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Bildung
Der Orden der "Englischen Fräulein"

Mary Ward (1585-1645) gründete die Kongregation der Englischen Fräulein. Die setzte sich besonders für die Bildung von Mädchen ein. Mit der Inquisition geriet Mary Ward in Konflikt, weil sie und ihre Ordensschwestern sich frei in der Öffentlichkeit bewegten und Mädchen aus allen Schichten unterrichteten. 1631 wurde ihr Institut aufgelöst und erst 1703 von Rom anerkannt.

Von Kirsten Serup-Bilfeldt | 27.11.2013
    Schülerinnen unterhalten sich an einem verschneiten Dezembermorgen vor dem Maria-Ward-Gymnasium in München.
    Unvergessen: Auch in München gibt es heute ein "Maria-Ward-Gymnasium" (picture alliance / Markus C. Hurek)
    "Sie hat ja dann auch eine eigene Gemeinschaft gegründet in St. Omer, ein eigenes Institut; es war noch kein Orden. Sie hat junge Frauen um sich geschart, weitgehend Emigrantinnen aus England und hat dann in St. Omer ein Haus gegründet. Und es ist so überliefert in der Tradition, dass sie tatsächlich die Regeln der Jesuiten angenommen hat."
    Was, so Gert Melville, Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Technischen Universität Dresden über Mary Ward, an sich schon als ungeheure Anmaßung gesehen wurde. Es war "das Wagnis ihres Lebens", sagt auch Johannes Meier, Professor für katholische Theologie an der Universität Mainz:
    "Sie kannte die Jesuiten durch ihre Erfahrung als Heranwachsende in England. Sie kannte deren Sendung in die Welt. Die Jesuiten haben keine 'stabilitas loci', keine feste Ortsbindung, sondern ganz im Gegenteil: Die Welt ist ihr Zuhause. Und das war natürlich eine Option, die so für Frauen in der damaligen Gesellschaft einfach nicht vorgesehen war."
    Was sie nicht weiter anficht. Im Gegenteil: Sie verschärft die Situation noch, indem sie Schulen für Mädchen aus allen gesellschaftlichen Schichten gründet:
    "In Rom, in Neapel, in Perugia, um dem Papst deutlich zu machen, was sie will, und fiel dabei völlig auf die Nase. Kurz danach – wir sind jetzt im Jahr 1625 – ein neuer Papst: Urban VIII verfügt die Schließung sämtlicher italienischer Häuser."
    Der Papst unterzeichnet dann 1631 jene Bulle, die dem Orden der "Englischen Fräulein" und seiner Gründerin Mary ward einen herben Schlag versetzt:
    "Wie wir nicht ohne beträchtliche Seelenpein erfuhren, haben sich gewisse Jungfrauen unter dem angenommen Namen Jesuitinnen zusammengeschlossen. Diese Frauen haben unter dem Scheine, das größere Heil der Seelen zu fördern, Werke unternommen, die sich dem weiblichen Geschlecht bei der Schwäche seines Verstandes für die weibliche Bescheidenheit und für die jungfräuliche Sittsamkeit nicht geziemen."
    "Sie hat damals wohl schon erkannt, wo ihre Aufgabe liegt, nämlich in der Erziehung von Frauen, dass sie eine gewisse Aufgabe in der Kirche, in der Christenheit wahrnehmen können in einer Zeit, in der die katholische Kirche tatsächlich sehr gefährdet war. Da sah sie eine besondere Aufgabe für die Frauen. Dazu war aber nötig, dass die Frau gebildet, ausgebildet ist. Und das wollte sie mit ihrer Gemeinschaft bewirken."
    Geprägt wird ihr Lebensweg von den Katholikenverfolgungen in ihrer englischen Heimat. Auf dem Thron sitzt die Tudor-Regentin Elisabeth I., Tochter Heinrichs VIII., der sich wegen der Scheidung von seiner ersten Frau handstreichartig selbst zum "obersten Haupt der englischen Kirche unter Gott" erklärt und den offenen Bruch mit Rom gewagt hatte.
    Elisabeth macht sich bald nach ihrer Thronbesteigung 1558 daran, den von ihrer Halbschwester zeitweise wieder eingeführten Katholizismus im Land zurückzudrängen. 1559 erneuert sie die "Suprematsakte", mit der ihr Vater die anglikanische Staatskirche geschaffen hatte und unterstellt die englische Kirche erneut der Krone. Als sie vier Jahre später die 39 "Anglikanischen Artikel" verabschiedet, hat sie das Band zur römischen Kirche endgültig zerschnitten:
    "The Queen's Majesty hath the chief power in this Realm of England, and other her Dominions unto whom the chief Government of all Estates of this Realm, whether they be Ecclesiastical or Civil, in all causes doth appertain, and is not, nor ought to be, subject to any foreign Jurisdiction… The Bishop of Rome hath no jurisdiction in this Realm of England"
    "Ihre Majestät, die Königin, hat in diesem Königreich England und in ihren übrigen Territorien die höchste Gewalt, wozu die oberste Herrschaft in allen Dingen über alle Stände dieses Königreichs, kirchliche wie bürgerliche, gehört, und sie ist keiner auswärtigen Gerichtsbarkeit unterworfen. Der Bischof von Rom hat keine Jurisdiktion im Königreich England."
    Ein goldenes Zeitalter, das "elisabethanische", bricht an. Der Protestantismus festigt sich. England besitzt eine zentralisierte und straff organisierte Regierung. Unter der Herrschaft Elisabeths I. blühen die Künste auf: Musik, Theater, Poesie.
