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"Die Wissenschaft ist eindeutig: Hausaufgaben sind Quatsch"

Der Journalist Armin Himmelrath hat sich mit dem Nutzen von Hausaufgaben befasst. Sein Ergebnis: Sie bringen nichts und sind deshalb Zeitverschwendung. Er forderte im DLF stattdessen selbstständige Lernphasen für Kinder im schulischen Umfeld. Der Widerstand gegen die Abschaffung von Hausaufgaben sei aber groß.

Armin Himmelrath im Gespräch mit Mario Dobovisek | 21.12.2015
    Ein Junge sitzt an seinen Hausaufgaben.
    Hausaufgaben bringen nichts, sagt Armin Himmelrath. (picture alliance / dpa / Thomas Eisenhuth)
    Himmelrath betonte, seit mehr als 500 Jahren gebe es Hausaufgaben im deutschen Schulsystem. Bisher gebe es keine wissenschaftliche Studie, die die Wirksamkeit dieser Lernmethode belege. Die überwiegende Zahl komme dagegen zu dem Ergebnis: "Sie bringen nichts, sie sind pädagogischer Unsinn und sind so gesehen Zeitverschwendung."
    Weil sie aber im kollektiven Gedächtnis der Menschen so fest verankert seien, halte man daran fest. "Es gibt einen großen Teil von Menschen, die es ganz schwer finden zu akzeptieren, dass Hausaufgaben vorne und hinten nicht funktionieren", sagte der Autor. Er plädierte stattdessen für Schulaufgaben - also Zeiten, in denen Kinder im schulischen Umfeld selbstständig lernen könnten. Denn das Lernen zuhause sei es ein Zufallsprodukt - je nachdem, ob es beispielsweise Hilfe der Eltern gebe oder nicht.

    Das Interview in voller Länge:
    Mario Dobovisek: Hausaufgaben als Ausgleich für den in der Schule nicht durchgenommenen Stoff - der Journalist und Autor Armin Himmelrath hat über Sinn und Unsinn von Hausaufgaben ein Buch geschrieben mit dem deutlich ausfallenden Titel "Hausaufgaben - Nein Danke!" Warum lehnen Sie Hausaufgaben ab, Herr Himmelrath?
    Armin Himmelrath: Es gibt Hausaufgaben seit mehr als 500 Jahren im deutschen Schulsystem. Man findet Schulordnungen von 1450, 1480 herum, in denen schon über die Privatarbeit, so hieß das damals, räsoniert wird und in der einfach davon ausgegangen wird, dass das zusätzliche Lernen zuhause etwas bringt. Wenn man sich dann die Wissenschaftler anschaut, die sich mit dem Thema beschäftigt haben in den vergangenen etwas mehr als 130 Jahren, dann stellt man fest: Es gibt zwar viele Studien zu Hausaufgaben, aber es gibt keine Studie, die wirklich die Wirksamkeit von Hausaufgaben belegt. Ich habe dann einfach weiter nachgeforscht, gesucht, auch international geschaut. Es gibt wirklich ganz, ganz wenig dünne Zusammenhänge, die manchmal hergestellt werden zwischen den Hausaufgaben und dem Lernerfolg. Aber die wirklich überwiegende Zahl der Studien und der wissenschaftlichen Auswertungen sagt, Hausaufgaben bringen nichts, sie sind pädagogischer Unsinn und sie sind so gesehen Zeitverschwendung.
    "Im kollektiven Bewusstsein tief verankert"
    Dobovisek: Warum halten dann die Schulen daran fest?
    Himmelrath: Das ist eines der großen Mysterien der Hausaufgaben-Thematik. Ich erkläre mir das so, dass Hausaufgaben einfach immer schon dazugehörten und sie gewissermaßen im kollektiven Bewusstsein so tief verankert sind, dass jeder denkt, ja, das muss einfach so sein. Und zunächst mal ist die Überlegung ja auch nicht ganz falsch oder wahrscheinlich sehr naheliegend, wenn man sagt, ein bisschen mehr zusätzliche Lernzeit wird auch mehr zusätzlichen Lernerfolg bringen. Ich habe das selber auch immer so gedacht und das eigentlich nie hinterfragt, dann irgendwann in der Beschäftigung mit dem Thema als Bildungsjournalist festgestellt, so einfach ist es offenbar nicht. Und wenn man sich dann wirklich genauer das anschaut und auch Studien anschaut, wo Kinder, die mehrere Jahre keine Hausaufgaben hatten, mit welchen verglichen wurden, die mehrere Jahre Hausaufgaben machen mussten, dann stellt man fest, es gibt hinterher keine Lernunterschiede. Der einzige Unterschied ist: Die Kinder ohne Hausaufgaben waren glücklicher.
