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Bill Browder: "Red Notice"
Ein US-Banker wird Russlands Staatsfeind

Einst galt er als Putins Liebling: Der US-Banker Bill Browder war einer der größten Investoren in Russland. Dann aber fiel er in Ungnade und wurde ausgewiesen - und sein Anwalt starb im Gefängnis. In seinem Buch "Red Notice - Wie ich Putins Staatsfeind Nr. 1 wurde" schildert Browder seine Geschichte.

Von Johanna Herzing | 23.02.2015
    Der US-Investmentbanker Bill Browder vor blauem Hintergrund
    Der US-Investmentbanker und Buchautor Bill Browder (afp / Leon Neal)
    Dem russischen Anwalt Sergej Magnitski ein Buch zu widmen, war überfällig. Bill Browder, sein früherer Mandant, hat das nun getan. Doch geht es um mehr als nur den Fall Magnitski: Der Autor erzählt vom Russland der 1990er Jahre, wo es einigen wenigen gelingt, sehr schnell sehr viel Macht und Geld an sich zu reißen, während der Großteil der Bevölkerung in Armut lebt. Sein Buch handelt auch davon, wie sich Geld rasant vermehren lässt, wenn man schnell und mitunter waghalsig handelt und einen Sinn für günstige Gelegenheiten hat. Bill Browder hat diesen Sinn.
    Er, ein Amerikaner aus Chicago, gerade mal Mitte Zwanzig, zieht kurz nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion aus, um im "wilden Osten" sein Glück zu suchen. Seine Beweggründe dafür schildert er, dessen Großvater in den 1930er Jahren Vorsitzender und Präsidentschaftskandidat der amerikanischen Kommunisten war, folgendermaßen:
    "Wenn du aus einer Familie voller Kommunisten kommst, wie lebst du da eine rebellische Jugend? Ich hab mir einen Anzug und eine Krawatte besorgt und wurde Kapitalist. 1989 machte ich meinen Wirtschaftsabschluss. Und da sagte ich mir: Wenn mein Großvater der größte Kommunist in Amerika war, dann werde ich der größte Kapitalist in Osteuropa. Also ging ich nach Europa und gründete schließlich in Russland den Hermitage Fonds, um in den russischen Aktienmarkt zu investieren."
    Lizenz zum Gelddrucken
    Auf die Lizenz zum Gelddrucken stößt Browder bei einem ersten Aktienkauf in Polen. Ihm reicht ein kurzer Blick auf die Zahlen, um zu begreifen, dass viele der ehemaligen Staatsbetriebe zu Niedrigstpreisen verramscht werden: Der Wert seiner Investition verzehnfacht sich binnen weniger Jahre. Browders Geschäftsmodell ist geboren. Nach dem in Polen so erfolgreichen Muster verfährt er schließlich auch in Russland. Weil seine Gewinne aber durch Korruption und Misswirtschaft geschmälert werden, legt er sich mit den russischen Oligarchen an. Er wird zu einem sogenannten "shareholder activist", also einem Anleger, der massiven Druck auf das jeweilige Firmenmanagement ausübt. Zunächst hat er dabei im russischen Präsidenten einen mächtigen Verbündeten:
    "Putins oberste Priorität war von Anfang an, diesen Männern die Macht wieder zu entreißen und sie wieder dem zurückzugeben, dem sie rechtmäßig gehörte, dem Kreml – oder genauer gesagt sich selbst. Wenn es um mich und meine Antikorruptionskampagnen ging, handelte Putin nach dem politischen Grundsatz "Der Feind meines Feindes ist mein Freund", und daher benutzte er regelmäßig meine Arbeit als Vorwand, um seine Oligarchenfeinde zu Fall zu bringen. Ich war so mit meinem eigenen Erfolg und den explodierenden Renditen des Fonds beschäftigt, dass ich das nicht erkannte. Ich war naiv genug zu glauben, dass Putin im Interesse des Landes handelte und in Russland wirklich aufräumen wollte."
