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Bildung und Integration
Erst Deutsch und dann die anderen Fächer?

In Frankfurt findet eine öffentliche Vorlesungsreihe zu dem Thema Migration-Integration-Bildungschancen statt. Die Reihe zieht vor allem Multiplikatoren der Bildungsarbeit an. Gemeinsam mit Professoren und Professorinnen diskutieren sie, ob Deutsch eine Grundvoraussetzung für alle anderen Schulfächer sein muss.

Von Anke Petermann | 13.01.2017
    Die Universität in Frankfurt am Main
    Zur Vorlesung an der Universität Frankfurt am Main kam kein Freizeit-Publikum, sondern eher beruflich und ehrenamtlich engagierte Multiplikatoren. (picture-alliance / dpa / Frank Rumpenhorst)
    "Ist Deutsch der Schlüssel zum Bildungserfolg", diese Frage stößt in der öffentlichen Vorlesungsreihe auf die größte Resonanz, mit rund 50 Teilnehmern, vorwiegend weiblich. Ulrike Keller ist allein da, Bea Singer sitzt im Kreis von einem Dutzend Zuhörerinnen, alle von der Fachschule für Sozialwesen:
    "Ich bin Bildungskoordinatorin vom Kreis Offenbach. Wir versuchen gerade im Kreis Offenbach, die Sprachangebote für neu Zugewanderte zu koordinieren, und ich habe jetzt praktisch ein berufliches Interesse für diesen Vortrag hier."
    "Also, wir sind alle angehende Erzieher, und in unserem Beruf ist es eben auch wichtig, Kinder zu betreuen mit Migrationshintergrund und wie sich die Sprache entwickelt. Da sind wir jetzt auf diese Vortragsreihe gestoßen und sind gespannt, was wir jetzt erfahren können."
    Ein sehr interessiertes Publikum
    Kein Freizeit-Publikum also, sondern eher beruflich und ehrenamtlich engagierte Multiplikatoren im Bildungssektor, auch aus der Flüchtlingsarbeit. Sie saugen förmlich auf, was Dominique Rauch, Linguistin, Psychologin und Junior-Professorin der Erziehungswissenschaften ihnen an Forschungsergebnissen und offenen Fragen präsentiert. Zugewanderte Schüler schneiden insgesamt schlechter ab, konstatiert Rauch. Selbst um in Mathe mitzukommen, müssten sie in Deutschland erstmal die Zweitsprache beherrschen. Ulrike Keller will wissen:
    "Liegt das jetzt daran, dass die Deutschen so ein Faible für Textaufgaben haben, oder ist das unabhängig von Textaufgaben?"
    Sie sind der kleinere Teil des Problems, antwortet die Bildungsforscherin. Ihrer Ansicht nach wird Sprache im deutschen Bildungssystem zu wichtig genommen. In erfahreneren Einwanderungsländern wie in den USA, so beobachtet sie, gleiten Schüler anderer Herkunft sanft von ihrer Muttersprache über die Mehrsprachigkeit tiefer in die Zweitsprache. Hierzulande werden sie dagegen in jedem Fach mit der Forderung konfrontiert, Inhalte auf Deutsch zu verstehen, ohne dass sie dazu befähigt würden. Die Familien verantwortlich zu machen, führe nicht weiter, meint Rauch:
    "Ich glaube, der einzige Weg ist, dass das Bildungssystem hier sozusagen mehr Verantwortung übernimmt, also dass Lehrerinnen, Erzieherinnen dafür ein Bewusstsein haben und dass es auch Raum und Zeit und Geld dafür gibt, dass Sprache vorbereitet werden muss, wenn sie denn so wichtig ist."
    Zusätzliche Förderung nötig
    Weiterführende Schulen müssten begreifen, dass man den Nachwuchs äußerst heterogener Herkunft im Unterricht zusätzlich sprachlich fördern müsse. Die Grundschule leiste das längst. Wie sich das Bildungssystem am besten auf das neue Maß an Zuwanderungs-Vielfalt einstellt, ist noch nicht klar.
    "Und besonders spannend fand ich jetzt gerade die Diskussion, inwiefern sind so Intensivklassen für geflohene Kinder und Jugendliche sinnvoll. Inwiefern ist es sinnvoll, Kinder in der Grundschule, die geflohen sind, die keine Vorkenntnisse im Deutschen haben, direkt in die Grundschul-Klassen zu integrieren, oder müsste es da auch Intensivklassen vorher geben. Und das sind tatsächlich Fragen, die ja auch Forschungsfragen sind."
    Die letzte Vorlesung der Reihe befasst sich in der kommenden Woche damit, wie sich bildungsrelevante Fähigkeiten bei Kindern mit Deutsch als Zweitsprache diagnostizieren lassen.
    "Ja, ich glaube da werde ich auch noch mal kommen", sagt die angehende Erzieherin Bea Singer. Auch die Offenbacher Bildungskoordinatorin Ulrike Keller hat sich den Termin schon notiert. Anregend fand sie das Nachdenken über ein Bildungssystem, dass sprachlichen Mängeln gegenüber toleranter ist.
    "Das wäre wünschenswert, denn ich erlebe gerade, dass viele Geflüchtete eine Berufsausbildung machen – also die praktischen Fähigkeiten hätten, aber an der Berufsschule scheitern, weil die zu schwer ist. Und das ist eigentlich sehr, sehr schade, denn die Geflüchteten, die könnte man in Arbeit bringen."