Samstag, 20. April 2024

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Bildungspolitik
"Gleiche Bildungschancen - dieser Grundsatz muss jetzt angegangen werden"

Maike Finnern von der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft wünscht sich von der künftigen Bundesregierung mehr Einsatz für gleiche Bildungschancen. Dazu müsste der Bund langfristig Bildung dauerhaft mitfinanzieren und das Geld vom Bund auch gerechter verteilt werden, sagte sie im Dlf.

Maike Finnern im Gespräch mit Ann-Kathrin Jeske | 27.10.2021
Eine Schuelerin schreibt waehrend einer Unterrichtsstunde auf einen Block. Kein Model Release vorhanden, no model release. NUR ZUR REDAKTIONELLEN VERWENDUNG UNTER WAHRUNG DER PERSOENLICHKEITSRECHTE. Goettingen, Deutschland. 19.09.2014. Copyright: Thomas Trutschel/ picture alliance/photothek
Geld vom Bund müsse in der Bildung gerechter verteilt werden, fordert Maike Finnern von der Gewerkschaft für Erziehung von Wissenschaft (Thomas Trutschel/ picture alliance/photothek)
SPD, Grüne und FDP verhandeln in 22 Arbeitsgruppen über die Inhalte eines möglichen Koalitionsvertrags, und ein Thema ist dabei natürlich auch die Bildungspolitik: Das Sondierungspapier zum Thema Bildung ist bislang aber eher vage, so sollen Bund und Länder in der Bildungspolitik mehr kooperieren dürfen. Eine konkrete Forderung hingegen lautet, dass ein Digitalpakt 2.0 her soll.
Maike Finnern ist Vorsitzende der GEW, der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft. Im Gespräch mit dem Deutschlandfunk forderte sie, dass eine neue Regierung Kindern und Jugendlichen in Deutschland gleiche Bildungschancen garantieren müsse. Um das hinzukriegen, brauche es mehrere kleinere Schritte und "einen großen, nämlich den der Bildungsfinanzierung".
KMK-Präsidentin zum Schulstart - Ernst: Bildung der Jugendlichen "kann jetzt im Mittelpunkt stehen"
KMK-Präsidentin Britta Ernst sieht die Situation vor dem neuen Schuljahr gänzlich anders, als noch vor einem Jahr. Da viele Erwachsene geimpft seien, müssten Schüler nicht mehr so drastisch ihre Kontakte reduzieren, sagte die SPD-Politikerin im Dlf.
Sie begrüßte, dass sich die möglichen Koalitionspartner SPD, Grünen und FDP zum Digitalpakt bekennen. Es sei eine Daueraufgabe, Schulen auszustatten: "Aber das Problem ist in der Tat, Geld wird zum Teil gar nicht abgerufen, hat eben mit komplizierten Förderanträgen zu tun. Aber letztlich ist auch ein Problem, was für Geräte werden denn dafür gekauft", sagte sie.
Es gebe überhaupt gar keine Standards. Kommunen würden zum Teil lediglich Tablets für die Lehrkräfte kaufen und erwarten, dass sie auf diesen Tablets alle ihre administrativen Aufgaben erledigen. "Das funktioniert natürlich nicht." Da der Bund den Digitalpakt mitfianziere, solle er auch Qualitätsstandards mitsetzen.

Lesen Sie hier das gesamte Interview:
Ann-Kathrin Jeske: Frau Finnern, was sind denn aus Ihrer Sicht die wichtigsten Punkte, die eine künftige Koalition angehen muss?
Maike Finnern: Aus meiner Sicht ist es der Grundsatz, dass wir gleiche Chancen für alle Kinder und Jugendlichen in Deutschland garantieren müssen, gleiche Bildungschancen - das ist der Grundsatz, der jetzt angegangen werden muss. Es ist ja in der Pandemie noch mal sehr deutlich geworden, wie unterschiedlich die Voraussetzungen sind, wie unterschiedlich auch die Möglichkeiten für Bildungserfolge sind. Um das hinzukriegen, braucht es einfach mehrere kleinere Schritte, sag ich mal, und einen großen, nämlich den der Bildungsfinanzierung.
Wir haben auf unterschiedlichen Ebenen immer wieder in den letzten Jahren Zahlen gehört – sei es von der KfW zum Thema Investitionsrückstau in Schulen, der liegt bei 46 Milliarden Euro, vergleichbare Zahlen gelten auch für Kita und Hochschule zum Beispiel. Das ist ein großer Punkt.