    In Ungnade gefallen
    Doch Browder fällt schließlich in der Gunst von Putin, 2005 darf er überraschend nicht mehr nach Russland einreisen. Mit seinem offensiven Auftreten habe er wohl Putins eigenen wirtschaftlichen Interessen im Weg gestanden, so Browders knappe Erklärung. Was seine Demontage angeht, folgen die russischen Behörden dem bereits in den Fällen der Oligarchen Michail Chodorkowski und Boris Beresowski bewährten Muster: Browder werden Steuervergehen vorgeworfen. Es folgen die Durchsuchung seiner Geschäftsräume, Konfiszierungen, schließlich die feindliche Übernahme seiner Firma. Dies sei der Beginn seiner Wandlung vom Investmentbanker zum Menschenrechtsaktivisten gewesen, so Browder. Er und seine Mitarbeiter, allen voran der junge Steueranwalt Sergej Magnitski, werfen den russischen Behörden vor, 230 Millionen Dollar an Steuergeldern, die Browders Firma an den russischen Fiskus abgeführt hatte, veruntreut zu haben. Während sich Browders engste Mitstreiter ins Ausland flüchten, bleibt Magnitski in Russland. Er wird verhaftet und stirbt im Gefängnis unter ungeklärten Umständen. Für Browder der entscheidende Wendepunkt in seinem Leben:
    "Nicht ich bin es, der tot ist, sondern ein anderer Mensch ist wegen meiner Handlungen gestorben, und ich kann nichts tun, um ihn ins Leben zurückzuholen. Aber ich kann dazu beitragen, das Vermächtnis von Sergej zu bewahren und um Gerechtigkeit für seine Familie zu kämpfen."
    Boris Nemtsow von der Freiheitspartei protestiert vor dem russischen Innenministerium mit einem Foto des in U-Haft gestorbenen Anwalts Sergej Magnitski.
    Der russische Regierungsgegner Boris Nemtsov mit einem Foto des in U-Haft gestorbenen Anwalts Sergej Magnitski. (picture alliance / dpa / Maxim Blinov)
    Die US-Reaktion: Der "Magnitsiki-Act"
    Browder tut das unter anderem auf der juristischen Ebene: Das 2012 in den USA in Kraft getretene Magnitski-Gesetz geht wesentlich auf sein Engagement zurück. Es sieht Sanktionen gegen eine ganze Reihe russischer Beamter vor, die mutmaßlich für den Tod Magnitskis verantwortlich sind. Browder bietet hier ein Lehrstück über die Schwierigkeiten politischer Entscheidungsfindung und diplomatischer Verstrickungen. Die Antwort der russischen Regierung auf den Magnitski Act folgt wenig später: Amerikanern wird die Adoption russischer Waisenkinder verboten. Browder wird 2013 in Abwesenheit der Prozess gemacht, und Magnitski posthum der Steuerhinterziehung für schuldig befunden. Der Autor spricht von einer "Showveranstaltung":
    "Das ist das heutige Russland. Ein stickiger Raum, in dem ein korrupter Richter den Vorsitz führt, (...), mit Anwälten, die nur deshalb anwesend sind, um der Veranstaltung den Anstrich eines Gerichtsprozesses zu geben. Ein Ort, an dem allein die Lüge regiert. (...) Wo ein Ausländer in Abwesenheit wegen Verbrechen verurteilt werden kann, die er nicht begangen hat. Ein Ort, wo ein unschuldiger Mensch vom Staat ermordet wird, wo ein Mann, dessen einziges Vergehen darin bestand, dass er sein Land zu sehr liebte, noch über seinen Tod hinaus verfolgt wird. Das ist das heutige Russland."
    Eitel und selbstbezogen
    Browder benennt in seinem Buch exemplarisch die Missstände im russischen Rechtssystem und die Menschenrechtsverletzungen. Er schafft Aufmerksamkeit für das harte Schicksal seines Anwalts. Das ist dem Autor hoch anzurechnen. Allerdings wirkt sein Buch an vielen Stellen eitel und selbstbezogen. Pauschale Urteile über "die Russen" aus dem Munde eines Amerikaners, der sich in zehn Jahren keinerlei Sprachkenntnisse angeeignet hat, klingen arrogant. Sein Engagement, die Schuldigen im Fall Magnitski zur Verantwortung zu ziehen, erscheint nicht immer uneigennützig – immerhin hat der Investmentbanker Browder mit der Ausweisung aus Russland auch seine bis dahin lukrative Geschäftsgrundlage verloren. In seinem Buch, das oft reißerisch, aber zugleich fesselnd und unterhaltsam geschrieben ist, scheint es ihm manchmal mehr um sein persönliches Seelenheil und die Rettung seiner Reputation zu gehen, als um den Kampf gegen Korruption und Unrecht. Bill Browder präsentiert in vielen Details die Sicht eines Betroffenen auf einen schlimmen Fall von Menschenrechtsverletzung in Russland. Die Grundlage für eine tiefer gehende Analyse des Systems Putin legt er allerdings nicht.
    Bill Browder: "Red Notice. Wie ich Putins Staatsfeind Nr. 1 wurde". Übersetzt von Hans Freundl und Sigrid Schmid. 410 Seiten. Carl Hanser Verlag, 21,90 Euro.