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Bildungsoffensive gegen Homophobie

Seit Jahren ist die Debatte um Homosexualität im Sport auf das erste Coming-out eines deutschen Profifußballers ausgerichtet. Noch ist niemand an die Öffentlichkeit getreten. Doch was unternehmen Vereine, um ein Klima der Vielfalt zu schaffen, in dem ein Coming-out vielleicht gar nicht mehr nötig ist? Und welche Konzepte haben Verbände, um Klischees langfristig aufzuweichen?

Von Ronny Blaschke | 20.07.2013
    Am Mittwoch in Berlin. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger spricht über Homosexualität im Sport. Minuten später verabschiedet sie mit Vertretern aus Politik und Verbänden die "Berliner Erklärung" gegen Homophobie. Plakative Botschaften wie diese hat es immer wieder gegeben: Zum Beispiel die "Leipziger Erklärung", formuliert von Aktivisten 2007, begleitet von Themenabenden in Berlin, Köln und Stuttgart. Damals nutzten Klubs der Fußball-Bundsliga das Engagement ihrer Anhänger, um sich als liberal zu vermarkten, doch an einer Auseinandersetzung waren sie nicht interessiert. Das will nun die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld ändern. Die 2011 gegründete Stiftung ist nach dem Arzt und Sexualforscher Magnus Hirschfeld benannt, einem Mitbegründer der ersten Homosexuellen-Bewegung Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Stiftung hat sich der Forschung, Bildung und dem Gedenken verschrieben, ihr Geschäftsführer ist Jörg Litwinschuh:

    "Weil wir nicht wirklich wissen im Sport, was sind denn die größten Einflussfaktoren auf ein besseres Klima im Umgang mit Homosexuellen, im Umgang mit Akzeptanz. Das könnte mediale Berichterstattung sein, das könnte ein Coming-out sein. Das könnte aber auch eine Graswurzelbewegung sein. Dass es wirklich wichtig ist, schon bei den kleinen Kindern und bei ganz jungen Erwachsenen ganz, ganz früh anzufangen, über sexuelle Vielfalt aufzuklären und zu informieren. Das weiß man alles nicht, daher ist es wichtig, dass das wissenschaftlich begleitet wird und dann vielleicht auch korrigiert wird."

    In der Studie zur Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit der Universität Bielefeld haben etwa 25 Prozent der Befragten folgender Aussage zugestimmt: "Es ist ekelhaft, wenn sich Homosexuelle in der Öffentlichkeit küssen." Durch Männlichkeitskult oder Fanfeindschaften treten solche Vorurteile in den Fußballstadien offener zutage. Die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld möchte nun mit der Universität Vechta empirische Daten erheben. Das Ziel: Die Aufweichung von veralteten Geschlechterrollen durch Lernmodule in der Aus- und Fortbildung von Trainern und Betreuern. Für die Forschung braucht die Stiftung Partner. Im Herbst 2012 hat sie die 36 Vereine der ersten und zweiten Bundesliga angeschrieben, nur fünf Klubs antworteten. Zu den 15 Erstunterzeichnern der "Berliner Erklärung" gehören der Deutsche Fußball-Bund und der FC Bayern, nicht aber die Deutsche Fußball-Liga DFL. Dirk Zingler, Präsident des Zweitligisten Union Berlin, gehört zu den wenigen Spitzenfunktionären, die das Projekt unterstützen.

    "Mir ist wichtig, dass wir als Arbeitgeber die Atmosphäre im Unternehmen und im Verein schaffen für Spieler, Spielerinnen, für Jugendtrainer für Trainer, dass also keiner Sorge haben muss, sich zu outen oder dass das Thema überhaupt zum Thema wird. Dass man da offen mit umgeht – und da muss eine Vereinsführung vorangehen."

    Auch der DFB setzte lange auf Symbolpolitik: 2009 nutzte der Verband ein Länderspiel in Hamburg gegen Finnland, um für den Kampf gegen Homophobie zu werben. Der ehemalige Präsident Theo Zwanziger sprach vor schwulen Unternehmern, brachte ein Theaterstück und einen ARD-Tatort auf den Weg. Der DFB finanzierte einen Fan-Wagen auf dem Christopher Street Day in Köln und organisierte ein Dialogforum. Aber wie ging es nach der Amtsübergabe Zwanzigers an Wolfgang Niersbach im Frühjahr 2012 weiter? Dirk Brüllau ist Sprecher der Queer Football Fanclubs. Das Netzwerk vereint 22 schwullesbische Fanklubs in Deutschland und der Schweiz mit rund eintausend Mitgliedern.

    "Der Kontakt zum DFB ist einseitiger geworden. Der Präsident äußert sich eigentlich gar zu dem Thema explizit. Wir scharren auch mit den Füßen."

    Am Dienstag veröffentlichte der DFB eine 28-seitige Broschüre über Homosexualität, mit Empfehlungen, Begriffserklärungen, Kontaktadressen. Das Heft soll an alle Regional- und Landesverbände sowie an 26000 Vereine versandt werden. Seit Herbst 2012 haben Experten aus Wissenschaft, Medien und Fußball den Inhalt zusammengestellt. Anders als die vergleichsweise kleine Hirschfeld-Stiftung möchte der föderal strukturierte DFB das Thema schrittweise in die Ausbildung seiner Trainer und Schiedsrichter eingliedern, zu stark werden noch Widerstände in einigen Landesverbänden geäußert. Zu der Expertengruppe des DFB gehört die ehemalige Bundesligaspielerin und heutige Sportlehrerin Tanja Walther-Ahrens. Viele ihrer Ideen sind in die Broschüre eingeflossen:

    "Niedrigschwellig ist sie, damit Leute überhaupt sie aufschlagen. Da ist es auch wichtig, dass sie nicht zu theoretisch und abgehoben ist, weil es ist für die Vereine und Verbände gemacht. Und die sollen da bitte reingucken und sich dann hinterher auch trauen, entweder zu sagen: ich weiß immer noch nicht genug, wer kann mir weiterhelfen oder zusagen, das hat mir jetzt geholfen, ich kann damit umgehen und ich kann damit auch was anfangen. Und es geht halt darum, den ersten Kontakt mal mit dem Thema Homosexualität und Fußball zu kriegen."

    Im September werden sich Vertreter der Hirschfeld-Stiftung und des DFB in Frankfurt treffen, um ihre Initiativen aufeinander abzustimmen. Sollte sich die Bildungsoffensive etablieren, wäre das in der Debatte um Homosexualität und Sport ein Meilenstein.