"Kooperationsverbot komplett aufheben"

Jeske: Sie haben jetzt das Thema Chancengleichheit genannt, und Sie haben auch gesagt, dass der Bund mehr mitfinanzieren soll, was die Bildungspolitik angeht. Wenn wir jetzt in das Sondierungspapier schauen, dann sehen wir, dass da drinsteht, dass das Kooperationsverbot fallen soll. Das muss man vielleicht noch mal erklären: Das Kooperationsverbot besagt, dass grundsätzlich die Bildung Ländersache ist und der Bund sich nicht einmischen darf. Das wurde in den vergangenen Jahren immer wieder aufgeweicht, inzwischen darf der Bund also mitfinanzieren. Aber er darf es nicht dauerhaft, und stattdessen steht in diesem Sondierungspapier, soll es ein Kooperationsgebot geben. Können Sie mal erklären, was das ist, und ist das aus Ihrer Sicht der richtige Schritt?
Finnern: Bezüglich der Frage der Finanzierung auf Bundesebene gibt es drei Ebenen, auf die man auf jeden Fall gucken muss: Die erste Ebene, das Kooperationsgebot, was ja auch in den Sondierungspapieren drinsteht, ist sicherlich ein ganz wichtiges. Wenn es gelingt, das Kooperationsverbot, was wir im Moment ja zu großen Teilen noch haben und was dazu führt, dass die Bundesebene eben nur finanziell mitwirken kann auf einen zeitlich begrenzten Rahmen – also es ist immer alles begrenzt gewesen und letztlich auch inhaltlich in einer Größenordnung begrenzt –, also wenn es gelingt, dieses Kooperationsverbot wirklich komplett aufzuheben, das wäre schon mal ein ganz wichtiger Schritt, ist auch eine jahrelange Forderung nicht nur von uns, sondern von vielen, die eben in Bildung auch unterwegs sind.
Allerdings bin ich mir nicht sicher, dafür braucht es ja auch die Stimme der Opposition, denn das wäre eine Verfassungsänderung, Zweidrittelmehrheit. Für mich wäre ganz klar das auch eine Aufgabe der CDU, wenn sie denn in die Opposition geht und die Ampel zustande kommt, zu sagen, ja, auch wir wissen, Chancengleichheit ist wichtig, der Bund muss Bildung mitfinanzieren, und deswegen gehen wir diesen Schritt mit und stimmen auch wegen des Kooperationsverbotes zu. Aber wie realistisch das ist, das wird sich zeigen.

"Geld von Bundesebene muss gerechter verteilt werden"

