Freitag, 19. April 2024

Archiv

Bildungsstreik
Bundesweiter Protest gegen Kürzungen im Hochschulwesen

Für mehr Geld in der Bildung sind am Mittwoch Tausende Studenten und Schüler unter anderem in Sachsen, Berlin und Hessen auf die Straße gegangen. Allein in Leipzig protestierten mindestens 5500 Studierende gegen die akute Unterfinanzierung der Hochschullandschaft.

Von Claudia Euen, Verena Kemna und Anke Petermann | 25.06.2014
    Studenten laufen mit einem Transparent mit der Aufschrift "Kürzer geht's nicht! Bildung braucht Zukunft!" am 25.06.2014 zu einer Kundgebung auf dem Augustusplatz in Leipzig (Sachsen).
    Studenten aus Sachsen-Anhalt und Sachsen protestierten in Leipzig gegen die Kürzungen in ihren Hochschulbereichen. (picture alliance / dpa / Peter Endig)
    "Ich bin her gekommen, um etwas zu tun, dass Sachsen mehr Unterstützung in die Bildung steckt, also mehr Geld. Also wir in Dresden sind nicht ganz so arg getroffen. Also bei sind zum Beispiel nur die Mensaessen teuer und hier werden gleich ganze Fakultäten geschlossen."
    "Bildung ist unbezahlbar. Bildung ist unsere Zukunft."
    "Ich bin hier, um der Regierung zu zeigen, dass es im Prinzip so nicht weitergehen kann."
    "Kürzer geht's nicht - Bildung braucht Zukunft" ist das Motto der Demonstration, zu der Studierende extra aus Halle, Dresden, Freiberg und Erfurt angereist sind. Es geht um steigende Semesterbeiträge, prekäre Beschäftigungsverhältnisse vieler Lehrender und die Unterfinanzierung der Studentenwerke - und um einen massiven Stellenabbau.
    Gerade in Sachsen ist die Lage akut. Bis 2020 will die Landesregierung 1.042 feste Stellen kürzen. Die Leipziger Institute der Theaterwissenschaft und der Pharmazie stehen auf der Kippe, zahlreiche weitere Studiengänge sind von Kürzungen bedroht. Das wird auch auf die Unis in Dresden und Chemnitz zukommen, meint Adelheid Noack, Sprecherin der Konferenz sächsischer Studierendenschaften:
    "Die Priorität hier in Sachsen liegt auf den wirtschaftlich erträglichen Studiengängen, es wird geschaut, welcher Studiengang bringt die höchsten Drittmittel ein, welcher Studiengang kann sich wirtschaftlich etablieren, da wird nicht mehr darauf geachtet, dass die Geisteswissenschaften eine große Rolle spielen."
    Die 27-Jährige hat ihr Philosophie-Studium in diesem Semester teilweise auf Eis gelegt. Sie kämpft für die Zukunft des Hochschulstandortes Sachsen, mit dem man hier so gern wirbt. Den sieht auch Kai Zaschel, der Hochschulpolitische Sprecher des Studentinnenrates der Uni Leipzig, in Gefahr:
    "Die Chemiker haben Angst, dass es in nächster Zeit durch den Stellenabbau keine Laborpraktika mehr gibt, die technische Ausstattung lässt zu Wünschen übrig, es fehlen Lizenzen, um vernünftig arbeiten zu können, da fordern wir schon seit langer Zeit auch als Fachschaftsrat, dass es eine Finanzierung gibt, sodass die Möglichkeiten dann überhaupt erst da sind, richtig zu arbeiten."
    Appell an Sachsens Landesregierung
    Ab 2015 übernimmt der Bund den Länderanteil der Bundesausbildungsförderung. Sachsen wird dann pro Jahr mehr als 80 Millionen Euro sparen. Die Rektorin der Uni Leipzig, Beate Schücking, sowie Rektoren anderer sächsischer Hochschulen appellieren deshalb an die Landesregierung, mit einem Teil der frei werdenden BAföG-Mittel den Stellenabbau zu verhindern. Auch Zaschel fordert das:
    "Die Forderung ist gar nicht so utopisch, aber unsere Bildungsministerin möchte damit vor allem Bauten und Großinvestitionen tätigen, irgendwie Gerätschaften kaufen, wo ich denke, langfristig wird sich das nicht auf die Qualität der Lehre auswirken, wenn kein Personal da ist, was Geräte bedienen kann, kann man keine Lehre machen."
    Die Studierenden wollen im Laufe des Nachmittags durch die Stadt bis vors Bundesverwaltungsgericht ziehen - auf Seminare verzichten sie. Die Professoren indes haben zugesagt, heute keinen prüfungsrelevanten Stoff zu lehren, damit niemand etwas verpasst.
    "Wir verschleißen hier ganze akademische Generationen"
    Vor der Berliner Charite sammeln sich Medizinstudenten, sie ziehen in einem Demonstrationszug zum Campus der Berliner Humboldt Universität. Auf dem violetten Protestplakat heißt es in weißen Lettern: Pleite und Prekär. Danke, es reicht! Auch Hochschulprofessoren werden heute demonstrieren. Mit einem Brandbrief, vor wenigen Tagen in einer Berliner Tageszeitung veröffentlicht, hat Professorin Gabriele Metzler vielen aus der Seele gesprochen. In Berlin schafft man Studienplätze indem man aufschreibt, dass es sie gibt, heißt es in dem Artikel. Das gesamte System funktioniert nicht mehr, klagt die Historikerin Gabriele Metzler wird sich am Aktionstag beteiligen.
