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Bildungsstreik in Polen
Gegenwind für die PiS-Partei

Die nationalkonservative PiS-Regierung in Polen hat eine Reihe von Gesetzen und Initiativen auf den Weg gebracht, die nach Auffassung ihrer Kritiker die Demokratie aushöhlen. Jetzt greifen die Rechtskonservativen nach den Schulen, sie wollen eine Bildungsreform durchsetzen. Damit bringen sie allerdings Lehrer und Eltern gegen sich auf.

Von Florian Kellermann | 10.05.2017
    Die Figuren von PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski (M), Ministerpräsidentin Beata Szydlo und dem polnischen Präsidenten Andrzej Duda als Marionetten inmitten von Demonstranten, die am 6.5.17 in Warschau auf die Straße gingen.
    Die Gegner der polnischen Regierung fühlen sich im Aufwind, das machten sie in Warschau mit einem "Marsch der Freiheit" deutlich. (Janek SKARZYNSKI / AFP)
    "Wir rechnen mit Euch ab", tönt es aus dem Lautsprecher - und die Menge wiederholt. Die Gegner der polnischen Regierung fühlen sich im Aufwind, das machten sie am Wochenende in Warschau deutlich. Einige Zigtausende kamen zum Platz vor dem Rathaus und begaben sich dann auf einen "Marsch für die Freiheit". Hubert Malecki war extra aus Krakau angereist: "Nur, wenn wir viele sind, nützen solche Proteste etwas. Die Regierung soll wissen, dass wir, ihre Gegner, noch da sind."
    Angst um die Freiheit im Land
    Der 28-Jährige, der als Beruf Gebrauchsanweisungen für technische Gerät verfasst, hat Angst um die Freiheit in seinem Land. Im vergangenen Jahr legte die Regierung das Verfassungsgericht an die Leine. In dieser Woche beginnt das Parlament Beratungen über ein Gesetz, das den Machthabern Einfluss auch auf die ordentlichen Gerichte gibt.
    "Marsch der Freiheit, Marsch der Freiheit", ertönt es. Die Kolonne macht sich auf ihren Weg zum Verfassungsplatz. Erstmals nimmt auch die Bauernpartei PSL an den Protesten teil, ihre grünen Fahnen sind überall zu sehen. Denn die Regierung der rechtskonservativen Partei PiS hat den Verkauf von Ackerland stark reglementiert.
    Solche Maßnahmen, die den Alltag betreffen, brächten die Menschen wirklich auf die Straße, sagt Hubert Malecki: "Der Streit um das Verfassungsgericht - klar, nicht alle sind Juristen. Manche glauben wirklich, die Regierungspartei PiS kämpfe nur gegen die böse Richterkaste. Aber von anderen Maßnahmen sind die Menschen direkt betroffen, nehmen wir nur die Bildungsreform."
    Das Bildungsministerium bringt neue Schulbücher heraus
    Die Regierung will zum zweigliedrigen Schulsystem zurückkehren, das es schon in der kommunistischen Volksrepublik Polen gab, die Gymnasien werden abgeschafft. Die Folge: Das Bildungsministerium erstellt ganz neue Lehrpläne und bringt neue Schulbücher heraus. Diese Reform ist, so meinen Experten, einer der Gründe, warum die Regierungspartei PiS in mehreren Umfragen in den vergangenen Wochen unter der 30-Prozent-Marke lag, zum ersten Mal seit ihrem Wahlsieg vor anderthalb Jahren.
    Ein Höhepunkt der Demonstration am Wochenende war denn auch der Auftritt einer Mutter: "Wir sind mit unseren Kindern gekommen, weil wir sie zu klugen, empfindsamen, weltoffenen und toleranten Bürgern erziehen wollen. Wir brauchen keine Schule, die ideologisch geprägt ist. Wir wollen nicht, dass unsere Kinder in der Schule Gehorsam lernen. Wir wollen Kinder, die ihre Meinung sagen und um ihre Rechte kämpfen können."
    910.000 Unterschriften hat der Lehrerverband gegen die Schulreform gesammelt, er fordert ein Referendum. Um das zu unterstreichen, wollen viele Eltern ihre Kinder heute nicht in die Schule schicken. Wie viele sich am sogenannten "Eltern-Streik" beteiligen, wird sich erst im Lauf des Vormittags zeigen.
    Kopfschütteln bei den Lehrern
    Der Unterricht könnte also wieder ausfallen - so wie vor wenigen Wochen, als die Lehrer den Dienst verweigerten. Die Flure im Gymnasium an der Nowowiejska-Straße in Warschau waren verwaist, die Lehrer blieben in ihrem Zimmer und korrigierten Klassenarbeiten. Sie könne über die Reform nur den Kopf schütteln, sagt die Polnischlehrerin Elzbieta Zawistowska: "Sie passt zur Philosophie der Regierungspartei, alles zu vernichten, was wir in Polen seit der demokratischen Wende erarbeitet und geschaffen haben. Eine Reform ist wohl nötig, aber bitte, ohne das Ergebnis unserer enormen Anstrengungen zu vernichten. Unsere Erfolge sind real, das hat der Pisa-Test bestätigt."
    Die Vorgängerregierung hatte beschlossen, dass Kinder - wie fast überall in Europa - mit sechs Jahren eingeschult werden, nicht mit sieben. Das macht die PiS-Partei rückgängig. Vor allem aber gebe die Reform ihr Gelegenheit, auch die Lehrpläne zu ändern, sagt Ewa Macias, die seit 25 Jahren an der Nowowiejska-Straße unterrichtet: "Am meisten sind die Geschichtslehrer beunruhigt, was da auf sie zukommt. Natürlich können sie weiterhin ihre Sicht auf die Geschichte darstellen. Aber wenn sie verpetzt werden, bekommen sie Probleme. Sie müssen das unterrichten, was in den Lehrplänen stehen wird."
    Die Schüler sollen patriotischer gebildet werden als bisher
    Leitlinien für die Pläne hat das Bildungsministerium schon vorgelegt: Die Rechtskonservativen wollen, wie angekündigt, die Schüler patriotischer bilden als bisher. Ein erklärtes Ziel des Geschichtsunterrichts ist es demnach, so wörtlich, "das Gefühl des Nationalstolzes zu festigen". Denn, so eine andere Stelle, die Landesgeschichte sei "reich an Heldentum, Heroismus und Ruhm der Vorfahren". Der Vorsitzende des Lehrerverbands nannte diese Leitlinien eine "intellektuelle Vergewaltigung".
    Ob der Protest der Lehrer und Eltern, der Protest der Menschen am Wochenende tatsächlich eine Mehrheit der Polen erreicht, wird sich erst im kommenden Jahr zeigen. Dann stehen landesweit Kommunalwahlen an, ein erster Testlauf also für die Parlamentswahl in zwei Jahren.