Jeske: Dieser Prozess würde ja wahrscheinlich sehr lange dauern. Lohnt sich das denn überhaupt, welche anderen Finanzierungsmöglichkeiten gibt es möglicherweise?
Handreichung zur Bildungspolitik - Kulturelle Bildung in Schulen "systematischer angehen"
Kulturelle Bildung müsse Teil der Ausbildung jeder Lehrerin und jedes Lehrers sein, fordert Lydia Grün vom Rat für Kulturelle Bildung im Dlf. Eine bildungspolitische Handreichung ihres Verbands sieht viel Unterrichtsausfall in musischen Fächern und viel systematischen Handlungsbedarf.
Finnern: Es lohnt sich in jedem Fall, weil es eine grundsätzliche Finanzierungsmöglichkeit verändert. Insofern ist der Prozess aus meiner Sicht auf jeden Fall lohnend. Ob er in dieser Legislaturperiode erfolgreich ist, ist eine andere Frage. Was man bis dahin tun kann, bis man das wirklich schafft, das Kooperationsverbot komplett aufzuheben, sind unterschiedliche Dinge. Auf der einen Seite gibt es Möglichkeiten zu investieren in Bildung, die stehen ja auch im Sondierungspapier drin, dass der Wille dafür da ist.
Was aber auch wichtig ist, ist, dass Geld von Bundesebene eben dann auch gerechter verteilt werden muss. Mit gerecht meine ich nicht, jeder kriegt das Gleiche anteilig, wie es im Moment über den Königsteiner Schlüssel vorgenommen wird, die Verteilung, der eigentlich eben für Wirtschaftsprojekte gewesen ist – der wird jetzt auch angewandt. Und die Kriterien, die der Königsteiner Schlüssel hat, sind für Ausgaben im Bildungswesen, für Ausgaben, die für Chancengleichheit sorgen sollen, denkbar ungeeignet als Kriterium.
Das führt dazu, wenn wir uns mal den Digitalpakt angucken, der ja geschlossen worden ist, um Kinder und Jugendliche, die eben keinen Zugang bis jetzt zu digitalen Endgeräten in dem Ausmaß haben, das zu ermöglichen. Daneben sind über diesen Königsteiner Schlüssel eben um die 160, 170 Euro angekommen pro Kind in Bedarfsgemeinschaft, und in Bayern sind es eben über 700. Das ist etwas, was die Ungerechtigkeiten einfach noch mal deutlich verschärft, und das ist ja auch in der Studie der Robert-Bosch-Stiftung heute noch mal sehr deutlich geworden.

Digitalpakt: "Qualitätsstandards muss der Bund mitsetzen"

Jeske: Sie haben den Digitalpakt jetzt schon angesprochen, und in diesem Sondierungspapier steht drin, dass es einen neuen Digitalpakt geben soll, einen Digitalpakt 2.0 nämlich. Die Erfahrung mit den bestehenden Digitalpakten sind ja an vielen Schulen, dass das Geld nicht abgerufen wird, also nur einen neuen Digitalpakt aufzulegen, das kann ja nicht die Lösung sein. Wo genau hakt es und wo genau müssten die Ampelkoalitionäre ansetzen, wenn sie das verbessern wollten?
Finnern: Ja, das hakt an ganz vielen Stellen. Erst mal ist es ja richtig, dass sie sich zum neuen Digitalpakt bekennen, weil Digitalisierung wird ja eine Daueraufgabe sein in Schulen, und wir alle wissen, dass Geräte erneuert werden müssen, dass Systeme administriert werden müssen, dauerhaft. Insofern, das ist eine Daueraufgabe, die auch dauerhaft finanziert werden muss. Insofern ist das Signal erst mal richtig.
Aber das Problem ist in der Tat, Geld wird zum Teil gar nicht abgerufen, hat eben mit komplizierten Förderanträgen zu tun, aber letztlich ist auch ein Problem – das ist dann jetzt für die Kolleginnen und Kollegen vor Ort zum Teil ein Problem –, was für Geräte werden denn dafür gekauft. Es gibt überhaupt gar keine Standards letztlich, und das heißt, wir haben zum Teil die Situation, dass Kommunen als Schulträger lediglich Tablets kaufen für die Lehrkräfte und erwarten, dass sie auf Tablets alle ihre administrativen Aufgaben erledigen. Das funktioniert natürlich nicht. Das heißt also, auch da …
Jeske: Das heißt, diese Qualitätsstandards sollte aus Ihrer Sicht schon der Bund setzen.
Finnern: So ist das, damit sie eben auch wirklich … Qualitätsstandards muss der Bund mitsetzen. Er finanziert den Digitalpakt zu großen Teilen mit, insofern finde ich es genau das Gleiche wie bei der Kita-Ausstattung oder bei der Grundschule, bei der Ganztagsgrundschule: Qualitätsmaßstäbe, die brauchen wir auf jeden Fall, die brauchen wir auch bundesweit.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.