    Dobovisek: Trifft das auch auf das sich zuhause Hinsetzen zu, auf das Lernen, auf das klassische Lernen, das Wiederholen?
    Himmelrath: Ich glaube, es geht vor allem um dieses Thema und diese Art von Lernen, um dieses Hinsetzen und im Grunde unter Zwang bestimmte Dinge sich aneignen zu sollen. Das ist natürlich auch vom pädagogischen Aspekt her eigentlich totaler Quatsch, wenn man denkt, dass man jemanden mit Strafe bedroht und er dann besser lernt. Man lernt natürlich auch alleine und ich bin auch gar nicht gegen eigenständige Lernphasen und eigenständige Lernoptionen, aber sie müssen entsprechend motiviert sein, aus so einer intrinsischen Motivation herauskommen. Dann funktioniert das. Und das ist in der Regel eben nicht zuhause hinsetzen mit der Maßgabe, bis morgen lernst du 40 neue Vokabeln, sonst gibt es eine Strafe oder eine schlechte Note.
    "Die Wissenschaft ist leider sehr eindeutig"
    Dobovisek: Sie haben, wir könnten es auch so sagen, eine Streitschrift gegen die Hausaufgabe veröffentlicht. Wie fallen da die ersten Reaktionen aus, vor allem von den Lehrern?
    Himmelrath: Das ist ganz interessant. Es gibt relativ viel Zustimmung. Es gibt aber auch einen großen Teil von Menschen, die das offenbar ablehnen und die es ganz schwer finden zu akzeptieren, zu hören, dass das Instrument, was sie einfach als gesetzt ansehen fürs Bildungssystem, nämlich diese Hausaufgaben und die Delegation von Arbeit in den häuslichen Rahmen und ins häusliche Umfeld hinein, dass dieses Instrument vorne und hinten nicht funktioniert. Und sie fühlen sich da offenbar angegriffen, vielleicht auch in ihrer pädagogischen Ehre ein bisschen gekränkt, weil sie das einfach immer schon machen, ohne es zu hinterfragen. Die Wissenschaft ist da leider sehr eindeutig: Hausaufgaben sind Quatsch!
    Dobovisek: Es gibt ja immer mehr Ganztagsschulen in Deutschland. Das heißt, die Kinder gehen dort hin, die lernen dort, machen dort auch tatsächlich ihre Hausaufgaben, kommen dann aber ohne Hefter wieder mit nach Hause. Welche Möglichkeiten haben dann Eltern überhaupt noch, ohne die Hausaufgaben zum Beispiel zuhause sich anzuschauen, zu sehen, was machen meine Kinder eigentlich den ganzen Tag in der Schule?
    Himmelrath: Na ja, sie müssen ja nicht unbedingt als verlängerter Arm der Lehrerinnen und Lehrer zuhause sitzen und darüber wachen, dass bestimmte Aufgaben auch erledigt werden. Das ist ja nicht der Einblick in Schule, wie ich ihn mir zum Beispiel vorstelle. Ich kann die Kinder einfach fragen, wie war's, was habt ihr gemacht. Ich kann mir natürlich auch diese Aufgaben zeigen lassen. In dem Fall würde ich übrigens von Schulaufgaben sprechen, weil die Aufgaben wirklich in einem professionell begleiteten Rahmen zurückgeholt werden. Wenn ich sie ihnen nach Hause aufgebe, dann ist es ja wirklich Zufall, in welches Umfeld das geht. Das kann von im schlimmsten Fall analphabetischen Eltern bis hin zu studierten Akademiker-Eltern sein und diese Riesen-Spannbreite entscheidet dann möglicherweise auch darüber, wie viel Unterstützung und Hilfe das Kind bekommt. Das kann es ja wohl nicht sein, dass Lehrer ihre pädagogische, professionelle Verantwortung dermaßen abgeben. Und wenn man dann hergeht und als Eltern sagt, okay, mein Kind ist in einer Ganztagsschule, dort werden solche Schulaufgaben gemacht, dort gibt es Lernzeiten, in denen Kinder selbstständig etwas tun können, dann kann ich mir das natürlich auch erzählen lassen. Meine Erfahrung ist nicht die, dass Kinder gar nichts sagen, sondern wenn man nachfragt und Interesse hat, dass sie das natürlich schon tun.
