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Bildungs- und Teilhabepaket
Zu wenig Informationen, viel zu komplizierte Anträge

Nachhilfe, Musikunterricht und Klassenfahrten - die Idee zum Bildungs- und Teilhabepaket klang gut: Kinder aus armen Familien sollten zusätzlich Geld bekommen, um besser am sozialen Leben teilhaben zu können. Doch das gut gemeinte Hilfspaket wird kaum in Anspruch genommen. Kritiker sprechen von einem Flop.

Von Philip Banse | 02.05.2017
    Bunte Figuren an einem Kinderspielplatz.
    Das Geld kommt nicht an – so lässt sich auch der offizielle Abschlussbericht des Sozialministeriums aus dem letzten Jahr lesen. (Imago / Chromorange)
    "Muss ich jetzt meinen Namen als Mutter und dann den des Kindes?"
    Nadine Reichel ist alleinerziehende Mutter eines Teenagers. Für Menschen wie sie wurde das Bildungs- und Teilhabepaket geschaffen. Reichel füllt den Antrag aus, weil ihre Tochter Geld braucht für Nachhilfe, Schulmaterial und Klassenfahrt.
    "Es ist eine schön gemeinte Sache, aber damit ist es nicht wirklich getan."
    Es fängt schon damit an, dass Nadine Reichel vom Amt mit diesem mehrseitigen Antrag allein gelassen wird:
    "Ich bin damit einverstanden, dass die Schule dem Sozialamt beziehungsweise dem Jobcenter das Vorliegen der Voraussetzungen bestätig und willige insoweit darin ein, dass die Schule dem Sozialamt auf Verlangen die entsprechenden personalbezogenen Daten – Zeugnisse, Klassenarbeit, sonstige Leistungsnachweise – zur Verfügung stellt."
    Lehrer müssen beim Ausfüllen der Anträge helfen
    Zu wenig Informationen, zu wenig Hilfe von den Behörden, viel zu komplizierte Anträge – deswegen erlebt Beate Heimann, Deutschlehrerin an der Willy-Brandt-Gesamtschule in Köln regelmäßig.
    "Dass die Kinder tatsächlich mit Blanko-Anträgen zu mir kommen, Hauptantrag, Zusatzfragebögen, den normalerweise die Eltern vorbereiten müssen, weil einfach die Sprache so bürokratisch formal ist, dass ich selbst Schwierigkeiten habe zum Teil, die Sprache zu verstehen."
    "Als das Bundesverfassungsgericht seinerzeit sagte, 2010, es ginge nicht an, dass insbesondere die besonderen Bedarfen von bedürftigen Kindern überhaupt keine Berücksichtigung finden bei Hartz IV, hieß es ja, oh ja, wir machen jetzt eine magnetische Chipkarte, so Frau von der Leyen damals, die kriegen alle Kinder und egal, wo sie hinkommen, in eine Volkshochschule, in eine Musikschule, in einen Sportverein, kann man sie einschieben und Magnetkarte lesen lassen und dann wird alles wunderbar, so fing das ja mal an", sagt der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, Ulrich Schneider.
    Die Idee des Bildungs- und Teilhabepakets klang gut: Kinder aus armen Familien, aus Familien also, die Hartz IV bekommen, Sozialhilfe oder andere Sozialleistungen, diese Kinder sollen zusätzlich Geld bekommen, um besser am soziale Leben teilhaben zu können. Etwa 100 Euro für Schulmaterial, zehn Euro für Musikunterricht, 150 Euro für die Klassenfahrt, Geld fürs Mittagessen in der Schule. Doch schon in den ersten Monaten nach Inkrafttreten traten erste Probleme auf und die damalige Bundessozialministerin Ursula von der Leyen musste einräumen:
    "Jetzt zeigt sich, das Bildungspaket, das ist richtige harte Knochenarbeit. Das passiert nicht über Nacht, nicht innerhalb von vier Wochen."
    "Man kann nur von einem Flop reden"
    Doch an den Kernproblemen von damals hat sich bis heute nichts Fundamentales geändert, sagt Ulrich Schneider vom Paritätischen Gesamtverband:
    "Es kommt nicht an. Es erreicht die Kinder nicht, und selbst wenn es sie erreicht, sind die Effekte so gering, dass man nur von einem Flop reden kann."
    Das Geld kommt nicht an – so lässt sich auch der offizielle Abschlussbericht des Sozialministeriums aus dem letzten Jahr lesen. Das Ministerium hatte Forscher untersuchen lassen, ob das Bildungs- und Teilhabepaket funktioniert. Die Forscher konnten nicht mal herausfinden, wie viele Menschen denn genau Geld aus dem Paket beantragt haben - zu unterschiedlich sind die Statistiken der Kommunen. Eine repräsentative Umfrage hat dann erbeben: Nur gut die Hälfte aller berechtigten Kinder haben wenigsten eine Leistung aus dem Paket beantragt, etwa Geld fürs Mittagessen. Für ein Viertel der berechtigten Kinder wurde aber nie ein Antrag gestellt – sprich 750.000 Kinder hätten Geld bekommen können, haben es aber nicht. Von den Hartz-IV-Beziehern hätten sogar nur 10 Prozent einen Antrag gestellt, berichtet die Westdeutsche Allgemeine Zeitung. Schuld an der durchwachsenen Bilanz, so der Abschlussbericht des Ministeriums, seien vor allem schlechte Information und viel zu viel Bürokratie.