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Bildungsökonom
"BAföG stärker an die Realitäten anpassen"

Der Bildungsökomom Dieter Dohmen hat die geplante BAföG-Reform kritisiert. Die vorgesehenen höheren Bedarfssätze würden schon jetzt nicht ausreichen, um die Preissteigerung aufzufangen, sagte er im Dlf. Vor allem die massiv gestiegenen Mietkosten schlügen bei den Studierenden voll durch.

Dieter Dohmen im Gespräch mit Manfred Götzke | 29.01.2019
    Studierende an der Universität zu Köln. Köln, 09.10.2017 | picture-alliance | Geisler-Fotopress | Verwendung weltweit
    Immer weniger Studierende beantragen BAföG (dpa / Geisler-Fotopress / picture-alliance )
    Manfred Götzke: Chancengerechtigkeitsgesetz, so nennen die Grünen in bester Franziska-Giffey-Manier das BAföG, um sogleich zu kritisieren, dass immer weniger von diesem Gesetz profitieren. Seit 2014 ist die Zahl der BAföG-Empfänger um 180.000 gesunken. Und das, obwohl noch nie so viele junge Leute studiert haben wie in diesem Semester. Warum? Weil die Eltern nach Maßstäben des Bundes zu viel verdienen - was je nach Stadt aber keineswegs heißt, dass die Eltern genug verdienen, damit es für ein Studium auch reicht. Morgen will das Bundeskabinett über eine BAföG-Reform entscheiden. Ob die reicht, um diesen und andere Missstände zu beheben, möchte ich mit dem Bildungsökonomen Dieter Dohmen besprechen. Herr Dohmen, lassen Sie uns erst mal über die Tatsache sprechen, dass immer weniger Leute BAföG bekommen. Man kann das natürlich auch so interpretieren: Durch die konjunkturelle Lage - nahezu Vollbeschäftigung - sind immer mehr Eltern in der Lage, ihren Kindern selbst das Studium zu finanzieren. Stimmt das?
    Dieter Dohmen: Schön wäre es, wenn dem so wäre. Natürlich ist dem nicht so. Wir wissen, dass ein erheblicher Teil derjenigen, die grundsätzlich berechtigt wären, BAföG zu bekommen, auf einen Antrag verzichten. Das sind zwischen 40 und 60 Prozent, also eine beträchtliche Zahl, und insofern hat das BAföG strukturelle Probleme.
    Götzke: Gut, aber die verzichten, die sind ja selber schuld daran.
    Dohmen: Na ja, es gibt ja eine ganze Reihe von Gründen, warum das nicht der Fall ist. Sei es, weil sie Angst vor dem Darlehen haben, sei es, weil sie glauben, dass sie keinen Anspruch haben. Also insofern ist die Informationslage sicherlich an vielen Stellen unzureichend und verbesserungsbedürftig. Aber trotz allem kann man ja nicht sagen, nur weil die Leute das nicht in Anspruch nehmen, sind sie selber schuld.
    Problem Elternfreibeträge
    Götzke: Das andere sind ja die Freibeträge, die zu einem Problem geworden sind, offensichtlich. Mit der Novelle sollen diese Freibeträge für die Eltern in mehreren Schritten um insgesamt 16 Prozent steigen. Würde das denn dazu führen, dass alle, die BAföG brauchen, auch BAföG kriegen oder kriegen könnten, potenziell?
    Dohmen: Weiterhin muss man sagen: nein. Der Rückgang ist eine Kombination aus unzureichender Erhöhung der Bedarfssätze und unzureichender Erhöhung der Elternfreibeträge. Das wird sich in den kommenden Jahren auch nicht wirklich ändern. Auch wenn die 16 Prozent sich relativ hoch anhört, kann man feststellen, dass jetzt bereits die Nominaleinkünfte in den letzten zwei Jahren um sieben bis acht Prozent gestiegen sind und damit schon über das Maß hinaus, was jetzt angehoben werden soll. Wie sich das in den kommenden zwei Jahren weiterentwickeln wird, kann im Moment niemand sagen. Es könnte tatsächlich zum ersten Mal seit Langem eine substanzielle Verbesserung geben, was die Elternfreibeträge angeht. Das bleibt aber abzuwarten. Wenn ich mir die Gehaltsforderungen in verschiedenen Tarifbereichen angucke, dann habe ich meine Zweifel, dass es dann in zwei Jahren tatsächlich 16 Prozent im positiven Sinne sind, sprich, dass die Nominallöhne sich weniger entwickelt haben.
    Götzke: Aber wenn die Gehälter stärker steigen als die Preise und die Mieten, wäre das ja kein Problem.
