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Bildung für die Elite der SPD

Die am 15. November 1906 eröffnete zentrale Parteischule der SPD hatte den Charakter einer Elite-Einrichtung. 8 Professoren kamen auf maximal 30 Schüler. Dass die Seele dieser wahrhaft beeindruckenden Schule die wegen ihres pädagogischen Talents allseits gepriesene Rosa Luxemburg war, ist kaum bekannt.

Von Rolf Wiggershaus | 15.11.2006
    "Die Parteischule wird morgen im Schullokal, Lindenstraße 3, Hof 5, eröffnet werden. Der Unterricht wird in der Regel vormittags von 8 bis 1 Uhr stattfinden. Das Lehrerkollegium setzt sich aus folgenden Genossen zusammen, die in den daneben gesetzten Disziplinen Unterricht erteilen:
    Dr. Hugo Heinemann: Strafrecht, Strafprozeß und Strafvollzug.
    Dr. Rudolf Hilferding: Wirtschaftsgeschichte, Nationalökonomie."

    Es folgten noch sechs weitere Genossen in der Ankündigung, mit der im "Vorwärts", dem Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands, auf die Eröffnung der zentralen Parteischule in Berlin am folgenden Tag, dem 15. November 1906, hingewiesen wurde. Immerhin fünf der insgesamt acht lehrenden Genossen hatten den Doktortitel. Das war nach Ansicht des Frankfurter Politologen, Marxismus-Experten und einstigen Willy-Brandt-Beraters Iring Fetscher kein Zufall:

    "Es waren gebildete Leute aus dem Bürgertum, die sich dieser Arbeit zur Verfügung gestellt haben, und das war für die Sozialdemokratie charakteristisch. Es gibt Ähnliches weder für die Konservative Partei noch für das Zentrum. Die Sozialdemokratie legte Wert darauf, auf diesem hohen Niveau ihre Funktionäre und ihre führenden Köpfe zu schulen."

    Sowohl die Lehr- wie die Lernbedingungen waren in der Tat erstaunlich und unterschieden sich deutlich von den bis dahin entstandenen Bildungseinrichtungen sowohl der sozialdemokratischen Partei wie der Gewerkschaften. Jeweils im Winterhalbjahr wurden von mehr als einem halben Dutzend Lehrern maximal 30 Genossen und Genossinnen unterrichtet, die von den Provinzialorganisationen vorgeschlagen und von Parteivorstand und Bildungsausschuss ausgewählt wurden. Bei seiner Ansprache zur Eröffnung gab der Parteivorsitzende August Bebel laut Bericht des "Vorwärts" als Ziel des neuen und neuartigen Instituts an:

    "Ihre Aufgabe sei, einer Reihe tätiger und geistig strebsamer Genossen die Grundlage derjenigen sozialen und politischen Erkenntnis zu übermitteln, die bei dem so mächtig in die Breite gegangenen Parteileben doppelt notwendig sei. Die Parteiinstanzen, welche die Unterrichtskurse geschaffen, gäben sich nicht der Illusion hin, nach sechs Monaten die Teilnehmer (…) als völlig ausgebildete Kräfte entlassen zu können (…) Aber durch das Legen eines soliden und methodischen Fundaments ihrer Kenntnisse würde ihnen doch die Möglichkeit der Fortbildung außerordentlich erleichtert werden."

    Von der Parteischule erhoffte Bebel sich, dass aus ihr standhafte Kämpfer gegen "Reformismus" und "Revisionismus" hervorgehen würden - gegen Strömungen innerhalb der Partei also, die marxistische Lehren vom bevorstehenden Zusammenbruch des Kapitalismus und vom sich zuspitzenden Klassenkampf für falsch und unproduktiv hielten und auf parlamentarische Tätigkeit und Reformen als einzige erfolgversprechende Praxis setzten.

    Dass die von Bebel erhoffte Wirkung der Parteischule nicht zu Indoktrination führte - dafür stand am überzeugendsten die 1907 hinzugekommene einzige Frau im Lehrerkollegium ein: Rosa Luxemburg. Eine Vermittlung der "Marxschen Lehre des wissenschaftlichen Sozialismus" konnte sie sich nur durch eine Lehrmethode vorstellen, bei der die freie Aussprache zwischen Schüler und Lehrer im Mittelpunkt steht und der Unterricht einhergeht mit gleichzeitiger selbstständiger Arbeit und Lektüre.

    Diese Bildungsstätte, an der im Laufe der Winterhalbjahre ungefähr 200 Parteiagitatoren von Rosa Luxemburg mit der Mahnung entlassen wurden, "mit allen Problemen Fangball zu spielen", existierte vom Winter 1906/07 bis zum Ersten Weltkrieg. Sie krönte in gewisser Weise die Schaffung einer proletarischen Subkultur oder Parallelgesellschaft in einer Zeit, da auch nach dem Fall des Sozialistengesetzes Arbeiterklasse und Arbeiterbewegung von den anderen sozialen Gruppen und dem Wilhelminischen Staat so weit wie möglich unter Quarantäne gestellt wurden und daraufhin ihr eigenes dichtes Netzwerk von Organisationen aufbauten:

    Fetscher: "Eine von der bürgerlichen Gesellschaft abgegrenzte Subkultur, von dem Feuerbestattungsverein bis eben hin zu dieser Parteischule. Das war so eine Art Pyramide mit der Parteischule an der Spitze."

    Als die Mehrheit der Sozialdemokratie sich im Ersten Weltkrieg auf den Burgfrieden einließ und erst recht, als sie in der Weimarer Republik mitregierte, sorgte der entschiedene Pragmatismus dafür, dass eine Neugründung der Parteischule immer wieder vertagt wurde. Erst 1986 wurde sie durch Willy Brandt und Peter Glotz Wirklichkeit. Heute offeriert die im Willy-Brandt-Haus nicht weit vom Ort ihrer ungewöhnlichen Anfänge untergebrachte Parteischule eine praxisnahe betriebliche Weiterbildung und innerparteiliche Qualifizierung.