik als Wand-und Gewölbeschmuck in christlichen Kirchen im kulturellen und politischen Spannungsfeld zwischen Byzanz und Rom. Zunächst besticht die reine Schönheit des Gezeigten: Auf großformatigen Tafeln ist in hervorragender Abbildungsqualität das zu sehen, was das Auge, das sich in den Kirchen aus der Distanz einem Gesamtkunstwerk aus Lichtbrechung und Farbfeldern gegenübersieht, in seiner Fülle so gar nicht aufnehmen kann. Als kleine zurecht geschnittene Würfel aus Glas oder Marmor in vielen Farbabstufungen – an die 33 Blautöne und 39 Grüntöne sind in der frühchristlichen S. Maria Maggiore gezählt worden – auf Konturen setzend oder mit leicht erhobenen, weißen Teilchen Plastizität erreichend, schließen sich die Steinchen zu Figuren, Pflanzen und Ornamenten zusammen.

    Materialität der Steine und Immaterialität des Lichtes, der ganze Kosmos, der in einem Gewölbe Platz zu haben scheint und alles ausfüllt, Abstraktion und Evidenz: Es gibt wohl kaum eine überwältigendere Verbindung als die von Sakralarchitektur und Mosaik. Dennoch oder gerade deswegen ist es höchst interessant, welche Bildprogramme, aber auch politische Aussagen sich mit dieser aus der Antike stammenden Monumentalkunst verbinden. Das Gewölbe und die Wände der Apsis hinter dem Altar sind ein ranghoher Ort in christlichen Kirchen.

    Hier sind zwei Bildtypen zu finden: die Wiederkehr Christi am Ende der Tage zum Weltgericht, die Parusie, und die Darstellung der Majestas, des herrschenden, thronenden Christus. Das Gefolge der Heiligen und die von Engeln dargebrachte Krone haben ihr Vorbild im antiken Herrscherzeremoniell. Später wird sich die Beziehung umkehren: Herrscher leiten ihre Herrschaft von der Gnade Christi ab, der sie eigenhändig krönt, wie auf weiteren Mosaiken im Dom zu Monreale und der Martorana Kirche in Palermo zu sehen ist.

    In frühchristlichen Mosaiken sind allerdings durchaus auch noch Motive aus anderen religiösen Kontexten zu erkennen: So gibt es einen Jesus, der als Sonnengott auftritt und einen vierspännigen Wagen gen Himmel lenkt. In der römischen Kunst herrscht das Prinzip von "varietas" und "copia", also Vielfalt und Fülle. Aus diesem Grund gibt es von Akanthusranken, Fruchtkörben und Tieren überzogene Gewölbe, bis sie einer strengeren, byzantinisch geprägten Ordnung weichen. Das Augenmerk der weströmischen Kunst richtete sich auf die Bewegungsfreiheit der Figuren, es gab eine ausgeprägte Porträtkunst, wovon man schöne Beispiele in Santi Cosma et Damiano in Rom sehen kann.

    Das oströmische, byzantinische Bildschema hingegen orientiert sich an statischen, seriellen Figuren, die in Frontalansicht gezeigt werden – ab dem 6. Jahrhundert fällt zum Beispiel Ravenna unter byzantinische Herrschaft. In späteren Jahrhunderten gerät das Mosaik fast in Vergessenheit. Als es Mitte des 11. Jahrhunderts für Italien wiederentdeckt wird und in den beiden folgenden Jahrhunderten in Venedig, Rom und auf Sizilien Bautätigkeit einsetzt, sind byzantinische Künstler am Werk. Später arbeiten auch einheimische Mosaizisten nach byzantinischen Musterbüchern. Eng ist die Verbindung zum geschriebenen Wort: Genesismotive folgen durchaus auch unterschiedlichen literarischen Quellen. Um 1200 nimmt die Marienverehrung ihren Aufschwung, hier spielt ein Kommentar des Hohen Liedes eine gewichtige Rolle, in dem Maria mit der Braut des Hohen Liedes gleichgesetzt wird. Darstellungen von Kreuzigungen sind in der frühchristlichen Bildsprache kaum zu finden, sie werden – mit Wurzeln in der byzantinischen Kunst – erst im 13. und 14. Jahrhundert zu einem wichtigen Thema europäischer Sakralkunst.

    Je nach Sachlage werden bei Kirchengründungen auch politische Referenzen der Auftraggeber relevant: San Marco in Venedig zum Beispiel, ist als Hommage an den wichtigsten Bündnispartner der Stadt, den byzantinischen Kaiser, nicht als Basilika gebaut, sondern als Kreuzkuppelbau und ebenfalls nach byzantinischem Vorbild umfassend mit Mosaiken ausgestattet worden. 4500 Quadratmeter Fläche ist mit Mosaiken bedeckt, nur der Dom in Monreale besitzt noch umfangreichere Bestände.

    Poeschke gibt zu Beginn des Buches eine informative, etwas spröde formulierte Einführung, behandelt dann Schmuck und Baugeschichte einzelner Kirchen. Das Wirkungsmächtigste an diesem prächtigen Buch bleiben indes die wunderbaren Farbtafeln, welche Mosaike in Ausschnitten oder im Raumkontext zeigen. Leuchtende Farben, Wolken auf Goldgrund, eindringliche Porträts eröffnen den unmittelbaren visuellen Zugang zu einer Bildkunst, die eine Welt zeigt, welche, obwohl im einzelnen in ihrer Symbolsprache bereist fremd geworden, doch tief im kulturellen Gedächtnis verankert geblieben ist.


    Joachim Poeschke: "Mosaiken in Italien 300-1300"
    Hirmer Verlag 2009, 432 S., 214 Farbtafeln, 92. Abb., 32,5 x 27,0 cm, 138 Euro