    In eine völlig andere Welt wird Mary Ward hineingeboren, als sie am 23. Januar 1585 in Mulwith, im Norden Englands das Licht der Welt erblickt. Es ist die raue Landschaft zwischen einsamen Hochmooren und den felsenübersäten "Yorkshire Dales".
    "Im Spielfeld dieses Ganzen stand eine bestimmte englische Schicht und das ist entscheidend für die Mary Ward; nämlich die "Gentry", der mittlere und niedere Adel auf dem Land. Der Landadel war katholisch und sehr konservativ. Er war katholisch aus verschiedenen Gründen: einmal aus Überzeugung, aber auch aus Opposition gegenüber Heinrich VIII. schon. Und Maria Ward ist in diesen Adel hineingeboren."
    Aber die Zeichen standen schlecht für die katholische Sache: 1587 hatte Königin Elisabeth ihre katholische Rivalin Maria Stuart, Königin von Schottland, hinrichten lassen. Im Jahr darauf geschieht die katastrophale Niederlage der als unbesiegbar geltenden spanischen Armada, die der katholische König von Spanien gegen England geschickt hat, um Elisabeth zu stürzen.
    All die Hoffnungen, an die sich die englischen Katholiken noch eine Zeitlang geklammert haben, sind zerstört. Es ist eine Zeit der Angst, der ständigen Lebensgefahr:
    "Es sind die Priester verfolgt, hingerichtet, praktizierende Katholiken verfolgt, eingesperrt, gefoltert und hingerichtet worden. Und auch in der Familie von Maria Ward ist das ja häufig passiert. Ihre eigene Großmutter ist viele Jahre im Kerker gewesen. Wir kommen ja langsam schon in die Gegenreformation hinein: Die katholische Kirche hat auch versucht, dagegen zu wirken, es gab sozusagen eine Kirche im Untergrund. Das hat auch sehr viel mit den Jesuiten zu tun, die da eingesickert sind. Und wenn eine Realpolitikerin wie Elisabeth das verhindern will, dann geht sie schon ziemlich rigoros vor."
    Die Familie Ward gehörte zu einem geheimen Netzwerk gläubiger Katholiken, die "undercover" agieren, heimlich die Messe feiern, was hochriskant war. Sie versteckten Priester auf ihren Landgütern und Herrensitzen in den sogenannten "Priestholes", also geheimen, meist in die Holzpaneele der Wände eingelassenen Kammern.
    1605 versucht dann eine Gruppe katholischer Verschwörer, König Jakob I., den Nachfolger Elisabeths, und sein Parlament in die Luft zu sprengen. Zwei der "Pulververschwörungs"-Aufrührer sind enge Verwandte Mary Wards. Doch das Attentat misslingt.
    "Das hat dann wiederum zu einer Verschärfung geführt, die verbliebenen Katholiken sind zu einem antipäpstlichen Treueid gezwungen worden. Also, es hat eigentlich langsam eskaliert. In dieser Zeit geschah ihre große Konversion, sich von der Welt abzuwenden."
    Sie reist 1606 nach St. Omer in Flandern, um dort als Laienschwester in ein Klarissenkloster einzutreten, das sie aber bald enttäuscht wieder verlässt.
    Papst Paul V. erlaubt ihr dann – zunächst – Schulen zu gründen: in Lüttich, Köln und Trier; in Rom, Neapel und Perugia kommen bald weitere hinzu. Doch die päpstliche Gunst währt nicht lange. Nachdem 1623 Urban VIII. den Stuhl Petri bestiegen hat, gärt und brodelt es hinter den Kulissen gegen Mary Ward und ihre "Galloping Nuns“ – ihre "herumstreunenden Nonnen".
    "Nun müssen wir uns klarmachen, wir sind im 30jährigen Krieg. Das ist genau die Zeit, in der Friedrich Spee, der Jesuit gegen diese vielen Hexendenunziationen in Deutschland anschreibt und ankämpft. Wir sind auf dem Höhepunkt des Religionskrieges, der gegenseitigen Verdächtigungen. Da kann irgendeine banale oder missverständliche Aussage eine Überreaktion, ein Verfahren nach sich ziehen."
    Der lange Arm der Inquisition erreicht sie in München, wo sie denunziert, gefangengenommen und eingekerkert wird. Als neun Wochen später der Befehl zu ihrer Freilassung aus Rom eintrifft, liegt ihr Lebenswerk in Trümmern.
    Und doch bleiben ihre Visionen lebendig. 1703 erkennt der Vatikan Mary Wards Gemeinschaft offiziell an; aber erst 1909, unter Papst Pius X. wird sie als Gründerin des Ordens der "Englischen Fräulein" anerkannt, ihr Lebenswerk gewürdigt – 264 Jahre nach ihrem Tod.
    Mary Ward war 1639 nach England zurückgekehrt und hatte sich im heimatlichen Yorkshire niedergelassen. Sie ist dann am 30. Januar 1645 gestorben und wurde auf dem kleinen Friedhof an der Dorfkirche von Osbaldwick begraben. Ihr Grabstein mit dem eingemeißelten Grabspruch ist dort noch heute zu sehen:
    "To love the poor, persevere in the same, live, die and rise with them, was all the aim of Mary Ward, who lived 60 years and eight days."
    "Die Armen lieben. In dieser Liebe verharren, mit ihnen leben, sterben und auferstehen – das war alles, was Mary Ward erstrebte, die 60 Jahre und acht Tage lebte."