Donnerstag, 28. März 2024

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Bildungsurlaub
"Am Ende zufriedenere und gesündere Beschäftigte"

Weiterbildung fördere sowohl Arbeitszufriedenheit als auch Gesundheit, sagte Bildunsgforscherin Sarah Widany im Dlf. Dennoch machten noch zu wenige Arbeitnehmer Gebrauch von ihrem Recht auf Bildungsurlaub. Grund seien unter anderem bürokratische Hürden und mangelndes Wissen um entsprechende Angebote.

Sarah Widany im Gespräch mit Thekla Jahn | 27.11.2019
Das Wort Bildungsurlaub steht in einem Kalender.
Immer noch nehmen nur wenige Menschen ihren Anspruch auf Bildungsurlaub wahr (picture alliance / Andrea Warnecke)
Thekla Jahn: Mehr als 45 Millionen Menschen in Deutschland arbeiten, so die aktuelle Statistik - das sind mehr als jemals zuvor seit der Wiedervereinigung. Aber gerade einmal ein bis drei Prozent der Beschäftigten, die einen Anspruch auf Bildungsurlaub haben, nutzen ihn auch. Weshalb das so ist und wie sich das in Deutschland ändern ließe, das will ich nun besprechen mit Dr. Sarah Widany vom Deutschen Institut für Erwachsenenbildung in Bonn. Schönen guten Tag, Frau Widany! Bevor wir klären, warum so wenige Menschen Bildungsurlaub machen, interessiert mich die Frage: Wer sind denn die ein bis drei Prozent, die von ihrem Anspruch Gebrauch machen?
Sarah Widany: Ja, guten Tag, Frau Jahn! Jetzt als Bildungsforscherinnen haben wir dazu leider relativ wenig Daten. Wir können auf so Einzelerhebungen blicken. Jetzt in Baden-Württemberg zum Beispiel wurde das 2015 eingeführte Bildungsurlaubsgesetz evaluiert und dort wissen wir eben: Das sind vor allem Menschen mit abgeschlossener Berufsausbildung. Auch überrepräsentiert sind die mit höheren beruflichen Abschlüssen aus der Hochschule oder Meister und Techniker. Frauen nehmen ein bisschen weniger Bildungsurlaub in Anspruch als Männer, das liegt aber auch an der Verteilung in der Erwerbstätigengruppe. Und Personen, denen immer besonderer Weiterbildungsbedarf zugesprochen wird, also an- und ungelernte Beschäftigte, sind dort zu einem ganz geringen Prozentsatz nur vertreten.
"Höhere Arbeitszufriedenheit, aber auch gesundheitliche Outcomes"
Jahn: Da werden wir gleich noch drüber sprechen, wie sich das ändern ließe, wahrscheinlich auch ändern muss. Wer nun Bildungsurlaub machen möchte, der kann aus mehreren 100 Angeboten wählen, vom Sprachkurs über Finanzen, Marketing, Webdesign, Handwerkskursen bis hin zu Yoga, Gleitschirmkursen sogar oder einem Seminar für Spiritualität im Alltag, das habe ich gestern nachgeguckt. Hat das immer auch mit sinnvoller Bildung, Weiterbildung fürs Berufsleben zu tun, oder braucht es die Kurse nicht alle?
Widany: Also die Gesetze zur Bildungsfreistellung gehen zurück auf eine Ratifizierung von einem Übereinkommen der internationalen Arbeitsorganisation. Und dort wird die Freistellung für berufliche Bildungszwecke, aber auch für allgemeine und politische Bildungszwecke ratifiziert. Das heißt, wir haben natürlich berufliche Motivation, Bildungsurlaub in Anspruch zu nehmen. Das ist aber nicht die einzige Motivation, die dahintersteht. Wenn wir das so im Zeitverlauf betrachten, dann sehen wir, dass die ??? der politischen Bildung genommen wurden, heute überwiegen die beruflichen Motive. Und ob das sinnvoll ist, das unterscheidet sich natürlich, je nachdem, ob ich da aus Arbeitnehmer- und Arbeitnehmerinnen-Perspektive draufgucke, aus Arbeitgeberperspektive, vielleicht aus Perspektive der Sozialpartner, Gewerkschaften und so weiter.
Das Gesetz ermöglicht Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmerinnen, unabhängig von Interessen des Arbeitgebers, Bildungsbedarfe zu verwirklichen. Und natürlich kann man sich jetzt fragen, ob ein Gleitschirmkurs am Ende wirklich die Arbeitsprozesse verbessert. Aber was wir aus anderer Forschung zur Weiterbildungsbeteiligung wissen, wo wir nach den Wirkungen fragen, ist, dass Weiterbildungsteilnahme oft dazu führt, dass eine höhere Arbeitszufriedenheit besteht, aber auch gesundheitliche Outcomes bringt. Also habe ich als Arbeitgeber dann am Ende zufriedenere und gesündere Beschäftigte, was sich wiederum aufs Arbeitsklima und auf die Produktivität auswirken kann.
Mangelnde Bekanntheit und bürokratische Hürden
