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Bildung und Ehrgeiz sind die wirksamsten Verhütungsmittel

Teenagerschwangerschaften sind in Großbritannien ein permanentes Problem - vor allem in den unteren Schichten: 25 Prozent der schwangeren Teenager unter 16 Jahren sind im Heim aufgewachsen. Nachdem Werbekampagnen scheiterten, setzt die britische Regierung nun auf einen leichteren Zugang zu Verhütungsmittel. Kritiker raten hingegen dazu, den Kindern eine Perspektive zu geben.

Von Ruth Rach | 08.04.2009
    Brenda hat ein Baby, sie ist 12 und kann kaum ihren Namen schreiben, singt der amerikanische Rapper Tupac Shakur. Eine moderne Moritat, die zum Leidwesen von Politikern und Eltern auch britische Realitäten widerspiegelt.

    Lee war 13, seine Freundin war zwölf. Kaum sei er mit ihr ausgegangen, schon sei sie schwanger geworden, erzählt er. Über Verhütung habe er nicht nachgedacht.

    Ein Extrem-, aber kein Sonderfall. In der britischen Presse sind in regelmäßigen Abständen Schlagzeilen über elf-, zwölfjährige Mütter und Väter zu finden.

    "Wenn du ein gewisses Alter erreicht hast, musst du mit jemand geschlafen haben, sonst wirst du von den anderen nicht ernst genommen…"

    …, sagt Lees Freund Tom. Er ist gerade 14.

    Seit Jahren versucht es die britische Regierung immer wieder mit neuen Kampagnen, um die Zahl der Teenager-Schwangerschaften zu reduzieren. "Widersteht dem Gruppendruck, es ist ok, Jungfrau zu bleiben" - lautete eine Parole, die - wen wundert's? -nicht ankam.

    Inzwischen setzen die Behörden lieber auf Verhütung: auf noch leichteren Zugang zu Pille, zu kostenlosen Kondomen, zu Implantaten mit Langzeitwirkung. Neuerdings wird auch der Vorschlag diskutiert, Werbespots von Schwangerschafts- und Abtreibungsberatungsdiensten in Rundfunk und Fernsehen auszustrahlen. Gegner erklären, damit würden britische Teenager erst richtig zu ungehemmten Sex ermutigt.

    Scheinheiliger Unsinn, sagt die junge Medienstudentin Jessica:

    "Sex ist ohnehin allgegenwärtig: im Film, im Fernsehen, in der Werbung, im Internet, in Songs - und in den sogenannten Reality Shows wie Big Brother."

    Hinzu kommt, dass sich Promis und Filmstars ausgesprochen gerne mit süßen Babys ablichten lassen - Designerpüppchen, stets mit den neuesten Accessoires ausgestattet. Das wecke unrealistische Wünsche und Vorstellungen, gerade bei Teenagern die nicht wüssten, was sie mit ihrem Leben anfangen sollen, sagt die Sozialarbeiterin Hilary Panack. Schwangere Mittelschichts-Teenager treiben zumeist ab. Die meisten Baby-Mütter stammen aus den ärmsten gesellschaftlichen Milieus Großbritanniens:

    "Sie haben wenig Selbstwertgefühl, kommen mit der Schule nicht klar, fühlen sich ungeliebt, und erwarten nichts von der Zukunft. Oft werden die Mädchen kurz vor der Mittleren Reife schwanger und gehen ohne Abschluss von der Schule ab. Viele kommen aus Familien, die schon in der dritten Generation arbeitslos und daran gewöhnt sind, vom Staat versorgt zu werden."

    Von einem Baby erhoffen sich die jungen Mütter eine neue Identität, einen Spielkameraden, jemanden, der sie bedingungslos liebt, eine nette Sozialwohnung - und ein gesichertes Einkommen, in Form staatlicher Hilfe.

    Hilary Panack hat Kurse mit Modellcharakter entwickelt, bei denen junge Mütter Schulklassen aus erster Hand erzählen, wie sich ihr Leben mit Baby tatsächlich gestaltet. Die meisten Schüler seien zutiefst geschockt, erzählt Hilary Panack. Ein äußerst heilsamer Effekt.

    Inzwischen gilt Sexualkunde auch in der Primärschule als Pflichtfach, das sei gut, sagt Hilary Panack. Aber: Das Thema Aufklärung müsse nicht nur in der Schule, sondern auch zu hause ganz anders behandelt werden:

    "Wir flüchten uns in biologische Fakten, anstatt über Beziehungen und Verantwortlichkeiten nachzudenken. Für viele Teenager und Eltern ist ein ehrliches Gespräch über Gefühle fast noch peinlicher als über Sex."

    Vor neun Jahren setzte sich die britische Labour Regierung ein ehrgeiziges Ziel: Bis zum Jahr 2012 soll die Zahl der Teenager Schwangerschaften um die Hälfte reduziert werden. Ziemlich unrealistisch, meinen Kritiker. Inzwischen gab Labour eine weiteres Ziel bekannt: das schulpflichtige Alter soll bis zum Jahr 2015 auf 18 erhöht werden. Eigentlich dient die Maßnahme der Verbesserung des allgemeinen Bildungsniveaus. Aber vielleicht führt sie ja auch dazu, dass weniger Teenager schwanger werden. Nicht umsonst heißt es, Bildung und Ehrgeiz seien die wirksamsten Verhütungsmittel.