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Bildung und Demokratie
Schülern auf Augenhöhe begegnen

In einigen Schulen in Deutschland lernen Kinder schon früh, eigenverantwortlich über ihren Lernplan und die Gestaltung des Schulalltags zu entscheiden. Bei so viel Freiheit bleibt den Schülern nur noch eine einzige Pflicht.

Von Susanne Arlt | 17.11.2015
    Kinder stehen in einem Klassenraum und heben ihre Arme, an den Wänden bunte Bilder.
    Wann wird Pause gemacht? Wann ist Konzentration angesagt? In vielen deutschen Schulen bestimmen die Kinder über ihren Tagesablauf. (dpa/picture alliance/Uli Deck)
    Keine Noten, kein Stundenplan, keine Prüfungen. Alltag an der Freien Schule Leipzig - von dem Schüler an staatlichen Schulen vermutlich nur träumen können. Es gibt nicht viele Schulen in Deutschland, in denen die Jugendlichen gleichberechtigt mit ihren Lehrern mitentscheiden können. Zum Beispiel darüber, welcher Pädagoge neu eingestellt wird. Oder ob es okay sei, auf den Schulcomputern Spiele spielen zu dürfen, sagt die 15-jährige Nele Schauer. An der Freien Schule Leipzig wird darüber demokratisch entschieden, auch wenn das Ergebnis nicht jedem Lehrer gefällt.
    "Die Lehrer können ihre Meinung sagen, nee ich finde das nicht gut oder ja ich finde das gut. Die Kinder können ihre Meinung sagen, dann hat jeder eine Stimme und dann wird das abgestimmt und das ist halt praktisch Demokratie an unserer Schule."
    Alle wichtigen Angelegenheiten werden von der Schulgemeinschaft demokratisch beraten und entschieden. Ein gewähltes Schülerteam leitet diese Schulversammlung, die zwei Mal in der Woche tagt. Sehr frei dürfen die 180 Schüler auch über ihr Lernpensum bestimmen. Nur Anwesenheit ist Pflicht. Prüfungsvorbereitungen für den Realabschluss gibt es erst ab der neunten Klasse. Aber verführt so viel Freiheit nicht zu Müßiggang? Cosima Faber schüttelt zögerlich den Kopf. Die 13-Jährige besuchte zuerst eine staatliche Schule, kam dort aber nicht mit der strengen Lehrerin zurecht.
    "Also klar verführt das dich in den ersten drei Jahren schon manchmal, gerade auch, weil du da noch nicht so mit dem Stundenplan verbunden bist, sondern in einer Gruppe bist, wo du deine zwei Lehrer ansprechen kannst. Aber dann ab irgendeiner Klasse interessiert dich das auch. Ich gehe in die Schule, weil ich mich dann so drauf freue, weil mich das interessiert."
    Schülermitbestimmung an vielen deutschen Schulen selbstverständlich
    Fürs Leben lernen - aus Interesse und freiem Willen. Das autonome Entscheiden und Handeln stehe bei der Freien Schule Leipzig im Vordergrund, lobte die Deutsche Gesellschaft für Demokratiepädagogik. Ausgezeichnet wurde auch die Neckar-Grundschule in Mannheim. Neben Dortmund und Duisburg zählt auch Mannheim zu den Großstädten, die eine auffällig starke Zuwanderung aus Südosteuropa hat. Der Migrantenanteil der Schule liegt bei über 90 Prozent. 34 Nationalitäten unter einem Dach. Dass der Zusammenhalt so gut klappt, liegt vermutlich am Konzept der Neckarschule. Von Anfang lernen die Kinder, was Demokratie bedeutet. Dazu gehöre natürlich auch Verantwortung, sagt Lehrerin Susanne Vierneisel.
    Die Kinder haben jeder eine Arbeit in der Klasse, Dienste, für die sie sich rechtfertigen. Es gibt jede Woche einen Klassenrat, bei dem Gedanken und eigene Ideen eingebracht werden können und die Kinder ihre Selbstwirksamkeit spüren, was ja ganz wichtig ist bei der Demokratieerziehung, überhaupt hinter der Schule zu stehen."
    Eine demokratische Schule muss sich öffnen – auch gegenüber den Eltern, sagt Direktorin Brigitte Bauder-Zutavern. Darum gibt es ein Familien-Klassenzimmer. Dort können Eltern gemeinsam mit ihren Kindern den Schultag gestalten. Im Elterncafé tauschen sich Väter und Mütter aus oder pauken selber Deutsch. Schulsozialarbeiter unterstützen sie, besprechen mit ihnen Themen wie Erziehung und Gesundheit.
    "Wir können nicht davon ausgehen, dass irgendeine bürgerliche Mitte das demokratisch schon richten wird zuhause. Sondern wir brauchen eine Plattform, in dem die demokratischen Werte innerhalb der Schule, innerhalb der Klasse und mit den Eltern kommuniziert wird. Also ich glaube, wir können gar nicht früh genug damit anfangen, mit diesen Strukturen zu beginnen."
    An vielen Schulen sei es inzwischen selbstverständlich, dass es Klassenräte und Vollversammlungen gebe, sagt Ulrike Kahn, Geschäftsführerin von der Deutschen Gesellschaft für Demokratiepädagogik. Aber so basisdemokratisch wie in Leipzig gehe es leider nur selten zu. Sie wünscht sich mehr Mut vom Staat und der Lehrerschaft. Das Beispiel Leipzig zeige: Am Ende siegt der gesunde Menschenverstand. Die Spiele auf dem Schulcomputer wurden wieder untersagt. Diese Entscheidung fiel natürlich ganz basisdemokratisch.