Jahn: Ja, solche Kurse können ja möglicherweise auch Motivation, neue Motivation oder Kreativitätsschübe auslösen. Warum nutzen denn nur ein bis zwei Prozent der Berufstätigen in Deutschland diese Angebote? Das ist ja unglaublich wenig.
Widany: Ja, das ist eine sehr gute Frage, ist auch des Pudels Kern. Also was noch eine sehr interessante Information aus der Evaluation in Baden-Württemberg war, da gab es eine Umfrage bei Anspruchsberechtigten, ob sie überhaupt diese Regelung kennen, und das wurde von ungefähr einem Drittel bejaht. Das heißt, es gibt also einmal ein Problem der Reichweite von diesen Förderinstrumenten - es können ja nur Personen Bildungsurlaub in Anspruch nehmen, die wissen, dass es das gibt. Das Zweite sind dann doch auch vielleicht bürokratische Hürden.
Jahn: Das heißt, der bürokratische Aufwand schreckt denjenigen ab, der möglicherweise Interesse an Bildungsurlauben hat?
Widany: Das kann durchaus eine Rolle spielen. Die Frage ist so ein bisschen, bildungsmotivierte und -interessierte Personen, vielleicht auch mit einem höheren Bildungsabschluss, werden dadurch vielleicht auch weniger abgeschreckt als potenzielle Teilnehmerinnen und Teilnehmer, deren Lebensverläufe vielleicht nicht so bildungsorientiert sind. Also da haben wir noch mal eine doppelte Selektion dann auch dadurch.
"Bildungsurlaub ist ja nicht das einzige Förderinstrument"
Jahn: Was ist mit den Kursgebühren? Ein Bildungsurlaub ist nicht umsonst zu haben. Es gibt Kurse, die kosten recht wenig, es gibt aber auch Kurse, da habe ich noch mal nachgeschaut, die kosten zum Teil - drei, vier Tage - 2.000 Euro. Das kann sich ja auch nicht jeder leisten.
Widany: Also wenn wir wieder in repräsentativen Bevölkerungsumfragen nach den wichtigsten Gründen fragen, warum man nicht an einer Weiterbildung teilnimmt, dann ist die häufigste Antwort: Ich habe dafür keine Zeit, aus beruflichen Gründen oder aus familiären Gründen und so weiter. Das heißt eigentlich, diese Idee, ich stelle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer frei, ist ein guter Ansatz. Kostengründe spielen immer weniger eine Rolle bei diesen Angaben von Nicht-Teilnahme-Gründen. Aber sicherlich, je nach Umfang und Höhe der Kosten ist das eine Investition, die auch Teilnehmende erst mal aufbringen müssen.
Und da ist vielleicht jetzt die Überleitung auch noch mal gut dazu: Also der Bildungsurlaub ist ja nicht das einzige Förderinstrument in Deutschland. Wir haben auf Bundes- und Länderebene noch verschiedene andere Förderstrukturen, wo beispielsweise durch Weiterbildungsgutscheine die Weiterbildungsbereitschaft erhöht werden soll, gerade für Geringqualifizierte oder Geringverdienende. Das Ganze ist aber relativ unübersichtlich, auch durch diese föderalen Strukturen. Deswegen wird auch oft von einem Förderdschungel gesprochen. Und da sich durch zu navigieren ist doch auch schon eine kognitive Leistung, wo Beratungsstrukturen helfen können, wo digitales Informationsangebot helfen kann und so eben Teilnehmende wirklich von ihrem Recht auf Bildung und auch den Förder- und Finanzierungsmöglichkeiten bestmöglich Gebrauch machen können.
Weiterbildungspolitik in Deutschland ist ausbaufähig
Jahn: Wir haben vorhin von der Weiterbildungs-App in Frankreich gehört, da ist ja genau das der Fall, also man kriegt dann Geldguthaben und das kann man über diese App auch sofort einsetzen für Weiterbildungsmaßnahmen. Ist das eine Idee, die auch in Deutschland zielführend sein könnte?
Widany: Ja, also ich glaube, da steckt schon viel Potenzial darin, wenn man die Möglichkeiten, die die Digitalisierung jetzt bietet, nutzt, um praktisch diese Transparenz und Förderung aus einer Hand über eine Plattform anzubieten. Also Idealvorstellung: Ich habe eine Weiterbildungsmotivation, habe ein konkretes Angebot und erfahre abhängig von meinetwegen Merkmalen wie "welches Einkommen habe ich", "in welchem Bundesland lebe ich" auch gleich die damit verknüpften möglichen Finanzierungs- und Freistellungsoptionen. Das wäre eine feine Sache. Die Bundesregierung hat jetzt die nationale Weiterbildungsstrategie im Sommer beschlossen, und da sind auch schon Anlagen dazu da, diese Transparenz über Weiterbildungsangebote zu erhöhen. Aber dieser big bang, wie er jetzt in Frankreich ja auch angekündigt wurde, da sehen wir schon eine sehr viel konsequentere Umsetzung von Zielen der Weiterbildungspolitik.
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