    "Wenn diese Gesellschaft möchte, dass wir mehr Akademikerinnen und Akademiker ausbilden, dann muss sie sich darüber im Klaren sein, dass sie ihre Universitäten so ausstatten muss, dass das auch seriös geleistet werden kann. Es geht nicht, dass wir immer mehr Studierende aufnehmen und es uns in den Universitäten überlassen bleibt, wie wir das bewerkstelligen."
    Die Lehrstuhlinhaberin ist Vollblutakademikerin. Für Forschung bleibt ihr ohnehin kaum Zeit. Vor allem wegen der knappen Ressourcen stünden die Lehrenden unter immensem Druck. Viele müssten bis zur Hälfte ihrer Etats aus Drittmitteln finanzieren.
    "Eigentlich ist das komplette System vollkommen aus der Balance geraten. Das Verhältnis zwischen Grundfinanzierung und Drittmittelfinanzierung stimmt nicht mehr. Da ist es fast egal, auf welche deutsche Universität sie schauen. Dahinter steckt ein ungeheurer Druck, einfach um den Laden am laufen zu halten. "
    Auch die Situation der wissenschaftlichen Mitarbeiter bezeichnet die Hochschulprofessorin als prekär. Höchstens zwölf Jahre dürfen Zeitverträge verlängert werden. Wer es dann nicht geschafft hat, einen festen Vertrag zu ergattern, zählt zum akademischen Prekariat.
    "Wir verschleißen hier ganze akademische Generationen, überlassen sie prekären Beschäftigungsverhältnissen, hier muss unbedingt etwas passieren."
    Empörung über Unterrichtsausfälle in Hessen und Rheinland-Pfalz
    Mehr als 2.000 demonstrieren in Wiesbaden nach Veranstalterangaben gegen die Unterfinanzierung des Bildungssystems, die Polizei spricht von 1.200 Demonstranten. Etwa ein Viertel davon sind SchülerInnen. Die Protestieren vor allem gegen Unterrichtsausfall, bröselnde Schulbauten und zu große Klassen, für mehr Ganztags und Gesamtschulen, für Inklusion und mehr Mitbestimmung
    Die Abiturientin Mia Thiel und Jonas Dechent von der Stadtschülervertretung Mainz demonstrieren in der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden gegen die Unterfinanzierung der Schulen und für eine bessere Bildungspolitik.
    Mia Thiel: "Dazu gehört, dass zum Beispiel Ganztagsschulen ausgebaut werden, dass nicht mehr selektiert wird zwischen HauptschülerInnen, RealschülerInnen und GymnasiastInnen, weder in der Wertung noch in der Schulform. Und dazu gehört auch, dass SchülerInnen ab 16 Jahren wählen dürfen, um sich aktiv an der Bildungspolitik beteiligen zu können. Deswegen bin ich hier,
    Jonas Dechent: "Weil einfach zu wenige Lehrer da sind. Wir möchten kleinere Klassen und natürlich die Demokratisierung der Schule, damit Schüler Mitbestimmung haben."
    Bei Entscheidungen, die uns betreffen, soll unser Einverständnis eingeholt werden müssen, fordert der Mainzer Gymnasiast. "Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Bildung klaut."
    Streitfall G8
    Gegen "Bildungsklau" in Form des Turboabiturs G8 trillern besonders energisch die Hessen an. Anders als die rheinland-pfälzischen Schüler haben sie oft keine Ausweichmöglichkeit, wenn sie den neunjährigen Weg zum Abitur bevorzugen – auch wenn die schwarzgrüne Landesregierung die Rückkehrmöglichkeiten zu G9 für Schulen soeben auf die laufenden Jahrgänge 5 bis 7 ausgeweitet hat. Franz Budde und Lasse Tödter widersprechen.
    Franz Budde: "Sie hat sie zwar auf dem Papier erweitert, die Umsetzung sieht leider ganz anders aus, die Erfahrung durfte ich bei meinem Bruder machen. Mein Bruder hat gesagt, 'vergiss es!'"
    Lasse Tödter: "Das ist eben auch bei uns an der Schule, da gab es Abstimmungen, die haben dann nichts gebracht. Bis jetzt ist nichts passiert irgendwie."
    Dass einstimmige Elternvoten für die Rückkehr zu hohe Hürden sind, beklagen auch Elternverbände. Gemeinsam mit der Bildungsgewerkschaft GEW in Hessen fordern Schüler, "dass man flächendeckend zu G9 zurückkehrt, es gibt wenige, die G8 unterstützen."
    Zu viel Unterrichtsausfall kritisieren vor allem Schüler aus Rheinland-Pfalz. Länderübergreifend hört man diese Klagen: "Manche Schulgebäude sind in katastrophalem Zustand, teilweise sogar einsturzgefährdet." - "In vielen Städten und Kreisen haben Schüler deshalb schon demonstriert, aber es ist noch nichts dabei rumgekommen."
    Allerdings hat Hessens größte Stadt Frankfurt am Main gerade Millionen für die Schulsanierung nachgeschossen. Doch immer noch grassiert nach Meinung der Schülerschaft Raumnot, es fehlt an Integrierten Gesamtschulen, um vom frühen Sortieren von Schülern wegzukommen. Auch Barrierefreiheit und umfassende Inklusion behinderter Schüler in die Regelschulen bleiben noch in weiter Ferne – die Schülerschaft sieht genug Anlass, weiter auf die Straße zu gehen. Für den Herbst ist die nächste Runde der Bildungsstreiks geplant.