    Dohmen: Wenn dem so wäre, ja, das ist zurzeit ein wenig der Fall, was allerdings auch daran liegt, dass in Deutschland viele Beschäftigte über die letzten zehn, fünfzehn Jahre auch einen erheblichen Teil an Einkommensverzicht geleistet haben, weil die Löhne niedriger gestiegen sind, um wettbewerbsfähiger zu sein. Das ist einerseits jetzt positiv, andererseits, wenn sich das über Jahre und Jahrzehnte hinweg festsetzt, dass die Einkommensfreibeträge unzureichend steigen, weil die Löhne dann doch mal mehr steigen und auch die Inflationsrate beträchtlich steigt, dann hilft das auf Dauer nicht. Ich habe durch Zufall vor Kurzem noch mal in ein altes BAföG-Interview aus Mitte der 80er-Jahre reingehört, letztlich gab es da schon die gleiche Kritik wie heute: Einkommensfreibeträge und BAföG-Bedarfssätze werden unzureichend erhöht.
    Mietpauschalen hinken Realität hinterher
    Götzke: Dann lassen Sie uns über die Bedarfssätze mal sprechen. Das BMBF will den Höchstsatz von momentan 735 auf 850 Euro erhöhen. Deckt das denn die Kosten der Studierenden? Sie haben ja selbst kürzlich errechnet, welche Kosten Studierende so normalerweise haben.
    Dohmen: Nein, weil man kann auch nicht einfach sagen, das wird pauschal so erhöht, sondern setzt sich aus verschiedenen Komponenten zusammen. Der Kernbedarfssatz wird von 400 auf 420 Euro steigen. Das reicht jetzt schon nicht aus, um die Preissteigerung zwischen Herbst 2016 und Herbst 2019 voraussichtlich zu kompensieren. Wir sind jetzt schon bei vier Prozent, und die Erhöhung soll fünf Prozent betragen. Das ist das eine, und das Zweite sind die Mietkosten. Die sind in den letzten vier Jahren massiv angestiegen. Die Mietpreisentwicklung schlägt bei den Studierenden voll durch und insbesondere bei den jüngsten Studierenden. Die Anhebung von 250 auf 325 ist ein guter Schritt. De facto sind die Mieten von vielen Studierenden, auch von jüngeren Studierenden, heute schon deutlich höher.
    Götzke: Warum tut sich denn der Bund so schwer, die Mietpauschalen der Mietenrealität der einzelnen Städte anzupassen? Bei Hartz IV geht das ja auch.
    Dohmen: Man kann das tun, hätte den Nachteil, dass der BAföG-Antrag beziehungsweise die BAföG-Berechnung noch komplizierter würde. Möglicherweise wäre das aber ein Schritt zu mehr Gerechtigkeit, weil in der Tat in München oder Berlin oder Hamburg können Sie von den 325 Euro kaum eine Wohnung bekommen oder bezahlen. In anderen Städten ist es anders. Gleichzeitig würde sich das Problem in Berlin oder in Hamburg oder München mit 325 Euro auch völlig unabhängig davon nicht lösen. Da müsste man wahrscheinlich in Bereiche von 400 Euro und mehr hinein.
    Götzke: Wie weit würden Sie gehen? Studieren in den teuren Metropolen - ich sage jetzt einfach mal München, Hamburg, Köln, Düsseldorf - nur noch für Kinder reicher Eltern möglich, und alle anderen bitte nach Siegen, Magdeburg und Halle?
    Dohmen: Das wäre schade, wenn dem so wäre. Ich meine, wir sind in Berlin, und Berlin ist eine attraktive Stadt, aber es gibt andere Städte wie München, da ist es tatsächlich eine Frage. Beziehungsweise das würde dann bedeuten, dass sich die Kinder, deren Eltern sie gut unterstützen können, in München selbst aufhalten könnten, während Ärmere ins Umland ziehen müssten. Auch das kann ja nicht Sinn und Zweck der Sache sein, dass man hier quasi anders sozial verteilt. Also insofern wäre es schon sinnvoll, das BAföG tatsächlich, gerade was die Mieten angeht, stärker an die Realitäten anzupassen, aber das kostet natürlich Geld, und man muss dem BMBF positiv zugutehalten, dass sie jetzt schon etwas mehr Geld lockergemacht haben als ursprünglich vorgesehen war. Trotz allem reicht es auf Dauer nicht aus.
    Kaum Verbesserung durch BAföG-Reform
    Götzke: Wird das BAföG ein bisschen gerechter über die Erhöhung, über die morgen entschieden wird?
    Dohmen: Allenfalls in geringem Ausmaße, weil die Bedarfssätze jetzt schon nicht ausreichen oder im kommenden Jahr wahrscheinlich nicht ausreichen werden, um die tatsächliche Preisentwicklung aufzufangen, und auch die Einkommensfreibeträge werden höchstwahrscheinlich allenfalls am Rande oder knapp ausreichen, um dort eine Verschlechterung zu verhindern. Es mag sein, dass 10- oder 20- oder 30-, vielleicht auch 50.000 mehr Studierende BAföG bekommen. Das wird aber sehr schnell ins Gegenteil umschlagen, genauso wie wir das 2016 nach einer deutlichen Erhöhung gesehen haben. Wie Sie ja berichtet haben, sind die Zahlen auch zwischen 2012 und 2017 beziehungsweise 2016 und 2017 weiter zurückgegangen trotz einer vergleichsweise starken Erhöhung.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.