    "Das ist eigentlich schon nicht mehr up to date"
    Dobovisek: Es gab schon immer Mentalität, haben Sie angesprochen. Das finde ich einen ganz wichtigen Punkt. Wie kommen wir aus diesem Teufelskreis heraus, um auch grundsätzlich an das Schulsystem heranzugehen, an das Lernen, an das Lernen in der Schule, an das Lernen außerhalb der Schule?
    Himmelrath: Zunächst mal bin ich zuversichtlich, einfach deshalb, weil es ja andere "pädagogische Instrumente" gab, bei denen es auch gelungen ist. Jahrhundertelang wurde mit dem Rohrstock erzogen, auch in der Schule, und irgendwann hat man festgestellt, es gehörte zwar dazu, aber das geht so nicht mehr. Und irgendwann muss man natürlich auch bei den Hausaufgaben mal zu dieser Erkenntnis kommen. Die Chance, glaube ich, besteht darin, dass wir eine Diskussion aufgreifen, die im Grunde in der Schulpädagogik seit zehn, 15 Jahren sehr stark schon geführt wird. Da redet man von der Individualisierung des Lernens. Es ist eigentlich schon nicht mehr up to date zu sagen, ich gebe meinen 25 oder 30 Kindern in der Klasse alle zur selben Zeit die gleichen Hausaufgaben auf. Das funktioniert eigentlich nicht, weil Kinder ganz unterschiedliche Lernstrukturen haben, ein ganz unterschiedliches Lerntempo an den Tag legen, und da müssen die Lehrerinnen und Lehrer ohnehin drauf eingehen. Es wird jedenfalls von ihnen verlangt, das geht auch immer mehr in die Erlasse hinein. Und irgendwann erledigt sich das dann mit den Hausaufgaben, die man wie gesagt unter Strafandrohung dort vergibt. Irgendwann wird es so sein, dass Kinder - das ist häufig in Grundschulen schon der Fall - nach Lehrplan, nach einem Wochenplan arbeiten. Sie können selber sich ein bisschen einteilen, wann sie welche Aufgaben machen. Und der nächste konsequente Schritt wäre dann zu sagen, wir richten auch im Rahmen der Schule und gerade, wenn es um Ganztagsschule geht, solche Zeiten ein, in denen Kinder selbstständig lernen können. Sie können das alleine tun, sie können das mit anderen Mitschülern machen, sie können sich die Hilfe der Lehrerinnen und Lehrer dazu holen, wenn das nötig ist, aber es findet im schulischen Umfeld statt, da wo solche Hilfe auch angeboten wird, und nicht zuhause, wo es dann ein Zufallsprodukt ist, ob es Hilfe gibt oder nicht bei Problemen.
    Auch Eltern müssen Einsicht zeigen
    Dobovisek: Wie können Eltern das sinnvoll begleiten?
    Himmelrath: Eltern sollten zunächst mal auch selber schauen, dass sie ihre eigene Skepsis gegenüber einer hausaufgabenfreien Schule wieder ablegen. Es gab mal in der Schweiz einen Kanton, der hat in den 90er-Jahren für vier Jahre die Hausaufgaben komplett abgeschafft. Die wurden dann wieder eingeführt auf Druck der Eltern, weil dort so eine Meinung vorherrschte, das kann nicht sein, dass es gute Schule gibt und gute Lernerfolge ohne Hausaufgaben. Doch, es kann sein. Das sagt uns die Wissenschaft in ganz, ganz vielen Ausprägungen. Deshalb müssten Eltern einfach sehen, dass sie mit der Schule zusammen, mit den Lehrerinnen und Lehrern darüber reden, wie Schule ohne Hausaufgaben, aber sehr wohl mit selbstständigen Lernphasen aussehen kann.
    Dobovisek: Der Bildungsjournalist Armin Himmelrath sagt "Hausaufgaben - Nein Danke!" So lautet auch der Titel seines Buches, das gerade im Hep-Verlag erschienen ist. Vielen Dank für das Gespräch.
    Himmelrath: Sehr gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.