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Bildungspaket zu kompliziert und zu langsam

Seit zwei Jahren können arme Eltern für ihre Kinder Gutscheine für Nachhilfe oder Sportvereine beantragen. Das Bildungs- und Teilhabepaket erreicht aber offenbar nur einen Teil der Betroffenen, wie Beispiele aus Essen und Gelsenkirchen zeigen.

Von Sebastian Auer | 26.04.2013
    In Herbert Bußfelds Büro stapeln sich die Antragsformulare. Bußfeld sitzt ehrenamtlich im Vorstand eines Essener Sportvereins. Mit Formularen hat er eigentlich nichts zu tun. Aber damit die Stadt bedürftigen Eltern einen Zuschuss für die Mitgliedsbeiträge des Vereins bezahlt, muss er vorher seinen Stempel druntersetzen und alles zum Amt bringen. Ihn treibt das Bildungspaket an den Rand des Wahnsinns:

    "Das ist so umfangreich: Vom polizeilichen Führungszeugnis angefangen, über Bescheinigungen, dass der Verein keine rechtsradikalen Strukturen hat. Also, es hat einen Umfang angenommen und dann mit den ganzen Wertmarken noch: Es ist schon für einen ganz normalen Verein ganz schön happig, diese Bescheinigungen alle beizubringen und auszufüllen. Den Vogel abgeschossen hat die Stadt Mülheim."

    Jede Kommune legt die Regeln für Zuschüsse selbst fest. Weil die Kinder in Bußfelds Sportverein aber aus verschiedenen Städten kommen, muss er auch zu mehreren Ämtern und die unterschiedlichsten Bescheinigungen vorlegen. In Mülheim wird der hohe bürokratische Aufwand mit dem Schutz der Kinder begründet. Man wolle schließlich wissen, welches Ziel ein Verein verfolgt und dass die Trainer keine Vorstrafen haben. Das Bildungspaket soll Leute wie Ingo Jankowski erreichen. Eine Zeit lang war er arbeitslos, das Geld für den Fußballverein, in dem sein 14-jähriger Sohn spielt, hatte er nicht. Jankowski beantrage also beim Jobcenter einen Bildungsgutschein, um einen Zuschuss zu bekommen. Das Ausfüllen der Formulare sei für ihn nicht sehr aufwendig gewesen. Er sieht ein ganz anderes Problem.

    ""Man kommt sich schon leicht gedemütigt vor. Allein schon beim Jobcenter zu fragen. Den Antrag aufs Bildungspaket, da weiß erst mal keiner Bescheid. Dann hatte ich da ne 45-minütige Verweildauer, bis die Sachbearbeiter erst mal untereinander klar waren, welches Formular jetzt überhaupt aktuell ist, weil zu dem Zeitpunkt immer neue Formulare erstellt wurden."

    Wieder ein anderes Problem ärgert Vereine und Eltern gleichermaßen: Es dauert ihnen zu lange, bis nach einem Antrag endlich Geld fließt. Ingo Jankowski sagt, es seien fast acht Monate vergangen, bis der Fußballverein seines Sohnes den Mitgliedsbeitrag bekommen habe. Manchmal seien Kinder schon gar nicht mehr im Verein, bis das Geld von der Stadt oder dem Jobcenter bezahlt werde.

    Nicht nur bei Sportvereinen, auch an Schulen gibt es nach zwei Jahren immer noch Kritik am Bildungspaket. Renate Jurgawka ist Grundschuldirektorin in Gelsenkirchen. Die Grundschule liegt mitten in einem sozialen Brennpunkt. Rund 60 Prozent der Kinder an ihrer Schule bekommen für Bücher und anderen Schulbedarf zweimal im Jahr einen Zuschuss aus dem Bildungspaket.

    "Das ist häufig so, dass die Eltern das Geld zwar bekommen am 1. August beziehungsweise 1. Februar, aber manchmal das Geld zweckentfremdet wird und nicht den Kindern zugute kommt."

    Für die Direktorin wäre es deswegen einfacher, wenn die Zuschüsse direkt an die Schule gingen, die sich dann um das benötigte Material kümmern würde. Einen kleinen Fortschritt sieht sie aber trotzdem: Zuschüsse für Nachhilfeunterricht konnten anfangs nur Kinder bekommen, deren Versetzung gefährdet war. Jetzt kann die Schule auch ohne blauen Brief zusätzliche Lernmöglichkeiten beantragen. Doch die Probleme liegen im Detail, sagt Schulleiterin Jurgawka.

    "Probleme gibt es bei den Bildungsgutscheinen für Nachhilfeunterricht. Da sind die Eltern davon ausgegangen, dass sie mit diesen Bildungsgutscheinen jedes Nachhilfeinstitut bedienen können. Das ist nicht so."
    Laut NRW-Arbeitsministerium wurde im vergangenen Jahr mit einem Großteil der Gutscheine das Mittagessen in der Schule bezuschusst. Wesentlich seltener gab es Anträge für die Mitgliedschaft im Sportverein oder bei einer Musikschule. Das liege vor allem an der Unwissenheit vieler Eltern, sagt Sporttrainer Herbert Bußfeld aus Essen.

    "Bei uns im Verein sind rund 20 Jugendliche, die das in Anspruch nehmen. Ich bin der Meinung, dass es wenigstens 80 sein müssten von 350 Jugendlichen. Und von daher meine ich, sind es viele, die diese Leistung gar nicht in Anspruch nehmen."

    Ganze 69 Millionen Euro, also fast 40 Prozent des Etats für Nordrhein-Westfalen, sind 2012 nicht abgerufen worden. Das Geld kann nicht bedürftigen Kindern zugutekommen, sondern muss zurück nach Berlin überwiesen werden.